Spannungsfeld

Halbleiter, Rohstoffe und Pandemie – die Automobilzulieferer kommen nicht zur Ruhe

Munich, November 2021
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ie Automobilindustrie war auch im Jahr 2021 wesentlich von Sondereffekten beeinflusst. Eine neu aufgekommene Verknappung von Halbleitern schockte die Industrie, sodass der Fahrzeugabsatz der größten Automobilhersteller auf dem Niedrigniveau des Vorjahres stagnierte.

Eine Herausforderung, welche Stand heute wohl auch im Folgejahr von Bedeutung sein wird. Trotz dessen konnten Hersteller sowie auch Zulieferer in 2021 wieder deutliche Umsatz- und – für viele überraschend – auch Profitsteigerungen, ausweisen und sich so dem Vor-Pandemie Niveau annähern. Nicht zuletzt auch aufgrund groß angelegter Restrukturierungsmaßnahmen, welche die Auswirkungen der Pandemie abgefedert haben.

Die globale Automobilzuliefererindustrie wurde 2021 durch fünf zentrale Entwicklungen geprägt. Im zurückliegenden Jahr konnte eine langsame Erholung von COVID-19 verzeichnet werden, jedoch wurde das Wachstum der globalen Zuliefererindustrie durch die Verknappung von Halbleitern ausgebremst. Einen vergleichbaren Effekt hatte die reduzierte Verfügbarkeit von Rohstoffen und der damit einhergehende Preisanstieg.  Ferner setzt sich der Trend fort, dass chinesische Lieferanten zunehmend ihre Marktposition ausbauen und stärken. Technologisch gesehen gewinnen auch in 2021 Lieferanten in den Bereichen Autonomes Fahren und Elektromobilität weltweit weiter an Relevanz.

Doch zunächst zu den Fakten: Die Umsätze der 100 weltweit größten Automobilzulieferer lagen 2021 mit 13,4% signifikant über dem Niveau des durch Covid-19 geprägten Vorjahres. Damit haben sich die Umsätze der Zuliefererindustrie wieder auf ein vorpandemisches Niveau aus 2019 angenähert, in dem der Umsatz der „Top 100“ gegenüber 2021 noch um 3,6% höher war. Auch die durchschnittliche Profitabilität konnte mit 6,3% wieder deutlich gesteigert werden und liegt damit auf dem Niveau von 2018/2019. Im Vergleich zum Vorjahr konnten die weltweit 100 größten Automobilzulieferer damit die Profitabilität um 3,6%p steigern.

Wesentliche Erholung der Automobilindustrie von COVID-19

Nach dem Ausbruch der Pandemie stand die Automobilindustrie zu Beginn des Jahres 2020 kurzzeitig still. Dies schlug sich auch in den Zahlen nieder, sodass Zulieferer einen Umsatz- sowie Profitabilitätseinbruch von -12,7% respektive -58,1% hinnehmen mussten und nur 8 der 100 größten Zulieferer weltweit gegenüber 2019 ein Umsatzwachstum ausweisen konnten. In 2021 war ein gegenteiliger Trend zu beobachten, so dass nur 10 der 100 weltweit größten Zulieferer ihren Umsatz nicht steigern konnten. Auch der Vergleich mit 2019 zeigt Anzeichen einer Verbesserung – 58 Zulieferer konnten in 2021 bereits wieder höhere Umsätze als vor dem Ausbruch der Pandemie erzielen. Die Steigerung der Umsätze in 2021 um 13,4% bei den Top 100 ist im Wesentlichen auf die globale Wiedereröffnung der Produktionsstandorte von sowohl OEMs als auch Zulieferern zurückzuführen. Insbesondere die japanischen Zulieferer hatten mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu kämpfen. Sieben von Zehn Zulieferern mit rückläufiger Umsatzentwicklung stammten aus Japan.

