Standpunkt

Pandemie, Chipmangel und politische Unruhen – kommt jetzt eine Rohstoffkrise?

Munich, November 2021
D

ie Automobilunternehmen mussten in den letzten Jahren auf zahlreiche externe Herausforderungen in den Lieferketten reagieren. Ein Mangel an ausgewählten Rohstoffen könnte die nächste Krise herbeiführen - Nickel, Kobalt und Magnesium sind mögliche Kandidaten.

In den letzten Jahren sah sich die Automobilindustrie mit einer Reihe schwerwiegender Herausforderungen in den Lieferketten konfrontiert. Die Covid-19 Pandemie, der Halbleiter-Mangel und nun die Unruhen in Osteuropa haben enormen Schaden angerichtet. Die Fahrzeugproduktion ist infolge um 8 Prozent von 90 Millionen Einheiten im Jahr 2019 auf 83 Millionen im Jahr 2021 zurückgegangen.

Automobilhersteller und -zulieferer haben wiederholt schnelle Eingreiftruppen zur Lösung dieser Probleme eingesetzt. So musste der Volkswagen Konzern Anfang 2020 in rascher Folge verschiedene Task Forces einrichten, um die Markteinführung des ID.3 zu unterstützen, den Chipmangel zu beheben und die Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen. Das Dilemma von Volkswagen steht stellvertretend für ein strukturelles Problem der gesamten globalen Automobilindustrie.

Bisher hat die Branche auf diese scheinbar endlose Reihe von Herausforderungen in der Lieferkette meist nur reaktiv reagiert. Die aktuelle Situation in Osteuropa ist das jüngste Beispiel dafür. Einige Hersteller müssen beispielsweise Zweitlieferanten für Kabelbäume aufbauen, die vorher in der Ukraine hergestellt wurden.

Rückblickend wird deutlich, dass eine strategische Analyse neuer proaktiver Ansätze erforderlich ist, um die Risiken in der Lieferkette zu reduzieren. Daher sind die Zulieferer gut darin beraten die durchgängige Transparenz und Früherkennung von Problemen in ihren Lieferketten zu erhöhen und die Lieferketten so auszulegen, dass der Zugang zu wichtigen Märkten und Rohstoffen sichergestellt ist. Ferner wird es zunehmend wichtiger werden Investitionsentscheidungen zwischen ökonomisch präferierten und Risiko minimierenden Optionen auszubalancieren. In Konsequenz brauchen Zulieferer, aber auch Fahrzeughersteller, ein umfassendes Verständnis der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der Lieferkette, um diese Ansätze umsetzen zu können.

Der Weg in die Zukunft – Engpässe bei Nickel, Kobalt und Magnesium sind die nächste Gefahr für die Lieferkette

Der Mangel an ausgewählten Rohstoffen bietet Potential die nächste große Herausforderung für die globalen Automobilzulieferketten zu werden (vgl. Abbildung 1). Steigende Energiekosten erhöhen die Kosten für die Produktion und den Transport von Rohstoffen, während der Übergang zur Elektromobilität die Zulieferer zwingt, die Risikoprofil für kritische Rohstoffe zu überprüfen. Beispielsweise zeigt eine Analyse von 53 Rohstoffen, die für Elektro- und Hybridfahrzeuge benötigt werden, dass für 41 dieser Rohstoffe ein erhöhtes Beschaffungsrisiko besteht. Nickel, Kobalt und Magnesium gelten dabei als besonders risikoreich.

Nickel ist ein wichtiger Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien, wobei ein höherer Nickelanteil die Energiedichte und damit die Reichweite von Elektrofahrzeugen erhöht. Da sich der Wandel der Elektromobilität beschleunigt, wird die Nickelnachfrage zwischen 2021 und 2030 voraussichtlich um rund 48% steigen. Russland ist der weltweit größte Nickelproduzent. Angesichts der ungewissen Dauer, des Ausgangs und der unklaren Auswirkungen auf die künftigen Handelsbeziehungen mit Russland, erhöht sich das Beschaffungsrisiko drastisch.

