DACH Automobilindustrie

Vollgas in Richtung Zukunft

München, August 2017
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nbeirrt von den Diskussionen um das Ende des Verbrennungsmotors, das Potenzial von autonom fahrenden Taxiflotten und einem in Europa vermeintlich schwindenden Auto-Enthusiasmus, blicken die weltweit 100 größten Zulieferer erneut auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr zurück. Allerdings wächst neue Konkurrenz heran, die vor allem auf den hinteren Rängen für Bewegung sorgen wird.

Um sich einen Überblick über die zehn größten internationalen Automobilzulieferer des vergangenen Geschäftsjahres zu verschaffen, reicht ein Blick in die Top 100 des Jahres 2016: Aufsteiger oder Absteiger aus den Spitzenrängen gab es im vergangenen Jahr keine. Unangefochten liegt Bosch mit 47,4 Milliarden Euro Umsatz (Unternehmensbereich Mobility Solutions) auf Platz eins, gefolgt von Continental (44 Milliarden Euro) und Denso (umgerechnet 36,4 Milliarden Euro). Das Spitzentrio verteidigt seine Positionen hartnäckig und war bereits in den vergangenen beiden Jahren in dieser Reihenfolge im Berylls TOP 100 Zulieferer-Ranking vertreten. Gegenüber dem Vorjahr ist der Abstand auf den Viertplatzierten mit 2,9 Milliarden Euro spürbar gewachsen (2016: 1,7 Milliarden Euro). Den Erfolg der großen Drei sichert die Tatsache, dass weltweit wohl nur sehr wenige Autos produziert werden, die ganz ohne Bauteile der Top-Player von den Bändern laufen – ganz egal ob es sich um Budget-Cars oder Luxus-Limousinen, E-Mobile oder konventionell angetriebene Modelle handelt.

Ein erster Blick auf die TOP 100-Tabelle offenbart ein geteiltes Bild: An vielen Stellen sind Umsatzrückgänge erkennbar. Bei immerhin acht Unternehmen aus den Top 20 zeigen sich negative Umsatzentwicklungen, vor allem asiatische und amerikanische Unternehmen finden sich in dieser Gruppe. Verantwortlich für diesen Eindruck sind allerdings nicht schlechte Geschäfte, sondern besonders heftige Währungskurseffekte im Jahr 2017. Denn gegenüber dem Euro – in dem die Ergebnisse der Berylls TOP 100 einheitlich ausgewiesen werden – haben alle anderen relevanten Währungen zum Teil deutlich an Wert verloren. Besonders hart traf es den Dollar, dessen Wert zum Stichtag 31.12.2017 um mehr als zwölf Prozent gegenüber dem EURO verlor. Einflüsse aus Währungskursentwicklungen hat es bei den Berylls TOP 100 allerdings auch in den vergangenen Jahren gegeben. Dass allerdings alle Wechselkurse gegenüber dem Euro nachgegeben haben, ist die große Ausnahme und ließ sich zuletzt im Jahr 2013 beobachten. In der aktuellen Übersicht haben alle Zulieferer ihren Umsatz im Mittel lediglich um 0,9 Prozent steigern können. In 2016 – einem Jahr mit wesentlich stärkerem Dollar – waren es noch rund sechs Prozent. Blendet man die Währungseffekte aus, kann die Zuliefererindustrie auf einen gemittelten Umsatzzuwachs von 8,6 Prozent zurückblicken – es ging also weiter aufwärts im vergangenen Jahr.

Vor allem für die deutschen Zulieferer lief es rund. 18 deutsche Unternehmen sind unter den TOP 100 zu finden. Auch Knorr-Bremse ist nach einem Umsatzplus von 16 Prozent wieder vertreten (Rang 87). Zu den großen Gewinnern zählt auch Freudenberg durch die Vollkonsolidierung des ehemaligen Joint Ventures Vibracoustics mit einem Sprung von Platz 84 auf die Position 60. Fünf Plätze konnten sich die deutschen Zulieferer im vergangenen Jahr im Schnitt nach vorn arbeiten. Ein Grund hierfür ist, dass die Innovationskraft der Deutschen nach wie vor ungebrochen ist. Als Beispiel dient ein Blick auf die Anzahl der angemeldeten Patente, die in den Jahren 2010 bis 2017 für Technologien zum autonomen Fahren erteilt wurden. Hier liegt Bosch mit 958 Anmeldungen unangefochten an Platz eins, gefolgt von Audi (516 Patente) auf Rang zwei und Continental mit 439 Patenten auf Rang drei. Asiatische oder amerikanische Zulieferer sind unter den zehn Besten in diesem Ranking nicht vertreten.