Im Jahr 2021 sind deutliche Indikatoren für die positive Geschäftsentwicklung der Zuliefererindustrie zu erkennen. Die durchschnittliche Profitabilität hat sich von 2,7% auf 6,3% mehr als verdoppelt. Dabei ist auffällig, dass die profitabelsten Zulieferer aus dem Jahr 2020 es auch 2021 wieder in die „Top 10“ geschafft haben. Hierzu zählten u.a. Renesas, NGK, Eaton, Bridgestone und Pirelli. Profitable Produktsegmente waren demnach Halbleiter, Daten- und Energieübertragung sowie Reifen. Damit lässt sich festhalten, dass 2021 für die Automobilzulieferer ein Jahr der wirtschaftlichen Erholung war, wenn auch weitere Unsicherheiten wie beispielsweise die Verknappung von Halbleitern und Rohstoffen das Wachstum abgebremst haben.

Ähnliche Anzeichen der Erholung zeigen sich in den Kennzahlen der 10 größten Automobilherstellern. Der Umsatz lag mit ca. 1,4 Billionen EUR wieder auf dem Niveau von 2019, was einem Wachstum gegenüber 2020 von knapp 11% entspricht. Im Vergleich dazu konnte die Profitabilität durch eine gezielte Fokussierung des Produktportfolios auf höherpreisige Fahrzeuge auf rekordverdächtige 7,6% gesteigert werden.

Halbleiter-Knappheit – Disruption und Wachstums-Champions

Was bei den OEMs eine Drosselung der Produktionsvolumen und enorme Logistikflächen vollgeparkt mit vormontierten Fahrzeugen zur Folge hatte, bedeutete für die Halbleiter-Zulieferer in 2021 teils Absatz-, Umsatz- und Profitrekorde. Nachdem der Umsatz der Halbleiter-Lieferanten im Automotive Bereich 2020 bedingt durch COVID-19 einbrach, erlebte genau dieses Segment in 2021 eine regelrechte Renaissance durch die Halbleiterkrise.

Durch die pessimistische Absatzplanung der Fahrzeughersteller zu Beginn der Pandemie und einer später folgenden, unerwartet schnellen Erholung hatten die Halbleiterhersteller freigewordene Produktionskapazitäten unter anderem in andere Industriezweige wie der Unterhaltungselektronik verlagert. Ferner wurden die Produktionskapazitäten von Halbleiterherstellern durch pandemiebedingte Produktionsstopps in Südostasien, d.h. unter anderem in Thailand, Malaysia und Vietnam reduziert. Weitere Produktionsausfälle ergaben sich in Folge von Naturkatastrophen in den USA und Japan, wovon unter anderem Fabriken von NXP, Infineon und Renesas Electronics betroffen waren. Die Folge waren Verknappung von Halbleitern für die Automobilindustrie, die einen Anteil von 10% am globalen Halbleitermarkt ausmacht. Bei den Fahrzeugherstellern wurden die tagesaktuelle Mangelsteuerung der knappen Halbleiter, wie sie heute für unzählige Funktionen im Fahrzeug verbaut werden, von dedizierten Krisenteams übernommen.

Diese Ereignisse führten unter anderem dazu, dass die OEMs die wenigen verfügbaren Halbleiter in Richtung hochmargiger Premiumfahrzeuge umsteuerten, und Lieferzeiten für Neuwagen sowie die Preise für Gebrauchtwagen in die Höhe schnellten. Aber auch dazu, dass die Zulieferer der Halbleiterindustrie in Summe gute Bedingungen für ein wirtschaftliches Wachstum vorfinden konnten. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass der Fahrzeugabsatz der Hersteller im Vorjahresvergleich zwar nahezu konstant blieb, allerdings im gleichen Zeitraum die Halbleiterhersteller die Automotive-Umsätze überproportional um durchschnittlich 34% steigern konnten. Dieser Sondereffekt ist unter anderem auf erhöhte Logistik- und Transportkosten bei den Halbleiterherstellern zurückzuführen, da die Versorgung der Fahrzeughersteller teilweise statt per Schiff auf Luftweg sichergestellt wurde. Auch die Profitabilität der Halbleiterhersteller lag mit 19% deutlich über dem Branchendurchschnitt. Zu den größten Profiteuren, gemessen an der Profit-Marge im Vergleich zum Vorjahr, gehören Renesas Electronics (+12,3%p) und Infineon (+10,9%p). Mit einem baldigen Ende dieses Phänomens ist nicht zu rechnen. Infineon-Automotive Chef, Peter Schiefer, prognostiziert ein Anhalten der Krise bis 2023.

