Vergangene Jahre

Top 100 Automobilzulieferer 2020

Munich, December 2021
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ondereffekte prägen das Jahr 2020 in der Automobilindustrie – nicht nur Corona drückt den Automobilzulieferern im vergangenen Jahr einen Stempel auf. Erstmals seit der Wirtschaftskrise von 2009 müssen sich die meisten der Top 100 Unternehmen nicht etwa um ein schwaches Wachstum Sorgen machen, sondern um nicht unwesentliche Umsatzrückgänge, verbunden mit neuen Herausforderungen, die die Industrie in bisher ungekanntem Ausmaß verändern werden. Die vergangenen zehn Jahre konnten zudem mit interessanten Entwicklungen aufwarten.

Das Jahr 2020 lässt sich für die Autozulieferindustrie in vier Statements zusammenfassen.

2020

war Wachstum fast nur durch Akquisitionen möglich.

2020

schrieb jedes vierte Unternehmen Verluste.

2020

hat es erstmals ein chinesischer Zulieferer in die Top 10 geschafft.

2020

gab die allgegenwärtige Elektromobilität die Richtung vor.

Doch zunächst zu den Fakten: Die Umsätze der von Berylls Strategy Advisors ermittelten 100 größten Automobilzulieferer lagen 2020 um -12,7 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres, während 2019 noch eine Umsatzsteigerung von +4,3 Prozent erreicht worden war. Die Profitabilität ging im Vorjahresvergleich in Summe mit -58,1 Prozent deutlich zurück. Die durchschnittliche Marge der betrachteten Unternehmen lag im Jahr 2020 mit 2,6 Prozent bei weniger als der Hälfte im Vergleich zum Vorjahr (6,0 Prozent).

Autoren
Dr. Jan Dannenberg

Executive Partner

Dr. Jürgen Simon

Principal

Current Chapter

Wachstum 2020 fast nur durch Akquisitionen möglich

Nach einem stürmischen Jahr, dessen Vorboten bereits 2019 auf den Plan traten, zeigt die Analyse von Berylls, dass nicht wie üblich zehn Unternehmen mit dem stärksten Umsatzwachstum gekürt werden können, sondern nur acht – so viele waren es, die mehr Umsatz erzielten als im Vorjahr. Die Plätze 9 und 10 sind 2020 demnach die beiden Zulieferer mit dem geringsten Umsatzrückgang in den Top 100. Ursächlich dafür sind vor allem die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Im Laufe des vergangenen Jahres kam es sowohl seitens der OEMs als auch der Zulieferer zu Produktionsstopps. Diese und die darüber hinaus geringere Nachfrage bescherten den Unternehmen deutliche Umsatzeinbußen. Hauptsächlich durch Akquisitionen gelang es Unternehmen wie BorgWarner (Delphi Technologies), Weichai Power (Aradex, VDS) oder Infineon (Cypress), die Umsätze im respektablen zweistelligen Bereich anzuheben.

Auch im laufenden Jahr gab es bereits Zusammenschlüsse. So fusionierten etwa Hitachi Automotive Systems, Keihin Corporation, Showa Corporation und Nissin Kogyo zu dem japanischen „Top 20“-Zulieferer (geplanter Umsatz für 2021 in Höhe von Euro 13 Milliarden) Hitachi Astemo.