Blickt man auf die anderen europäischen Zulieferer ergibt sich ebenfalls ein erfreuliches Bild. Mit einer Ausnahme. Ein Sonderfall unter den Europäern ist sicher IAC (International Automotive Components) mit amerikanischen Wurzeln und Firmensitz in Luxemburg. Der Spezialist für Interieurkomponenten gehört zum US-Finanzinvestor Wilbur Ross und stürzte 2017 um 21 Plätze im Ranking auf die Position 66 ab. IAC musste umgerechnet einen Umsatzeinbruch von 35,5 Prozent verkraften. Die Auszeichnung durch GM als Supplier of the Year 2017 ist da kaum tröstlich. Immerhin konnte das Unternehmen im April 2018 den Abschluss einer neuen Finanzierungrunde bekanntgeben und mit Gamut Capital Management einen neuen Minderheitseigner für sich gewinnen. Die Talsohle soll nach eigenen Angaben damit durchschritten sein. Einen leichten Umsatzrückgang musste auch die Grupo Antolin (Rang 52) verzeichnen, die 2016 nach der Übernahme von Magna Interior Business noch einen signifikanten Umsatzsprung verzeichnet hatte.

Bislang generiert die klassische  Welt der Automobilindustrie also gute bis sehr gute Umsätze. Schließlich ist der sogenannte Tipping Point bei Verbrennungsmotoren noch nicht erreicht: Weltweit werden Bauteile für konventionelle Antriebe nach wie vor stark nachgefragt. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Umstand nicht über Nacht ändern wird. Selbst wenn sich neben Newcomern wie Byton auch vereinzelt etablierte Marken wie DS, Smart oder Volvo dem E-Antrieb zuwenden, wird die Masse aller Neuwagen selbst 2025 noch mit Verbrenner vom Band rollen. Ein wichtiger Indikator dafür ist die Entwicklung des Volkswagen-Konzerns. Er will 2025 weltweit etwa 13 Millionen Autos absetzen, davon bis zu 30 Prozent mit E-Antrieb. Es werden also weiterhin rund zehn Millionen Modelle mit Benzin-, Diesel- oder Gasmotoren von den Bändern laufen. Ein Trend, der auch für die anderen Massenhersteller Gültigkeit haben dürfte.

Dennoch stellen sich die Zulieferer zunehmend auf die Elektrifizierung der Mobilität ein. Den Großen gelingt dies unter anderem, indem sie ganze Geschäftsbereiche abspalten, die langfristig nicht mehr ins Portfolio passen und dort zukaufen, wo Lücken im künftigen Angebot zu schließen sind. Ein Bespiel ist das Joint Venture von Continental mit Osram, das für innovative Licht- und Lasertechnik für autonome Fahrzeuge stehen soll. Ziel ist die Entwicklung intelligenter Licht- und Sensorsysteme für die Mobilität der Zukunft. Sie sollen die Kommunikation der Robo-Autos (C2C) untereinander, aber auch mit anderen Verkehrsteilnehmern sicherstellen (C2X). Welche Bedeutung Licht – das wichtigste Fahrerassistenzsystem überhaupt – künftig haben wird, zeigt auch die kürzlich erfolgte Übernahme des österreichischen Beleuchtungsspezialisten ZKW für 1,1 Milliarden Euro durch den Elektronikriesen LG . Es handelt sich hierbei um den größten Übernahmedeal des koreanischen Konzerns, von dem mehr als 9.000 Mitarbeiter weltweit betroffen sein werden. Interessanterweise finden aber auch jene Bereiche Käufer, die konventionelle Produkte außerhalb der CASE-Euphorie anbieten und deren Bedeutung gemeinsam mit dem Verbrennungsmotor zurückgehen wird. So hatte Bosch keine Probleme, einen Käufer für die Starter-Generatoren oder den Bereich Bosch Mahle Turbo Systems zu finden. Gekauft wurden diese Unternehmensbereiche von chinesischen Investoren, bzw. Zulieferern.