China auf der Überholspur – Deutsche Zulieferer bleiben auf der Strecke

Die Entwicklung und Fertigung von Halbleitern gehört bis dato noch nicht zu den Fahrzeugbereichen, welche von chinesischen Zulieferern abgedeckt werden. Anders ist es um die Komponenten für den elektrischen Antriebsstrang batterieelektrischer Fahrzeuge sowie innovativer Interieurkonzepte bestellt, welche im Fokus der chinesischen Wachstumsstrategie stehen. Diese basiert im Wesentlichen auf zwei Säulen: Stärkung des chinesischen Binnenmarktes durch Abdeckung der Mehrheit des Bedarfs durch das eigene Angebot sowie die profitable Expansion in automobile Leitmärkte wie Deutschland und die USA.

Laut Einschätzung von Berylls stammten in 2021 70% der weltweit in batterieelektrischen Fahrzeugen verbauten Zellen aus chinesischer Produktion, was einer Produktionskapazität von 650 GWh pro Jahr entspricht. Das prognostizierte Wachstum bis 2030 liegt bei 17%, was zu einer jährlichen Gesamtkapazität von 2.300 GWh führt. Abzüglich des Eigenbedarfes für die Versorgung des heimischen Marktes mit Batteriezellen, würden damit immer noch über 40% für den Export zur Verfügung stehen. Insgesamt sollten bis 2030 mehr als 100 neue Gigafabriken für die Fertigung von Batteriezellen entstehen.

Verursacht durch den steigenden Bedarf an batterieelektrischen Fahrzeugen, konnte der weltweit größte und aus China stammende Batteriezellhersteller CATL im Zeitraum von 2020 bis 2021 ein Umsatzwachstum von rekordverdächtigen 184% verbuchen. 2019 rangierte CATL noch auf Platz 48 der weltweit größten Automobilzulieferer. Zwei Jahre später befindet sich CATL bereits unter den „Top 10“. Eine ähnliche Wachstumsgeschwindigkeit zeigen die chinesischen Zulieferer im Bereich des Fahrzeuginnenraums auf. So konnte Yangfeng Automotive Interiors den Umsatz im Jahr 2021 um 106% steigern und rangiert damit auf Platz 16 der weltweit 100 größten Automobilzulieferer.

Insgesamt konnten chinesische Zulieferer mit 40% die größten Umsatzgewinne verzeichnen, gefolgt von US-amerikanischen und deutschen Zulieferern. Die größten deutschen Zulieferer machen mit 21% nach Japan zwar immer noch den zweitgrößten Umsatzanteil der globalen Zuliefererindustrie aus, jedoch verzeichnen diese mit 9% vergleichsweise geringe Wachstumsraten. Auch wenn chinesische Zulieferer bis dato nur einen Umsatzanteil von 9% in den „Top 100“ haben, könnten diese unter Annahme veränderter Randbedingungen bereits 2028 die Vorreiterrolle einnehmen und deutsche Zulieferer auf die hinteren Ränge verweisen. So verwundert es auch nicht, dass im Jahr 2021 mit CATL, Yangfeng und Citic drei chinesische Zulieferer das größte Umsatzwachstum erwirtschaften konnten. Auf den nachfolgenden Rängen folgen dann US-amerikanische Zulieferer wie Borg Warner, Goodyear und Clarios. Ein ähnliches Bild hat sich bereits im Jahr 2020 ergeben.

