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Pressemitteilung: Vom Vorreiter zum Zuschauer – Deutschland droht bei der Brennstoffzelle den Anschluss zu verlieren

München, Juli 2020

Pressemitteilung: Vom Vorreiter zum Zuschauer - Deutschland droht bei der Brennstoffzelle den Anschluss zu verlieren

München, Juli 2020
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eutschland war einmal Vorreiter bei der Brennstoffzelle. Doch neue Impulse, um die Technologie in der Breite zu etablieren, kommen aktuell überwiegend aus Asien.

Während sich Deutschland darauf festlegt, die Brennstoffzelle vor allem im Fern- und Güterverkehr zu fördern, planen China, Japan und Korea massive Investitionen auch bei PKW.

Anders als in Deutschland hat man dort erkannt, dass der PKW zwar nicht die Anwendung der ersten Stunde, sehr wohl aber der zukünftige Volumenträger der Brennstoffzelltechnologie sein wird.

China leitet sogar den größten Teil der vorhandenen Mittel für sogenannte New Energy Vehicles (NEV) auf FCEVs um – die bessere Skalierbarkeit der Ladeinfrastruktur von Brennstoffzellen ist dabei in Chinas Megacitys der entscheidende Faktor.

Ein weltweiter Absatz von über einer Million FCEVs im Jahr 2030 ist absolut realistisch. China allein hat sich für das Jahr 2030 dieses Ziel gesetzt; Toyota und Hyundai planen bis dorthin ebenfalls jeweils 500.000 FCEVs zu produzieren.

Damit droht Deutschland ein weiteres Mal bei einer zu großen Teilen in Deutschland mitentwickelten Technologie den Anschluss zu verlieren.

  

Die geringe Nachfrage nach Brennstoffzellen betriebenen PKW (FCEV) scheint der Bundesregierung recht zu geben …

Einst galt Deutschland als Vorreiter beim Thema Wasserstoff. Die Bundesregierung versucht – auch mit Mitteln des kürzlich verabschiedeten Konjunkturpakets zur Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie – inzwischen verlorenes Territorium wiedergutzumachen. Sie verfolgt dabei die Strategie, die Brennstoffzelle vor allem im Fern- und Güterverkehr zu fördern, nicht jedoch bei PKW.

Mit Blick auf den Absatz von FCEVs (Fuel Cell Electric Vehicles) scheint die Bundesregierung mit dieser Strategie richtig zu liegen. Im Jahr 2019 waren lediglich drei Modelle verfügbar, von denen weltweit insgesamt nur knapp 7.000 FCEVs verkauft wurden. Mittelfristig werden kaum neue Modelle hinzukommen. Die meisten deutschen OEMs haben FCEVs entweder ganz aufgegeben oder planen höchstens ein Derivat in Kleinserie einzuführen. Aus Hersteller-Sicht konkurrieren FCEVs nämlich nicht nur mit BEVs, sondern auch mit Plug-in-Hybriden und sogar 48V-Systemen um immer knapper werdende Entwicklungsbudgets. Die Herausforderung, die ohnehin schon schwierige Symbiose von konventionellen und alternativen Antriebssträngen zusätzlich um FCEVs zu ergänzen, ist den meisten OEMs schlicht zu teuer. Zuletzt verkündete daher auch Mercedes, dass der erst 2019 eingeführte GLC F-Cell wohl ohne Nachfolger bleiben wird.

… neue Impulse kommen einzig aus Asien.

Neue Impulse, die Brennstoffzelle in der Breite zu etablieren, kommen vor allem aus Asien. So planen Toyota und Hyundai bis 2030 jährlich 500.000 FCEVs allein für den Einsatz in PKW zu produzieren. Erst kürzlich meldete Toyota zudem die Gründung eines Joint-Ventures mit vier in China lokal ansässigen OEMs zur Herstellung von Brennstoffzellen für Nutzfahrzeuge.

Aber der Blick auf den heutigen PKW-Absatz von FCEVs täuscht …

Die Brennstoffzelltechnologie ist vielfach erprobt und insbesondere im Nutzfahrzeugbereich schon gut etabliert. Nach Angaben des US-Energieministeriums sind allein in den USA etwa 20.000 wasserstoffbetriebene Gabelstapler im Einsatz. Der zum US-Konzern PACCAR gehörende Nutzfahrzeughersteller Kenworth nutzt in wechselnder Kooperation mit dem kanadischen Brennstoffzellenhersteller Ballard und Toyota bereits Testflotten kommerziell. In der Schweiz plant die private Initiative H2 Mobilität bis zum Jahr 2025 rund 1.600 mit Brennstoffzellen ausgerüstete LKW in Betrieb zu nehmen. Und das mit über US $ 700 Millionen finanzierte US-Amerikanische Startup Nikola sieht für das Jahr 2021 die Markteinführungen von Brennstoffzellen betriebenen LKW für den Fernverkehr vor.