Kobalt ist ein weiterer wichtiger Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien. Seit 2019 hat sich der Kobaltpreis verdreifacht, und die Nachfrage wird sich zwischen 2021 und 2030 voraussichtlich verfünffachen. Bei diesem Tempo werden die weltweiten Kobaltreserven bis 2033 erschöpft sein. Das sich abzeichnende Beschaffungsrisiko für Kobalt konzentriert sich dabei auf zwei Länder: Einerseits die Demokratische Republik Kongo (DRK), die über etwa 60 % der weltweiten Reserven verfügt und anderseits China, das durch aggressive Investitionen in einheimische Kobaltförderer, derzeit mehr als 50 % der Kobaltproduktion der DRK kontrolliert. Infolgedessen findet etwa 70 % der raffinierten Kobaltproduktion in China statt, was zu einer starken Abhängigkeit der Automobilindustrie von dieser dominanten Lieferkette führt.

China deckt gleichzeitig etwa 90 % der globalen Magnesiumnachfrage ab und nimmt dadurch eine Quasi-Monopolstellung ein. Die Automobilindustrie ist dabei einer der größten Verbraucher von Magnesium, das hier vor allem im Leichtbau verwendet wird und gleichzeitig für die Herstellung von Aluminium unerlässlich ist. So wird der Magnesiumverbrauch der Branche zwischen 2021 und 2030 voraussichtlich um durchschnittlich 7,6 % pro Jahr steigen. Der Grund liegt in der Notwendigkeit leichtere Fahrzeuge herzustellen, um die Emissionen fossiler Brennstoffe zu verringern sowie die Reichweite von Elektro- und Hybridmodellen zu erhöhen. Eine kontinuierliche Versorgung mit chinesischem Magnesium ist daher für die Automobilhersteller von existenzieller Bedeutung, zumal Magnesium nur für kurze Zeit gelagert werden kann.  Im vergangenen Jahr wurde das Beschaffungsrisiko in China deutlich, als das Land seine Produktion drastisch drosselte, um die Emissionsvorschriften einzuhalten. Die Magnesiumexporte aus China brachen ein und trieben die Weltmarktpreise um bis zu 700 % in die Höhe.

Autoren
Dr. Ralf Walker

Partner

Peter Trögel

Principal

Christian Grimmelt

Principal

Eren Duygun

Consultant

Drei Schritte, um der nächsten Krise in der Lieferkette einen Schritt voraus zu sein  

Die alarmierenden Beschaffungsrisiken insbesondere bei Magnesium, Kobalt und Nickel unterstreichen, warum die Automobilzulieferer aktiv und entschlossen handeln müssen. Proaktive und strategische Antworten gilt es zeitnah zu entwickeln, um die Herausforderungen in der Lieferkette antizipieren zu können.

Zulieferer wie Hersteller sollten zunächst die durchgängige Transparenz und Früherkennung in den Lieferketten erhöhen. Neben der allgemeinen Transparenz, werden datengetriebene und KI-gestützte Risiko-Radarsysteme benötigt. Dieses bietet nicht nur Transparenz über die gesamte Lieferkette bis zu den untersten Ebenen, sondern ermöglichen durch den Einsatz von KI auch Vorhersagen über mögliche Verfügbarkeitsengpässe.

Zudem sollten Zulieferer ihre Lieferketten so gestalten, dass der Zugang zu wichtigen Märkten und Rohstoffen gesichert ist. Dies ist von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der Produktionsflexibilität, indem eine rohstoffspezifische oder komponentenspezifische Strategie entwickelt wird, die festlegt, welche Komponenten lokal oder global beschafft werden. Ebenso sollte eine Entscheidung für eine Single- oder Dual-Source-Strategie getroffen werden, die auf einer Risikobewertung von Lieferanten und Rohstoffen beruht.

Abschließend sollten Investitionen und Risiken gegeneinander abgewogen werden. Sie müssen beurteilen, ob sie für zusätzliche Versorgungssicherheit ein Premium zahlen wollen oder ein Risikofond für die Finanzierung von möglichen „Was-wäre-wenn-Szenarien“ (z.B. Ausfällen, Anlaufschwierigkeiten etc.) aufbauen müssen.