Explosion der Rohstoffpreise als Profit-Bremse

Eine regelrechte Explosion der Preise war 2021 im Bereich der Rohstoffe zu beobachten. Die Gründe dafür sind vielschichtig und bedingen sich teilweise gegenseitig. Nachdem die Weltwirtschaft in 2020 durch zahlreiche Lockdowns und Produktionsunterbrechung zum Erliegen gekommen ist, konnten sich führende Industrieländer in 2021 von den Folgen der Pandemie erholen.  Ein Beispiel dafür ist die US-Wirtschaft mit einem Wachstum von 5,7% gegenüber dem Vorjahr, was dem höchsten Wachstum seit 1984 entspricht. Noch höhere Wachstumsquoten auf Rekordniveau konnten beispielsweise in China beobachtet werden. Infolgedessen stieg der weltweite Bedarf an Rohstoffen und Vorprodukten schneller an, als die reduzierten Produktions- und Förderkapazitäten der Stahlwerke und Minen hochgefahren werden konnten. Das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage sorgte in Konsequenz zu einem signifikanten Preisanstieg von Rohstoffen, die für die Fahrzeugproduktion von zentraler Bedeutung sind.

Von der Preissteigerung betroffen waren nicht nur für die Batterie- und Elektrofahrzeug-Industrie wichtige Rohstoffe wie Nickel, Kobalt und Lithium, sondern auch die gängigen Industriemetalle und Kunststoffe stiegen von 2020 auf 2021 signifikant im Preis – Kupfer (23,5%), Stahl (66,7%), Aluminium (37,8%), Magnesium (130,5%), Messing (34,3%) und Polypropylen (94,4%).

Die Zunahme der Rohstoffpreise ist nicht spurlos an der Zuliefererindustrie vorbeigegangen, da diese in der Mehrzahl der Fälle nicht an die Fahrzeughersteller weitergegeben werden konnten. Besonders betroffen waren Hersteller von Komponenten mit einem hohen Materialkostenanteil an Kunststoff und Metall. So konnten die im Schwerpunkt kunststoffverarbeitenden Zulieferer für beispielweise Armaturentafeln, Innenraumverkleidungen und Kotflügel im Außenbereich zwar eine überdurchschnittliche Umsatzsteigerung von 18% in 2021 gegenüber 2020 erzielen. Gleichzeitig lag die Profitabilität mit durchschnittlich 4% aber deutlich unter dem Branchendurchschnitt. Eine vergleichbare Situation zeigt sich bei den metallverarbeitenden Zulieferern von Antriebs- und Motorkomponenten. Hier lag das Umsatzwachstum bei 11%, die Profitabilität jedoch bei mageren 3,6%.

Die Hersteller von Kabelbäumen für die Energie- und Informationsverteilung im Fahrzeug konnten sich trotz der hohen Abhängigkeit von Kupfer diesem Trend widersetzen, da die Kupferpreise mit den Fahrzeugherstellern über langfristige Termingeschäfte abgesichert sind. Infolgedessen waren die Kabelbaumlieferanten weniger stark von den Rohstoffschwankungen betroffen und konnten neben Umsatzsteigerungen auch ihre Profitabilität verbessern. Die durchschnittliche Profitabilität der größten Kabelbaumhersteller wie Aptiv und TE Connectivity lag bei 8%.

Eine kurzfristige Normalisierung der Rohstoffpreise ist nicht zu erwarten, da beispielweise fehlende Frachtkapazitäten und Importverteuerungen die steigende Preisentwicklung verstärken. Viele Rohstoffexperten sagten bereits eine langanhaltende Preisspirale mit Aufwärtstrend voraus.