… denn im Nutzfahrzeugbereich trägt sich Wasserstoff bei bestimmten Anwendungsfällen bereits mittelfristig selbst

Der Schweizer Initiative H2 Mobilität gehören neben dem Einzelhändler Coop auch Tankstellenbetreiber und Logistikunternehmen an. Das Konsortium bündelt somit alle nötigen Kompetenzen von der Erzeugung und Betankung bis zum Betreiben der LKW. In Los Angeles liefert Toyota neben den Brennstoffzellen für den Antrieb zudem stationäre Systeme. Diese Bündelung erlaubt eine gesamtwirtschaftliche positive Bilanz, in der sich der Anwendungsfall als Ganzes mittelfristig ohne Subventionen trägt. Ein solcher Ansatz ist überall da übertragbar, wo sich Regelverkehre ergeben. Aber selbst im logistischen Fernverkehr fahren inzwischen viele LKWs entlang fixer Routen – z.B. auch die sogenannten Milkruns, welche die Teileversorgung der OEMs sicherstellen. Vor kurzem haben Hyundai und der amerikanische LKW-Motorenhersteller Cummins ein Abkommen geschlossen, um gemeinsam Brennstoffzellantriebe zu entwickeln. Hyundai will dabei sein Wissen um die Brennstoffzellen einbringen, Cummins das Know-how rund um den Antriebsstrang. Zunächst wird der Fokus auf den nordamerikanischen Automarkt gelegt und beide Partner werden die Brennstoffzellen nicht nur für den Einsatz in Autos entwickeln, sondern auch für stationäre Systeme, etwa für Notstromversorgungen.

Hersteller von Brennstoffzellensystemen – nicht OEMs – werden die Knotenpunkte dieser neu entstehenden Lieferketten bilden.

Voraussichtlich werden nur wenige OEMs in eine eigene FCEV-Technologie investieren. Der Großteil der Antriebseinheiten wird von spezialisierten Herstellern ganzer Brennstoffzellensysteme kommen. Im LKW-Bereich ist es heute schon üblich, dass OEMs auf eine Mischung aus Eigenentwicklungen und zugekauften Antriebssystemen setzen. Dies ermöglicht eine Volumenbündelung auf nur wenige Systeme bei entsprechend geringeren Entwicklungskosten für den einzelnen Abnehmer. Hersteller wie Ballard, SHPT, Doosan oder Bosch schaffen auf diese Weise branchenübergreifende Skalen und kombinieren Kompetenzen und Technologien über ein breites Spektrum von Anwendungen. Selbst Toyota und Hyundai legen ihre Systeme so aus, dass sie in PKW und LKW gleichermaßen zum Einsatz kommen können.

Insbesondere in Asien werden private Initiativen durch massive staatliche Investitionen ergänzt. Ziel ist der flächendeckende Einsatz von Brennstoffzellen im PKW.

Auch das von Kenworth verwendete System besteht aus zwei Einheiten des Mirai-Systems. Und das nicht ohne Grund, denn China, Korea und Japan streben langfristig klar den Einsatz von Brennstoffzellen im PKW an.

Derzeit gibt es global nicht mehr als 400 Wasserstoff-Tankstellen. Japan verfügt mit 100 Stationen über das weltweit größte Netzwerk an H2-Zapfsäulen. Es folgen Deutschland mit 90 und der US-amerikanische Bundesstaat Kalifornien mit etwa 50 Stationen; in Korea und China sind es derzeit nur ca. 20 an der Zahl. Korea, Japan und China planen bis zum Jahr 2030 jeweils rund 1.000 H2-Tankstellen in Betrieb zu nehmen. China will dafür sogar den größten Teil der vorhandenen Mittel für sogenannte New Energy Vehicles (NEV) auf FCEVs umleiten und so bis zum Jahr 2030 rund 1 Million FCEVs auf die Straße bringen. Ausschlaggebend für das Umdenken in China ist dabei die bessere Skalierbarkeit der H2-Ladeinfrastruktur.