Der schlechteste Weg wäre, sich weiterhin auf die bisherigen, traditionellen Systeme und Prozesse des Risikomanagements in der Lieferkette und der Beschaffung zu verlassen. Seit 2020 navigieren Hersteller und Zulieferer durch ein globales Umfeld, in dem Kriege, Handelskonflikte, COVID-19, neue Technologien und der Übergang zur Elektromobilität an der Tagesordnung sind. Sie sorgen dafür, dass Risiken schnell aus dem nichts entstehen und ein Engpass in der Lieferkette direkt auf den nächsten folgt. Durch proaktive strategische Lösungsansätze können die Automobilzulieferer den Herausforderungen erfolgreich entgegenwirken und die Risiken effektiv minimieren.

Über den Autor
Peter Trögel

Peter unterstützt Unternehmen bei komplexen strategischen und operativen Herausforderungen in der Automobilindustrie. Er ist Experte für Operations und kann auf eine langjährige Erfahrung im Transformations-Umfeld blicken. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Entwicklung, Industrialisierung und Produktion. Zusätzlich verantwortet Peter die digitale Task Force Lösung von Berylls Digital Ventures – elyvate.

Peter leitet zudem das Nachhaltigkeit Service Offering bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors). Dabei unterstützt er Klienten nachhaltige Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie zu entwickeln und umzusetzen.

Vor seinem Einstieg bei Berylls war Peter unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy als Mitglied der Geschäftsführung tätig. Er hält einen Diplomabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und von der University of Technology Sydney (UTS).

Dr. Ralf Walker

Dr. Ralf Walker (1969) ist seit September 2021 als Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Seine Expertisen liegen in den Bereichen Operations und Task-Forces.
Er berät seit 2008 Automobilhersteller und -lieferanten im globalen Kontext. Des Weiteren verfügt er über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Launch & Ramp up Management, Turnaround Management, Produktions- & Supply Chain-Optimierung, Lean Management sowie Strategieentwicklung & Footprint-Optimierung.
Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem 18 Jahre bei PwC Strategy&, Booz & Co, Management Engineers und dem Fraunhofer IPT sowie 5 Jahre bei GKN als Leiter des europäischen Teams und Mitglied des globalen Teams zur Einführung von Lean- und Business Excellence-Prinzipien, Produktionsleiter und Leiter Industrial Engineering tätig.
Er studierte an der RWTH Aachen Maschinenbau und promovierte am Fraunhofer IPT in Aachen.

Christian Grimmelt

Christian Grimmelt (1985) ist seit Februar 2021 fester Bestandteil des Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) Teams. Zuvor hat er bereits umfangreiche Berufserfahrung in Topmanagementberatungen und in der Automobil-Zuliefererbranche gesammelt.

Während seiner Zeit bei dem weltweit größten Automobil-Zulieferer hat er den Aufbau einer Zentraleinheit zur Optimierung des weltweiten Logistik- und Produktionsnetzwerkes des Unternehmens vorangetrieben.

Christian Grimmelts Beratungsschwerpunkte sind die Themen Logistik- und Produktionsnetzwerkoptimierung, Einkauf und (digital) Operations inklusive Anlauf- und Turnaround-Management für OEMs und insbesondere Zulieferer.

Christian Grimmelt besitzt ein Diplom für Wirtschaftsingenieurwesen vom Karlsruher Institut für Technologie.

Standpunkt

Wachstum unter Unsicherheit – kein Widerspruch

Munich, November 2021
D

er Bedarf für Veränderungen war in der Automobilindustrie nie größer als heute und zwingt Automobilhersteller wie -zulieferer dazu, getroffene Entscheidungen kurzfristig zu überdenken. Halbleitermangel, Versorgungsunsicherheiten, pandemiebedingte Produktionsausfälle, Elektromobilität und ESG fordern die gesamte Industrie tagtäglich aufs Neue heraus und stellen etablierte Strukturen zunehmend in Frage.

Die gute Nachricht ist: die Automobilindustrie hat sich trotz dem gebotenen Veränderungsbedarf im letzten Jahr wirtschaftlich positiv entwickelt und ist damit weltweit ein wirtschaftlicher Wachstumstreiber.