Autonomes Fahren und Elektromobilität allen voraus

Der Wandel in Richtung des autonomen Fahrens und Elektromobilität gab auch im Jahr 2021 wieder die Richtung vor. Spätestens seit der Genehmigung des Autonomen Fahrens Level 3 für den Stuttgarter Automobilhersteller Mercedes Benz in Deutschland ist wohl klar: Hier handelt es sich vielmehr um die Zukunft als um einen temporären Trend. Gleiches gilt für die Elektromobilität. Teslas Gigafactory in Grünheide wird in einem für deutsche Verhältnisse geradezu wahnwitzigen Tempo erbaut und Volkswagen Chef Herbert Diess verkündete auf dem konzerneigenen VW Power Day, welche Pläne der deutsche Hersteller in Bezug auf Laden und Batterie bis 2030 verfolgen wird. Der Ausbau im Bereich EV ist also in vollem Gange. Auch die Zulieferer reagierten auf diese Veränderung. Eine Studie des Verbands der Automobilindustrie (VDA) besagt, dass über 80% der Zulieferer bereits dabei sind den Übergang zum Elektroauto zu adaptieren und ihr Produktportfolio dementsprechend anzupassen. So passen auch Erfolgsmeldungen von beispielsweise Schaeffler, die ihre Serienfertigung von E-Motoren angekündigt haben oder Bosch die erstmals über 1 Mrd. Euro im Bereich E-Mobilität erwirtschaftet haben – mit einem avisierten Wachstum von 500% bis 2025. Auch ZF konnte sich im Jahr 2021 ein Auftragsvolumen in Höhe von 14 Mrd. Euro sichern und baute damit seine Position im Bereich der elektrischen Komponenten weiter aus.

Auffällig ist, dass in der „Top 100“ eine Vielzahl der Lieferanten für Komponenten des elektrischen Antriebsstrangs und des autonomen Fahrens aus Deutschland kommen. So belegen Bosch, Continental und ZF auch in diesem Jahr Spitzenpositionen unter den weltweit größten Automobilzulieferern. Auch Dräxlmaier und Leoni konnten ihre Positionen im internationalen Vergleich verbessern und Umsatzsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich gegenüber dem Vorjahr realisieren.

Dass beide Trends ein technologischer Wachstumsmotor sind, zeigt sich im Vergleich zum Branchendurchschnitt. Hersteller aus den Bereichen Elektromobilität und ADAS konnten im Durchschnitt 12% Umsatzsteigerung einfahren. Dennoch erfordert dies hohe Entwicklungsausgaben mit teilweise Amortisationsdauern von mehreren Jahren, was die Profitabilität in den Anfangsjahren mit geringen Produktionsvolumen drückt. So lag die durchschnittliche Profitabilität bei unterdurchschnittlichen 6%.

2021 war ein spannendes Jahr und wenn man die aktuellen Entwicklungen zugrunde legt, dürfte auch 2022 ein überaus ereignisreiches Jahr in der Automobilindustrie werden, bei dem sich einige Trends jetzt schon abzeichnen und die Transformation unbenommen fortschreiten wird.

Autoren
Dr. Alexander Timmer

Partner

Dr. Jürgen Simon

Principal

Lukas Kirchhefer

Analyst

Über die Autoren
Dr. Alexander Timmer

Dr. Alexander Timmer (1981) ist seit Mai 2021 als Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Markteintritts- und Wachstumsstrategien, M&A und kann auf eine langjährige Erfahrung im Operations-Umfeld zurückschauen. Dr. Alexander Timmer berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Er verfügt über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Portfolioplanung, Entwicklung und Produktion. Zu seinen weiteren fachlichen Schwerpunkten zählen unter anderem Digitalisierung und der Themenkomplex rund um die Elektromobilität.
Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy& als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig.
Im Anschluss an sein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen und der Chalmers University in Göteborg promovierte er im Bereich der Fertigungstechnologien am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.

Dr. Jürgen Simon

Dr. Jürgen Simon (1986) ist als Associate Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Vertriebs- und Unternehmensstrategien sowie M&A und kann auf eine langjährige Beratungserfahrung zurückschauen. Er berät seit 2011 Automobilhersteller und -zulieferer und verfügt über fundiertes Expertenwissen in den Bereichen ganzheitliche Strategieentwicklung, Geschäftsmodelle und Commercial Due Diligence. Weitere Schwerpunkte liegen in Markteintrittsstrategien sowie Themen rund um das „Software Defined Vehicle“. Als diplomierter Ökonom der Universität Hohenheim hat er vor seinem Einstieg bei Berylls am Institut für Unternehmensführung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) promoviert.