China, Japan und Korea eint der Versuch, durch eine enge Verzahnung von Unternehmen und öffentlicher Hand, die Brennstoffzellentechnologie auf eine breite industrielle Basis zu stellen. Anders als in Deutschland liegt der Schwerpunkt in allen drei Ländern jedoch auf dem PKW als zukünftigem Volumenträger. Hier zeigt sich deren Erfahrung im Zuge der Entwicklung von Lithium-Ionen-Batterien: Um die Auslastung von zeitweise leer stehenden Zellfabriken zu erhöhen, wurde lange Zeit der Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien in stationären Anwendungen forciert – der Durchbruch kam jedoch erst mit dem Großserieneinsatz im PKW.

Die Automobilnation Deutschland erlebt ein weiteres Mal, wie eine maßgeblich in Deutschland entwickelte Technologie im Ausland industrialisiert wird.

Der von Deutschland eingeschlagene Weg, Brennstoffzellen in erster Linie für LKW, Schiff- und Luftfahrt zu nutzen, greift langfristig zu kurz. Länder wie China, Korea und Japan haben erkannt, dass der PKW zwar nicht die Anwendung der ersten Stunde, sehr wohl aber der zukünftige Volumenträger der Brennstoffzelltechnologie sein und ihr so zum Durchbruch verhelfen wird.

Ein Volumen von einer Million FCEVs im Jahr 2030 ist leicht möglich. Das entspräche einem weltweiten Marktanteil von nur einem Prozent – und genau dem Wert, den sich China als Ziel gesetzt hat. Toyota und Hyundai planen ebenfalls ihre Fertigungskapazitäten bis 2030 auf jeweils 500.000 Stück auszubauen. Zum Vergleich: Um eine ähnlich große Zahl an FCEVs in LKWs auf die Straße zu bringen, müssten fast ein Drittel aller weltweit verkauften LKW auf Brennstoffzellen umgerüstet werden.

Die von den deutschen OEMs und der Bundesregierung verfolgte Strategie birgt somit die Gefahr, dass Deutschland zwar viel in die weitere Industrialisierung der Brennstoffzelle investiert, aber am entstehenden Massenmarkt nur ungenügend partizipiert. Konsequent wäre das Vorgehen der Bundesregierung nur, wenn – anstatt auf FCEV zu setzen – neben den BEVs auch E-Fuels gefördert würden.

  

Empfehlungen

Die Strategie, abzuwarten, bis eine gestiegene (oder künstlich herbeigeführte) Nachfrage die Produktion von Brennstoffzellenfahrzeugen in Großserie zulässt, wird nicht aufgehen. Es muss vorher gehandelt werden.

Als Gewinner der Brennstoffzellen-Technologie werden solche OEMs hervorgehen, die es schaffen, ihre Technologie über eine Vielzahl verschiedener, auch nicht-automobiler Anwendungen zu skalieren.

Dazu werden diese sich selbst als Unternehmer und Partner in Kooperationen einbringen müssen. Denn als OEM sind sie nur dann interessant, wenn sie potenziellen Käufern ganzheitliche Lösungen anbieten können, die neben dem Fahrzeug auch das Betanken und sogar die Erzeugung von Wasserstoff beinhalten.

Zulieferer sollten nicht auf die OEMs warten, sondern direkte Kontakte zur neuen Riege von Systemherstellern knüpfen.

Da diese in der Mehrzahl in Asien sitzen, sollte auch die Brennstoffzellstrategie unmittelbar aus den Standorten vor Ort getrieben werden.

Gleichzeitig darf der Einsatz im PKW nicht aus dem Auge verloren werden. Das betrifft sowohl die technische Auslegung neuer Systeme als auch die genaue Beobachtung der Märkte – insbesondere in Asien.

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Pressemitteilung: Vom Vorreiter zum Zuschauer
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Autor
Christian Bangemann

Head of PR & Media Relations

Andreas Radics

Andreas Radics (1973) ist seit 2001 als Strategieberater in der Automobilindustrie tätig und blickt darüber hinaus auf mehr als vier Jahre Berufs- und Führungserfahrung in der Industrie zurück. Bevor er als Gründungspartner 2011 Berylls ins Leben rief und aufbaute, war er bei den international agierenden Strategieberatungen Gemini Consulting und Oliver Wyman tätig.
Er zählt zu den führenden Köpfen für Mergers & Acquisitions sowie für die Entwicklung und Umsetzung von Unternehmensstrategien in der Automobilindustrie, ist Experte für eMobility und ausgewiesener Kenner des US-Marktes.
Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ingolstadt.