So konnten die größten Automobilhersteller im letzten Jahr Umsätze von 1,4 Billionen EUR erwirtschaften und lagen damit auf einem Niveau von 2019. Auch die Profitabilität lag im Durchschnitt bei rekordverdächtigen 7,6%. Gleiches gilt auch für die Zuliefererindustrie. In 2021 konnten die größten Zulieferer im Durchschnitt die Umsätze um 16% steigern und müssen daher den Vergleich mit den Erfolgsjahren 2018/19 nicht scheuen. Auch die Gewinnmargen lagen mit 6,3% über dem Niveau von 2019, aber deutlich unter den Margen der Hersteller. Zentrale technologische Wachstumsbereiche sind wieder mal Komponenten für den elektrischen Antriebsstrang sowie das autonome Fahren. Damit lässt sich zusammenfassen, dass sich die Automobilindustrie im letzten Jahr zunehmend besser auf die Unsicherheiten und Krisen eingestellt hat und 2021 unter dem Zeichen der wirtschaftlichen Erholung stand.

Auch wenn diese Entwicklung auf den ersten Blick Anlass zur Freude ist und die Belastbarkeit der Automobilindustrie verdeutlich, darf man sich vom Schein nicht trügen lassen: der Transformationsbedarf bleibt für die gesamte Industrie unverändert hoch. Mit dem Einstieg in das Zeitalter der Elektromobilität werden Zulieferer und Hersteller zunehmend unter Kostendruck geraten und müssen zeitgleich massiv ihre Produktionskapazitäten ausbauen, um den stark wachsenden Bedarf der Endkunden nach batterieelektrischen Fahrzeugen gerecht zu werden. Ferner gilt es Lieferketten für beschaffungskritische Komponenten und Rohstoffe im Einklang mit den ESG-Kriterien für die Zukunft abzusichern.

Die skizzierten Herausforderungen lassen sich eindrucksvoll und anschaulich am Beispiel der Batteriezelle verdeutlichen. Zulieferer und Hersteller bauen derzeit weltweit Produktionskapazitäten für die Zellherstellung auf. So werden in Europa die Fertigungskapazität bis Ende des Jahrzehntes jährlich um 1.300 GWh zunehmen, über 30% davon allein in Europa. Zeitgleich gilt es Kosteneinsparungen von über 30% in der Batteriezelle zu realisieren, um den Umstieg auf die Elektromobilität für den Endkunden kostenseitig attraktiv zu gestalten. Dazu müssen neue Zellchemien entwickelt und erprobt werden sowie Zelldesign und -produktion optimiert werden. Zudem ist die Herstellung von Batteriezellen, zu mindestens derzeit noch, ein wahrer Energiefresser und macht 30% der Energie aus, welche für die Herstellung eines batterieelektrischen Autos erforderlich ist. Die Verfügbarkeit von Grünstrom wird aus ESG-Sicht neben den Energiekosten damit zu einem entscheidenden Kriterium beim Aufbau neuer Produktionsstandorte. Für die Zellherstellung werden zudem Kobalt und Nickel benötigt – beides Rohstoffe mit einem hohen Beschaffungsrisiko. Der größte Nickelproduzent weltweit ist Russland und der Bedarf an Kobalt wird bis 2030 um atemberaubende 400% ansteigen, so dass die weltweiten Nickelvorkommen bis zu Beginn des neuen Jahrzehntes aufgebraucht sein werden. Weitere Herausforderungen ergeben sich in der Softwareentwicklung und -validierung für die Batteriemanagementsysteme, um über die Fahrzeuglebensdauer die gewünschten Reichweiten und Leistungseigenschaften realisieren zu können.

Damit ist klar – die Automobilindustrie befindet sich derzeit in einem massiven Umbruch, der die Branche auch die nächsten Jahre noch begleiten wird. Dies drückt sich auch in einer reduzierten Investitionsbereitschaft von Private-Equity Investoren aus. So sind 73% der Investoren der Auffassung, dass Investitionen in die Automobilindustrie an Attraktivität verloren haben.

Zeiten des Umbruchs und der Veränderung bieten Herstellern wie Zulieferern gleichermaßen auch die Chance, die Zukunft der Automobilindustrie aktiv mitzugestalten. Dazu gilt es die eigene Wertschöpfungstiefe anzupassen, strategische Kooperationen und Partnerschaften zu stärken sowie technologische Innovationen voranzutreiben.