Chinesische Zulieferer gewinnen nicht zuletzt durch solche Transaktionen an Bedeutung. Ihre Zahl unter den TOP 100 hat sich auf immerhin vier Unternehmen erhöht. Zwei von ihnen finden sich bereits seit Jahren in der Liste: Weichai Power (Rang 17, Hersteller von Dieselmotoren, unter anderem Anteilseigner bei KION und Linde Hydraulics) und Yanfeng Automotive Interieurs (Rang 33, ehemaliges Interior Business von Johnson Controls und Hersteller von Interieur-Komponenten). Sie werden durch Citic Dicastal (Rang 74, Hersteller für Aluminium-Druckgussteile, Alufelgen) und Ningbo Joyson Electronics (Rang 75) ergänzt. Die chinesischen Zulieferer konnten im vergangenen Jahr enorme Wachstumsraten verzeichnen: Weichai legte um 68 Prozent zu, Ningbo blickt auf ein Plus von knapp 31 Prozent zurück – beides absolute Spitzenwerte, die von staatlichen Programmen in China ordentlich befeuert wurden.

Hinter dem Aufstieg von Ningbo Joyson steckt der Abstieg von Takata. 2016 lag der Spezialist für Passagierschutzsysteme im Ranking mit Platz 51 im soliden Mittelfeld, dann sorgten fehlerhafte Airbags für den größten Rückruf aller Zeiten und für die Insolvenz des Unternehmens. Damit verschwindet der japanische Hersteller aus der Übersicht und Ningbo Joyson betritt die Bühne. Das erst 2004 gegründete chinesische Unternehmen ist seit 2016 der Eigentümer des US-Zulieferers Key Safety Systems (KSS), der wiederum Takata übernommen hat. Joyson selbst produziert Elektronikbauteile wie Steuergeräte für Klimaanlagen aber auch Ladecontroller für E-Autos oder Lenkräder, zu den Kunden gehören unter anderem die deutschen Premiumhersteller. Mit der Übernahme von Takata durch KSS wird Ningbo Joyson nicht nur zu einem globalen Anbieter von Sicherheitstechnik, sondern auch zu einem von vier chinesischen Zulieferern unter den TOP 100.

Dass es bald noch deutlich mehr sein könnten, legt eine Analyse von Berylls Strategy Advisors nahe (siehe Seite XX). Sie betrachtet den chinesischen Zulieferer-Markt, auf dem sich, vielfach unbemerkt, neue Champions entwickeln. Besonders vielversprechend sind das Wanxiang-Konglomerat (Zulieferer für beispielsweise Lenksäulen, Antriebswellen und Frontachsmodule), aber auch die Minth-Gruppe, die bereits heute für internationale Kunden Interieur- und Exterieur-Fahrzeugteile produziert. CATL und BYD stehen als Akkuhersteller ebenfalls auf dem Sprung in die Gruppe der 100 weltweit größten Zulieferer.

Um zu diesem „Club“  dazuzugehören, mussten die Unternehmen in 2017 einen Mindestumsatz von 2,6 Milliarden Euro erzielen, die Schwelle lag nur 100 Millionen und damit nicht wesentlich oberhalb der Größenordnung von 2016. Es bedurfte dennoch eines starken Jahres, um erneut zu den TOP 100 Zulieferern zu gehören und den japanischen Zulieferern ist so ein starkes Jahr gelungen. Sie stellen mit 27 Vertretern erneut die größte Gruppe innerhalb der TOP 100: Allein fünf Unternehmen haben es unter die Top 20 geschafft. Die Profitabilität der Japaner liegt auf Vorjahresniveau, auch wenn die Gruppe einen deutlich schlechteren Eindruck vermittelt: Der um neun Prozent gegenüber dem EURO abgewertete Yen trägt dafür die Hauptverantwortung. Ohne die Berücksichtigung von Wechselkurseffekten verzeichneten lediglich zwei Unternehmen (Yasaki: Rang 19 und Calsonic: Rang 32) einen Umsatzrückgang.

Ganz anders sah es im vergangenen Jahr in Korea aus. Es war ein schwieriges Jahr für die südkoreanischen Zulieferer, schließlich mussten sechs von sieben Unternehmen eine rückläufige Profitabilität melden. Hankook Tires (Rang 50) und Hyundai Mobis (Rang sieben) traf es dabei besonders hart. Immerhin konnte Hankook beim Umsatz leicht zulegen und sich im Gesamtranking sogar um zwei Plätze verbessern. Die Profitabilität war bei den im Ranking vertretenen Reifenherstellern allerdings überwiegend rückläufig. Beim Umsatz bilanziert nach lokaler Währung, sind die Reifenhersteller jedoch alle im Plus.