Spannungsfeld

Im Spannungsfeld zwischen Preisverfall und Innovation – der elektrische Antriebsstrang

Munich, December 2021
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as erklärte Ziel der Bundesregierung ist es, die Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren. Für 2050 wird sogar eine vollständige Treibhausneutralität ins Auge gefasst, was wiederum im Einklang mit den Zielen des Green Deals auf europäischer Ebene ist. Um dies erreichen zu können, müssten bis 2030 circa 14 Millionen Fahrzeuge oder 30% des Fahrzeugbestands auf deutschen Straßen rein elektrisch angetrieben werden.

Vor dem Hintergrund dieser regulativen Rahmenbedingungen erscheint es nachvollziehbar, dass die Mehrzahl europäischer Automobilhersteller derzeit ihre Exit-Strategien für den Verbrennungsmotor konkretisieren und teilweise auch kurzfristige Ausstiegsszenarien ins Auge fassen. So plant Audi beispielsweise für 2025 – ausgenommen für den chinesischen Markt – den letzten Anlauf eines Verbrennungsmotors. Im Jahr 2033 soll die Produktion des konventionellen Antriebs dann endgültig eingestellt werden. Ähnliche Ansätze werden auch bei der Markenschwester Volkswagen und den Wettbewerben wie BMW und Daimler verfolgt.

Autor
Dr. Alexander Timmer

Partner

Der Paradigmenwechsel vom klassischen verbrennungsmotorischen Antrieb hin zum surrenden E-Antriebsstrang scheint damit auf dem Blatt besiegelt zu sein. Dies eröffnet für die deutsche Zuliefererindustrie, die mit zirka 22 Prozent den zweitgrößten Anteil am weltweit Zulieferermarkt ausmacht, ihre Vorreiterrolle weiter auszubauen.

Im Bereich des elektrischen Antriebsstrangs etabliert sich derzeit ein Industriestandard für die Hochvoltarchitektur (HV) zukünftiger Fahrzeugplattformen. Zu den zentralen Komponenten des elektrifizierten Antriebsstrangs zählen das Batteriesystem, die E-Achse sowie die Hochleistungselektronik, wobei ersteres einen Kostenanteil von 70 bis 80 Prozent an den Gesamtkosten des Antriebsstrangs ausmacht. In den zukünftigen Fahrzeugplattformen bis 2030 zeichnet sich derzeit vermehrt der Ansatz von zentralen HV-Architekturen ab, in welchen die einzelnen Komponenten der Hochleistungselektronik im Bereich des Hecks räumlich zusammengefasst werden. Hierdurch werden signifikante Vorteile auf Seite der Materialkosten und der Systemkomplexität erzielt.

Durch die Hochleistungselektronik werden unter anderem Reichweite, Ladedauer und Lebensdauer der Fahrzeugbatterie maßgeblich beeinflusst. Dies ist ein Argument mehr, warum Automobilhersteller vermehrt in Betracht ziehen, Komponenten der Leistungselektronik wie Inverter, Gleichspannungswandler und Steuergeräte, für ein Teilvolumen selbst zu montieren. Dadurch können die Hersteller eine eigene Beurteilungskompetenz gegenüber den etablierten Zulieferern aufbauen und im Vergabeprozess mit den Zulieferern auf Augenhöhe verhandeln.

Die Komponenten des E-Antriebsstrangs unterliegen zunehmend einem hohen Preisdruck, der unter anderem aus Skaleneffekten durch steigende Stückzahlen und der zunehmenden Akzeptanz der Kunden für elektrische Antriebe resultiert.

 So haben die Neuzulassungen für elektrische Fahrzeuge allein in Deutschland im letzten Jahr um 264 Prozent zugenommen, weltweit betrug der Zuwachs 38 Prozent. Bis 2026 ist damit zu rechnen, dass die Produktion rein elektrischer Fahrzeuge jährlich um über 200 Prozent wachsen wird. Zeitgleich zum Volumenhochlauf sind für die einzelnen Komponenten des E-Antriebstrangs Preisrückgänge von bis zu 50 bis 75 Prozent zu erwarten. Um dem entgegenzuwirken, gehen die großen Zulieferer vermehrt Entwicklungspartnerschaften mit Halbleiterherstellern ein. Im Fokus steht hier die Steigerung von Wirkungsgraden in der Leistungselektronik, um damit die Reichweite von batterieelektrischen Fahrzeugen zu steigern. Durch derartige technologische Innovationen erhoffen sich die Zulieferer, dem Preisverfall langfristig entgegenwirken zu können.