Autor
Dr. Alexander Timmer

Partner

Über den Autor
Dr. Alexander Timmer

Dr. Alexander Timmer (1981) ist seit Mai 2021 als Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Markteintritts- und Wachstumsstrategien, M&A und kann auf eine langjährige Erfahrung im Operations-Umfeld zurückschauen. Dr. Alexander Timmer berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Er verfügt über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Portfolioplanung, Entwicklung und Produktion. Zu seinen weiteren fachlichen Schwerpunkten zählen unter anderem Digitalisierung und der Themenkomplex rund um die Elektromobilität.
Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy& als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig.
Im Anschluss an sein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen und der Chalmers University in Göteborg promovierte er im Bereich der Fertigungstechnologien am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.

Standpunkt

Pandemie, Chipmangel und politische Unruhen – kommt jetzt eine Rohstoffkrise?

München, Juni 2022
D

ie Automobilunternehmen mussten in den letzten Jahren auf zahlreiche externe Herausforderungen in den Lieferketten reagieren. Ein Mangel an ausgewählten Rohstoffen könnte die nächste Krise herbeiführen - Nickel, Kobalt und Magnesium sind mögliche Kandidaten.

In den letzten Jahren sah sich die Automobilindustrie mit einer Reihe schwerwiegender Herausforderungen in den Lieferketten konfrontiert. Die Covid-19 Pandemie, der Halbleiter-Mangel und nun die Unruhen in Osteuropa haben enormen Schaden angerichtet. Die Fahrzeugproduktion ist infolge um 8 Prozent von 90 Millionen Einheiten im Jahr 2019 auf 83 Millionen im Jahr 2021 zurückgegangen.

Automobilhersteller und -zulieferer haben wiederholt schnelle Eingreiftruppen zur Lösung dieser Probleme eingesetzt. So musste der Volkswagen Konzern Anfang 2020 in rascher Folge verschiedene Task Forces einrichten, um die Markteinführung des ID.3 zu unterstützen, den Chipmangel zu beheben und die Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen. Das Dilemma von Volkswagen steht stellvertretend für ein strukturelles Problem der gesamten globalen Automobilindustrie.

Bisher hat die Branche auf diese scheinbar endlose Reihe von Herausforderungen in der Lieferkette meist nur reaktiv reagiert. Die aktuelle Situation in Osteuropa ist das jüngste Beispiel dafür. Einige Hersteller müssen beispielsweise Zweitlieferanten für Kabelbäume aufbauen, die vorher in der Ukraine hergestellt wurden.

Rückblickend wird deutlich, dass eine strategische Analyse neuer proaktiver Ansätze erforderlich ist, um die Risiken in der Lieferkette zu reduzieren. Daher sind die Zulieferer gut darin beraten die durchgängige Transparenz und Früherkennung von Problemen in ihren Lieferketten zu erhöhen und die Lieferketten so auszulegen, dass der Zugang zu wichtigen Märkten und Rohstoffen sichergestellt ist. Ferner wird es zunehmend wichtiger werden Investitionsentscheidungen zwischen ökonomisch präferierten und Risiko minimierenden Optionen auszubalancieren. In Konsequenz brauchen Zulieferer, aber auch Fahrzeughersteller, ein umfassendes Verständnis der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der Lieferkette, um diese Ansätze umsetzen zu können.

Der Weg in die Zukunft – Engpässe bei Nickel, Kobalt und Magnesium sind die nächste Gefahr für die Lieferkette

Der Mangel an ausgewählten Rohstoffen bietet Potential die nächste große Herausforderung für die globalen Automobilzulieferketten zu werden. Steigende Energiekosten erhöhen die Kosten für die Produktion und den Transport von Rohstoffen, während der Übergang zur Elektromobilität die Zulieferer zwingt, die Risikoprofile für kritische Rohstoffe zu überprüfen. Beispielsweise zeigt eine Analyse von 53 Rohstoffen, die für Elektro- und Hybridfahrzeuge benötigt werden, dass für 41 dieser Rohstoffe ein erhöhtes Beschaffungsrisiko besteht. Nickel, Kobalt und Magnesium gelten dabei als besonders risikoreich (vgl. Abbildung 1).