Der gegenüber dem EURO deutlich schwächere US-Dollar überlagerte im vergangenen Jahr den Erfolg der amerikanischen Zulieferer. Es wurden vereinzelt sogar sehr überdurchschnittliche Umsatzzuwächse  erzielt. Besonders erfreulich hat sich das vergangene Jahr für American Axle mit einem Plus von 59 Prozent und einem Sprung im Ranking von Position 65 auf 51 entwickelt. Der Hintergrund für diese Entwicklung ist die Übernahme von Metaldyne (Zulieferer u.a. für Dämpfer, Auspuffteile, Antriebskomponenten) mit 4.000 Mitarbeitern. Viel Bewegung innerhalb der US-Zulieferer beruht auf den weiter laufenden Anpassungen der Portfolios an kommende Herausforderungen. Ein Beispiel dafür ist die Aufspaltung von Delphi in Delphi Technologies (fokussiert auf die Produktion von Bauteilen für den klassischen Antriebsstrang) und Aptiv (Schwerpunkt bei Bauteilen für neue Mobilitätslösungen und Connectivity). Damit fällt Delphi zwar aus den Top 20, auf Rang 21 ist jedoch bereits die Ausgliederung Aptiv zu finden und selbst der kleinere Ableger Delphi Technologies belegt mit 4,0 Milliarden Euro Umsatz noch Rang 62.

Das Rad der Übernahmen und Firmenausgründungen hat sich 2017 erneut schneller gedreht als im Vorjahr und es spricht viel dafür, dass, es in 2018 so weitergehen wird. Gut gefüllte Kassen der großen Spieler und der allgemeine Drang sich noch stärker auf die Digitalisierung der automobilen Welt einzulassen weisen darauf hin, dass auch 2018 wieder von größeren Abspaltungen und Übernahmen gekennzeichnet sein wird. Die Bedeutung kreativer Start-ups, die die zukünftige Mobilität maßgeblich mitprägen wollen, wächst. Ihr Umsatz in Euro mag weit unterhalb der TOP 100-Schwelle von 2,6 Milliarden Euro liegen, ihr Einfluss in der Zulieferer-Industrie nimmt gleichwohl sprunghaft zu. Die Top Ten der Silicon Valley Start-Ups (Smartdrive, Greenroad, lytx, inthinc, nuTonomy, CRUISE, …) für kamerabasierte Systeme, Fahreraufmerksamkeit und automatisiertes Fahren konnten bislang laut aktueller M&A-Studie von Berylls Strategy Advisors über 800 Millionen Euro an Geldern einsammeln. Die Top 15 Start-ups für Carsharing wurden mit rund 700 Millionen Euro gefördert (Quelle: Berylls M&A-Studie).

Unter den Geldgebern befinden sich neben risikoaffinen Venture Capital Gesellschaften zunehmend auch TIER1-Zulieferer, die sich bei Beteiligungen bislang eher zurückhaltend verhalten haben. Aber die Zeiten ändern sich: Die namhaften Automobilzulieferer sind mittlerweile groß in Fahrt auf dem Weg in Richtung automobile Zukunft. Auch weil sie realisiert haben, dass neben den Tech-Titans aus dem Silicon-Valley nun auch noch mehr und mehr Chinesen in das Rennen eingestiegen sind.

Autoren
Dr. Jan Dannenberg

Executive Partner

Dr. Jürgen Simon

Principal

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Jan Dannenberg (1962) ist seit 1990 Berater der Automobilindustrie und seit Mai 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Bis zum Frühjahr 2011 war er acht Jahre international als Partner – davon fünf Jahre als Associate Partner – für Mercer Management Consulting und Oliver Wyman tätig. Er ist ausgewiesener Spezialist für Innovationen und Markenmanagement in der Automobilindustrie und berät im Schwerpunkt Zulieferer und Investoren zu Strategie, Mergers & Acquisitions und Performance Improvement. Zudem ist er Geschäftsführer von Berylls Equity Partners, eine auf Mobilitätsunternehmen spezialisierte Beteiligungsgesellschaft.

Bachelor of Arts in Volkswirtschaftslehre von der Stanford University, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion an der Universität Bamberg.