Jedes vierte Unternehmen schreibt Verluste

Für starke Umsatzrückgänge in der Automobilzuliefererindustrie sorgte im vergangenen Jahr vor allem die Corona-Pandemie und bedingte zeitweise Produktionspausen. Jeder zweite deutsche Zulieferer plant zudem aktuell einen zusätzlichen Stellenabbau aufgrund der Auswirkungen der Krise. Dazu kommen die zum Teil wesentlich geringeren Umsätze nebst nicht in gleichem Maße gesunkenen Kosten. Ein prominentes Beispiel für die Probleme durch die Pandemie ist der bereits vorher in Schieflage geratene deutsche Kabel- und Bordnetz-Spezialist Leoni, der 2020 zu den Top-100-Unternehmen mit negativer Marge zählt. Weltweit waren 80 Werke des Zulieferers zeitweise geschlossen, der Großteil der 4.800 Mitarbeiter in Deutschland in Kurzarbeit. Rettung brachte dann die Bürgschaft der Länder Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen für einen Betriebsmittelkredit. Eine Insolvenz konnte so verhindert werden und für das laufende Jahr stellt das Unternehmen immerhin Umsatz- und Ergebnisverbesserungen in Aussicht. Einige kleinere, nicht zu den Top 100 zählende, deutsche Zulieferer mussten im Jahr 2020 ebenfalls den Gang in die Insolvenz antreten, unter anderem der Felgenhersteller BBS, die Batterienfabrik Moll, der Aluminiumgussexperte Finoba, der Kunststoffteilehersteller Weberit Dräbing, der Druckgussteilelieferant DGH und der kinematische Kunststoffteilelieferant Minda KTSN. Einige wurden bereits von Investoren übernommen oder haben zumindest eine Sanierung in Aussicht. Die im Vorjahresreport angekündigte Pleitewelle ist somit unübersehbar eingetreten. Im Gegensatz zur Finanzkrise 2009 ist sie jedoch deutlich milder ausgefallen und betrifft vor allem kleine Mittelständler der Zulieferindustrie.

Jeweils fünf deutsche und japanische Top-100-Unternehmen schreiben 2020 rote Zahlen und stellen damit über die Hälfte der 17 Zulieferer mit negativer Marge. Im Gesamtbild stellen diese Unternehmen allerdings eher die Ausnahmen für Deutschland und Japan dar, da in Summe 17 deutsche und 27 japanische Automobilzulieferer in den Top 100 vertreten sind. Deutschland ist dabei mit ZF Friedrichshafen, Continental, Bosch, Mahle und Leoni in den roten Zahlen präsent. Die USA stellen mit American Axle und -8,4 Prozent Operating-Income-Marge den Anführer bei den Verlustunternehmen, mit Goodyear und -0,1 Prozent Operating-Income-Marge aber auch den letzten in der negativ-Liste. An der schwarzen Null kratzen zudem mit NTN (-1,1 Prozent OI), JTEKT (-0,7 Prozent OI) und Denso (-0,7 Prozent OI) drei japanische Unternehmen. Somit stehen auf der Verlustseite Hersteller aus verschiedenen Bereichen, von Mechanik bis hin zu Elektronik. 

Auf der anderen Seite, bei den diesjährigen „Profitabilitäts-Champions“, gibt es ebenfalls ein sehr heterogenes Feld. Auf den vorderen zehn Plätzen der profitabelsten Unternehmen findet sich eine vielfältige Mischung. Dabei kommen die Spitzenreiter aus sechs verschiedenen Ländern und vor allem Telematik-Spezialisten und Reifenhersteller realisieren positive Margen. Erstere stellen die mit Illinois Tool Works (USA, 17,8 Prozent OI), Aptiv (Groß Britannien, 16,2 Prozent OI) und Renesas (Japan, 14,2 Prozent OI) die Top 3 der profitablen Unternehmen 2020. Mit Pirelli (Italien, 11,6 Prozent EBIT), Toyo Tire Corporation (Japan, 10,6 Prozent OI) und Hankook Tires (Korea, 10,6 Prozent OI) zählen drei Reifenhersteller zu den Herstellern mit den höchsten Margen – trotz der pandemiebedingten deutlich geringeren Nachfrage im Jahr 2020, die bei vielen anderen Zulieferern auch die Marge negativ beeinflusste.

Die Top Ten vermischen sich untereinander – ein Neuzugang aus China – Bosch weiterhin Spitzenreiter

Bosch führt im sechsten Jahr in Folge die Aufstellung der 100 größten Automobilzulieferer weltweit an. Die unmittelbar darauffolgenden Platzierungen gehören bis Platz 9 den gleichen Unternehmen wie im Vorjahr – Platz 10 sichert sich 2020 mit Weichai Power erstmals ein chinesisches Unternehmen in den Top 10 und verdrängt damit Valeo (seit 2017 stetig auf Platz 10 oder 11 zu finden). Der chinesische Motorenspezialist ist 2020 als einer der raren Umsatzgewinner bereits bekannt und lag 2011 in der ersten Auflage der Top 100 noch auf Platz 27. Einige Unternehmen schlugen sich im Krisenjahr besser als andere, was vor allem auf die geographische Lage zurückzuführen ist. Zulieferer mit Sitz und / oder Abnehmern in Asien konnten von der früher wieder anziehenden Wirtschaft in diesen Ländern profitieren. Denso schickt etwa Continental auf den dritten Platz und sichert sich 2020 die Silbermedaille. Magna rutscht von vier auf fünf, während ZF vor allem durch die Akquisition von Wabco profitiert. Außerdem tauschen die Konkurrenten Michelin und Bridgestone, ihre Positionen und liegen nun auf den Plätzen 8 und 9.