Nickel ist ein wichtiger Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien, wobei ein höherer Nickelanteil die Energiedichte und damit die Reichweite von Elektrofahrzeugen erhöht. Da sich der Wandel der Elektromobilität beschleunigt, wird die Nickelnachfrage zwischen 2021 und 2030 voraussichtlich um rund 48% steigen. Russland ist der weltweit größte Nickelproduzent. Angesichts der ungewissen Dauer, des Ausgangs und der unklaren Auswirkungen auf die künftigen Handelsbeziehungen mit Russland, erhöht sich das Beschaffungsrisiko drastisch.

Kobalt ist ein weiterer wichtiger Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien. Seit 2019 hat sich der Kobaltpreis verdreifacht, und die Nachfrage wird sich zwischen 2021 und 2030 voraussichtlich verfünffachen. Bei diesem Tempo werden die weltweiten Kobaltreserven bis 2033 erschöpft sein. Das sich abzeichnende Beschaffungsrisiko für Kobalt konzentriert sich dabei auf zwei Länder: Einerseits die Demokratische Republik Kongo (DRK), die über etwa 60 % der weltweiten Reserven verfügt und anderseits China, das durch aggressive Investitionen in einheimische Kobaltförderer, derzeit mehr als 50 % der Kobaltproduktion der DRK kontrolliert. Infolgedessen findet etwa 70 % der raffinierten Kobaltproduktion in China statt, was zu einer starken Abhängigkeit der Automobilindustrie von dieser dominanten Lieferkette führt.

China deckt gleichzeitig etwa 90 % der globalen Magnesiumnachfrage ab und nimmt dadurch eine Quasi-Monopolstellung ein. Die Automobilindustrie ist dabei einer der größten Verbraucher von Magnesium, das hier vor allem im Leichtbau verwendet wird und gleichzeitig für die Herstellung von Aluminium unerlässlich ist. So wird der Magnesiumverbrauch der Branche zwischen 2021 und 2030 voraussichtlich um durchschnittlich 7,6 % pro Jahr steigen. Der Grund liegt in der Notwendigkeit leichtere Fahrzeuge herzustellen, um die Emissionen fossiler Brennstoffe zu verringern sowie die Reichweite von Elektro- und Hybridmodellen zu erhöhen. Eine kontinuierliche Versorgung mit chinesischem Magnesium ist daher für die Automobilhersteller von existenzieller Bedeutung, zumal Magnesium nur für kurze Zeit gelagert werden kann.  Im vergangenen Jahr wurde das Beschaffungsrisiko in China deutlich, als das Land seine Produktion drastisch drosselte, um die Emissionsvorschriften einzuhalten. Die Magnesiumexporte aus China brachen ein und trieben die Weltmarktpreise um bis zu 700 % in die Höhe.

Autoren
Dr. Ralf Walker

Partner

Peter Trögel

Principal

Christian Grimmelt

Principal

Eren Duygun

Consultant

Drei Schritte, um der nächsten Krise in der Lieferkette einen Schritt voraus zu sein  

Die alarmierenden Beschaffungsrisiken insbesondere bei Magnesium, Kobalt und Nickel unterstreichen, warum die Automobilzulieferer aktiv und entschlossen handeln müssen. Proaktive und strategische Antworten gilt es zeitnah zu entwickeln, um die Herausforderungen in der Lieferkette antizipieren zu können.

Zulieferer wie Hersteller sollten zunächst die durchgängige Transparenz und Früherkennung in den Lieferketten erhöhen. Neben der allgemeinen Transparenz werden datengetriebene und KI-gestützte Risiko-Radarsysteme benötigt. Dieses bietet nicht nur Transparenz über die gesamte Lieferkette bis zu den untersten Ebenen, sondern ermöglichen durch den Einsatz von KI auch Vorhersagen über mögliche Verfügbarkeitsengpässe.

Zudem sollten Zulieferer ihre Lieferketten so gestalten, dass der Zugang zu wichtigen Märkten und Rohstoffen gesichert ist. Dies ist von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der Produktionsflexibilität, indem eine rohstoffspezifische oder komponentenspezifische Strategie entwickelt wird, die festlegt, welche Komponenten lokal oder global beschafft werden. Ebenso sollte eine Entscheidung für eine Single- oder Dual-Source-Strategie getroffen werden, die auf einer Risikobewertung von Lieferanten und Rohstoffen beruht.

Abschließend sollten Investitionen und Risiken gegeneinander abgewogen werden. Sie müssen beurteilen, ob sie für zusätzliche Versorgungssicherheit ein Premium zahlen wollen oder ein Risikofond für die Finanzierung von möglichen „Was-wäre-wenn-Szenarien“ (z.B. Ausfällen, Anlaufschwierigkeiten etc.) aufbauen müssen.

Der schlechteste Weg wäre, sich weiterhin auf die bisherigen, traditionellen Systeme und Prozesse des Risikomanagements in der Lieferkette und der Beschaffung zu verlassen. Seit 2020 navigieren Hersteller und Zulieferer durch ein globales Umfeld, in dem Kriege, Handelskonflikte, COVID-19, neue Technologien und der Übergang zur Elektromobilität an der Tagesordnung sind. Sie sorgen dafür, dass Risiken schnell aus dem nichts entstehen und ein Engpass in der Lieferkette direkt auf den nächsten folgt. Durch proaktive strategische Lösungsansätze können die Automobilzulieferer den Herausforderungen erfolgreich entgegenwirken und die Risiken effektiv minimieren.

Über den Autor
Peter Trögel

Peter unterstützt Unternehmen bei komplexen strategischen und operativen Herausforderungen in der Automobilindustrie. Er ist Experte für Operations und kann auf eine langjährige Erfahrung im Transformations-Umfeld blicken. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Entwicklung, Industrialisierung und Produktion. Zusätzlich verantwortet Peter die digitale Task Force Lösung von Berylls Digital Ventures – elyvate.

Peter leitet zudem das Nachhaltigkeit Service Offering bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors). Dabei unterstützt er Klienten nachhaltige Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie zu entwickeln und umzusetzen.

Vor seinem Einstieg bei Berylls war Peter unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy als Mitglied der Geschäftsführung tätig. Er hält einen Diplomabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und von der University of Technology Sydney (UTS).

Dr. Ralf Walker

Dr. Ralf Walker (1969) ist seit September 2021 als Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Seine Expertisen liegen in den Bereichen Operations und Task-Forces.
Er berät seit 2008 Automobilhersteller und -lieferanten im globalen Kontext. Des Weiteren verfügt er über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Launch & Ramp up Management, Turnaround Management, Produktions- & Supply Chain-Optimierung, Lean Management sowie Strategieentwicklung & Footprint-Optimierung.
Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem 18 Jahre bei PwC Strategy&, Booz & Co, Management Engineers und dem Fraunhofer IPT sowie 5 Jahre bei GKN als Leiter des europäischen Teams und Mitglied des globalen Teams zur Einführung von Lean- und Business Excellence-Prinzipien, Produktionsleiter und Leiter Industrial Engineering tätig.
Er studierte an der RWTH Aachen Maschinenbau und promovierte am Fraunhofer IPT in Aachen.

Christian Grimmelt

Christian Grimmelt (1985) ist seit Februar 2021 fester Bestandteil des Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) Teams. Zuvor hat er bereits umfangreiche Berufserfahrung in Topmanagementberatungen und in der Automobil-Zuliefererbranche gesammelt.

Während seiner Zeit bei dem weltweit größten Automobil-Zulieferer hat er den Aufbau einer Zentraleinheit zur Optimierung des weltweiten Logistik- und Produktionsnetzwerkes des Unternehmens vorangetrieben.

Christian Grimmelts Beratungsschwerpunkte sind die Themen Logistik- und Produktionsnetzwerkoptimierung, Einkauf und (digital) Operations inklusive Anlauf- und Turnaround-Management für OEMs und insbesondere Zulieferer.

Christian Grimmelt besitzt ein Diplom für Wirtschaftsingenieurwesen vom Karlsruher Institut für Technologie.

Standpunkt

Todgesagte leben länger

Munich, December 2021
D

ie Totengesänge auf die klassische (deutsche) Automobilindustrie wurden in den vergangenen Jahren immer lauter: Unzeitgemäße Produkte, an den Kundenbedürfnisse vorbei entwickelte Mobilitätslösungen, keinerlei Nachhaltigkeit im Geschäftsmodell, unflexible und langsame Firmenstrukturen und -prozesse. Kein Attribut für eine scheiternde Industrie wurde ausgelassen, um den Zustand der wichtigsten Industrie in Deutschland zu beschreiben. Die Realität zeigt sich jedoch ganz anders.