Elektromobilität gibt Richtung vor

Im vergangenen Jahr trafen die Auswirkungen der Corona-Pandemie und ein starkes Wachstum im Bereich Elektromobilität aufeinander. Automobilzulieferer hatten mit Umsatzrückgängen und Produktionspausen zu kämpfen und kamen zum Großteil um einen Stellenabbau nicht herum. Hersteller für Batterien oder Halbleiter sind weiter auf Wachstumskurs, und so suchen Hersteller wie CATL verstärkt nach neuen Mitarbeitern. Doch gerade bei Batterien sind europäische OEMs abhängig von asiatischen Herstellern wie CATL, Panasonic, BYD oder LG Chem. Um dieser Abhängigkeit entgegenzuwirken, wird in den kommenden Jahren Deutschland zum europäischen Batteriezentrum ausgebaut werden. Dabei laufen bereits verschiedene Kooperationen mit Batteriespezialisten, sowohl seitens OEMs als auch seitens der Zulieferer, und Deutschland verzeichnet europaweit mit Abstand die meisten Projekte im Bereich Batterieherstellung. Bis 2030 werden in Deutschland bis zu 100.000 neue Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen werden. Davon können auch deutsche Automobilzulieferer wie Dräxlmaier, Webasto oder Elring Klinger profitieren, die heute bereits als Lieferanten für Batterietechnologie auftreten.

Unter den Stichworten Elektromobilität und Zukunftstechnologien passen zunehmend Zulieferer ihre Strategien an. LG etwa steigt aus dem Smartphone-Geschäft aus und will sich künftig auf die Wachstumsbereiche Bauteile für Elektrofahrzeuge, vernetzte Geräte und künstliche Intelligenz konzentrieren. BorgWarner möchte durch Akquisitionen einerseits grundsätzlich wachsen und zugleich mehr Entwicklungen im Elektro-Bereich realisieren. Infineons Strategie ist die Stärkung des Kerngeschäfts mit Halbleitern und die Erschließung neuer Wachstumsmärkte, was unter anderem zur bereits genannten Akquisition von Cypress führte.

Ein Jahrzehnt Top 100

Seit zehn Jahren betrachtet Berylls jährlich die Top 100 der weltweiten Automobilzulieferer. In dieser Zeit hat sich viel auf den Märkten und in den Produktionshallen der Unternehmen abgespielt und bewegt. Damals, im Jahr 2011, war die Branche im Aufschwung nach der vorangegangenen weltweiten Finanzwirtschaftskrise. Die Umsätze stiegen seitdem Jahr für Jahr, von 2011 an (Euro 663 Milliarden) bis 2019 (Euro 914 Milliarden) um insgesamt 38 Prozent bzw. jährlich durchschnittlich 4,1 Prozent. Und auch die Profitabilität der 100 größten Zulieferer verbesserte sich bis 2017 jedes Jahr, lag dabei von 2012 bis 2018 beständig über 7 Prozent. 2020 liegen die Top 100 mit Gesamtumsätzen von knapp Euro 800 Milliarden etwa noch 20 Prozent über dem Niveau von vor zehn Jahren. Die Profitabilität hingegen liegt bei einem Allzeittief von lediglich etwa 3 Prozent – wenngleich im Jahr 2020 zu großen Teilen pandemiebedingt. 2019, im Jahr vor der Pandemie, lag die Marge noch bei 6 Prozent und war damit auf vergleichbarem Niveau wie 2011 (6,7 Prozent). Was ist also in diesen zehn Jahren passiert?