Autor
Dr. Jan Dannenberg

Executive Partner

Die wirtschaftlichen Folgen von Corona hat die Mehrzahl der OEMs und Zulieferer gut überstanden. Die vorhergesagte Pleitewelle ist (bislang) ausgeblieben. Aus der Finanzkrise 2009, in der über 120 namhafte Zulieferer in die Insolvenz gingen, hat man gelernt. Auch wenn aktuell die Lieferketten noch nicht reibungslos laufen, im 4. Quartal 2020 konnten Automobilunternehmen bereits wieder mit Spitzenwerten bei Umsatz und Gewinn aufwarten.

Auch ist das Feld der Elektromobilität noch längst nicht verloren. Aktuell liegt zwar die Börsenkapitalisierung des Elektro-Pioniers Tesla bei gut Euro 500 Milliarden, also knapp dem Doppelten der drei deutschen OEMs BMW, Daimler und Volkswagen. Allerdings bringt Tesla in den Jahren 2020/21 nur fünf neue Modelle/ Derivate in den Markt, die drei deutschen OEMs warten mit einer wahren Modellflut von 88 neuen Fahrzeugen mit Elektroantrieb (BEV und Hybrid) auf. Und der Mercedes Benz EQS ist der neue Standard für batterie-elektrische Autos. Audi hat als erste deutsche Marke den Komplettausstieg aus dem Verbrenner angekündigt. Die Herausgeforderten holen also rasant auf.

Überhaupt gestalten deutsche OEMs und Zulieferer die Transformation der Automobilindustrie aktiv mit. Ein Drittel der weltweiten F&E Ausgaben von Automobilherstellern stammen aus Wolfsburg, München und Stuttgart; in den kommenden 10 Jahren werden mehr als Euro 300 Milliarden für Innovationen ausgegeben. Die meisten Gelder fließen in den Aufbau von Software-Kompetenzen, in automatisiertes Fahren, emissionsfreie (Elektro-)Antriebe und Konnektivität, um auch in Zukunft einen attraktiven Individualverkehr zu gewährleisten. Die stetig strenger werdenden Emissionsvorschriften können aktuell eingehalten werden: im Jahr 2020 erreichte die europäische Flotte an Neuwagen mit 97 Gramm CO2 pro Kilometer knapp den Grenzwert von 96 Gramm je Fahrzeug. Und auch die neuen EU 7 Vorschriften werden dank Elektrooffensive und verbesserten Verbrennertechnologien erreicht werden.

Selbst den Herausforderungen der Big Tech Player, Google, Apple, Microsoft, Huawei oder Samsung stellt man sich und sitzt sie nicht aus. Das „software defined car“ ist in den Führungsetagen der Zulieferer und OEMs angekommen. Volkswagen, Bosch, Conti & Co. beschäftigen bereits hunderttausende Softwareentwickler. Und nach dem Motto: „Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann verbünde dich mit ihnen“ werden kontinuierlich neue Partnerschaften mit Big Tech Unternehmen geschlossen.

Der Wandel der Automobilindustrie ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Die deutschen Automobilzulieferer und -hersteller machen jedoch ihre Hausaufgaben, Schritt für Schritt, und sie werden dann zu den Gewinnern zählen. 

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Jan Dannenberg (1962) ist seit 1990 Berater der Automobilindustrie und seit Mai 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Bis zum Frühjahr 2011 war er acht Jahre international als Partner – davon fünf Jahre als Associate Partner – für Mercer Management Consulting und Oliver Wyman tätig. Er ist ausgewiesener Spezialist für Innovationen und Markenmanagement in der Automobilindustrie und berät im Schwerpunkt Zulieferer und Investoren zu Strategie, Mergers & Acquisitions und Performance Improvement. Zudem ist er Geschäftsführer von Berylls Equity Partners, eine auf Mobilitätsunternehmen spezialisierte Beteiligungsgesellschaft.

Bachelor of Arts in Volkswirtschaftslehre von der Stanford University, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion an der Universität Bamberg.