Im Laufe der Zeit hat sich die geographische Verteilung der großen Zulieferer verändert. Dabei gab es klare Verschiebungen von Zulieferern aus Deutschland, Japan und USA nach Asien. Asiatische Zulieferer (abgesehen von Japan) haben seit 2011 bei massivem Umsatzwachstum deutlich an Profitabilität eingebüßt, sind aber zunehmend in den Top-100 vertreten.

2020 haben es neunmal so viele chinesische Zulieferer in die Top 100 geschafft wie noch 2011. Damals war lediglich Weichai Power auf Rang 25 enthalten, das 2020 auf Rang 10 steht und acht weitere Unternehmen aus dem Reich der Mitte über das gesamte Feld der Top 100 verteilt hinter sich hat.

Die größten Umsatzgewinner seit 2011 sind ZF Friedrichshafen und Tenneco. Bosch hat seit dem Jahr 2015 Continental auf Platz 1 abgelöst und verteidigt bislang jedes Jahr diese Position. 2011 bis 2014 lag noch Continental auf Platz 1, stets knapp vor Bosch. Im Zeitraum 2013 bis 2016 verzeichneten die Top 100-Unternehmen vier gänzlich verlustfreie Jahre.

Die beste Entwicklung innerhalb der Top 100 machten Dräxlmaier (+ 31 Plätze), Grupo Antolin (+ 25 Plätze) und NGK Spark Plug (+ 21 Plätze). Die meisten Plätze verloren haben TS Tech (- 41 Plätze), Pirelli (- 31 Plätze) und Meritor (- 28 Plätze; nach Aufspaltung).
Innerhalb des vergangenen Jahrzehnts konnte man einige Unternehmen kommen und gehen sehen. Konzerne wie Johnson Controls oder Honeywell haben ihre Automotive-Sektoren abgespalten. Zulieferer TRW, Delphi Technologies, Calsonic, Behr oder Wabco sind übernommen worden. Wieder andere konnten mit den stetigen Umsatzsteigerungen der anderen Top 100 Teilnehmer nicht mithalten und waren aufgrund ihrer fehlenden Größe ausgeschieden, so etwa IAC, Rheinmetall Automotive oder Cooper Standard. Abspaltungen von Unternehmensteilen haben im Laufe der Jahre aber auch zu Neuzugängen geführt. So sind aktuelle Vertreter der Top 100 wie Aptiv, Adient, Clarios oder Garret Motion im Zuge ihrer Selbständigkeit nun seit einigen Jahren dabei. Abgesehen davon haben es Zulieferer aufgrund von starkem Umsatzwachstum aus eigener Kraft in die Liste der Größten geschafft, so etwa Flex-N-Gate, CATL, Piston Group sowie die deutschen Vertreter Aunde, Freudenberg und Infineon.

Die kommenden 10 Jahre werden zu deutlich stärkeren Umbrüchen führen. Lieferanten mit hohem Verbrenneranteil wie Mahle, BorgWarner, Tenneco oder Eberspächer, werden ohne ein Gegensteuern nach hinten durchgereicht. Elektrik-/Elektronikkonzerne mit starker Softwarekompetenz, wie Continental, Bosch oder Hella, werden überproportional wachsen. Die asiatischen, allen voran die chinesischen Zulieferunternehmen sowie die Player aus der IT- und Unterhaltungselektronik, Huawei, Samsung und LG, werden über Akquisitionen (auch) von Traditionsunternehmen kontinuierlich an Bedeutung zulegen. Das Gewicht wird sich stärken in Richtung Asien verlagern. Die deutschen Zulieferer sind allerdings gut gewappnet, um die nächste Phase der harten Transformation zu meistern.

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Jan Dannenberg (1962) ist seit 1990 Berater der Automobilindustrie und seit Mai 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Bis zum Frühjahr 2011 war er acht Jahre international als Partner – davon fünf Jahre als Associate Partner – für Mercer Management Consulting und Oliver Wyman tätig. Er ist ausgewiesener Spezialist für Innovationen und Markenmanagement in der Automobilindustrie und berät im Schwerpunkt Zulieferer und Investoren zu Strategie, Mergers & Acquisitions und Performance Improvement. Zudem ist er Geschäftsführer von Berylls Equity Partners, eine auf Mobilitätsunternehmen spezialisierte Beteiligungsgesellschaft.

Bachelor of Arts in Volkswirtschaftslehre von der Stanford University, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion an der Universität Bamberg.