Für die Zulieferer ist das Jahr 2021 ein entscheidendes Jahr, um sich für die Vergaben der neuen E-Plattformen der Automobilhersteller in Position zu bringen und sich damit einen Anteil im Wachstumsmarkt E-Mobility zu sichern. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund des Erhalts von Arbeitsplätzen zielführend. Durch den absehbaren Wegfall des Verbrennergeschäfts und der geringeren Personalintensität des E-Antriebs sind die Zulieferer im Zugzwang, die zu erwartenden Lücke durch neue Projekte im Bereich der E-Mobilität überproportional zu kompensieren. Folge ist auch hier ein erbitterterer Preiswettbewerb zugunsten des Endkunden, wodurch die Elektromobilität für die breite Masse erst erschwinglich wird.

 

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Alexander Timmer (1981) ist seit Mai 2021 als Partner bei der Berylls Group tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Innovations- und Markteintrittsstrategien und kann auf eine langjährige Erfahrung im Operations-Umfeld zurückschauen.

Dr. Alexander Timmer berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Er verfügt über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Portfolioplanung, Entwicklung und Produktion. Zu seinen weiteren fachlichen Schwerpunkten zählen unter anderem Digitalisierung und der Themenkomplex rund um die Elektromobilität.

Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy& als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig.

Im Anschluss an sein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen und der Chalmers University in Göteborg promovierte er im Bereich der Fertigungstechnologien am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.

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Chinesische Zulieferer drängen nach vorn

München, Juni 2017
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ie von staatlicher Seite stark geförderte Elektrifizierung der Mobilität in China spielt den chinesischen Automobilzulieferern sehr stark in die Karten. Aber auch aus der klassischen Zuliefererwelt treten neue chinesische Unternehmen in den Club der Top 100 ein.

Aktuell finden sich unter den globalen Top 100 Automobilzulieferern eine Handvoll chinesischer Unternehmen. So sind u.a. Weichai Power und Yanfeng Automotive Interiors als Zulieferer für Dieselmotoren und Interieursysteme als „reine“ chinesische Unternehmen sowie Pirelli und Nexteer als Unternehmen mit chinesischen Mehrheitsanteilseignern bzw. im chinesischen Besitz im Ranking vertreten. Außerhalb der Top 100 finden sich zudem viele mittelständische Unternehmen im chinesischen Besitz, z.B. Kiekert und Hilite.

Weichai Power, aktuell Platz 17 im Ranking, konnte 2017 einen Gesamtumsatz von 11,9 Mrd. EUR generieren. Neben der Motorenfertigung hat das Unternehmen konsequent sein Produktportfolio erweitert. So gehören heute Getriebe, Achsen, Steuergeräte und weitere Komponenten sowie Gabelstapler und Nutzfahrzeuge dazu. Akquisitionen außerhalb Chinas wie beispielsweise Kion (2013) oder Linde Hydraulics (2012) haben maßgeblich zum Wachstumskurs von Weichai Power beigetragen.

Yanfeng Automotive Interiors ist aktuell der weltgrößte Zulieferer für Fahrzeuginterieur. Ursprünglich hervorgegangen aus einem Joint Venture mit Johnson Controls beliefert das Unternehmen OEMs mit gesamtheitlichen Interieurlösungen und hat damit 2017 einen Umsatz von 7,1 Mrd. EUR erzielt. Durch eine Kooperation mit Kostal kann das Unternehmen zudem Human Machine Interfaces-Lösungen (HMI) anbieten. Neben diesem Unternehmensbereich unterhält Yanfeng einige Joint Ventures unter anderem mit KSS (Sicherheitssysteme wie Airbag, Sicherheitsgurte und Lenkräder), Plastic Omnium (Exterieurteile wie Stoßfänger und Kühlergrill) und Adient (Sitze und Sitzkomponenten).

Die Erfolgsgeschichten dieser beiden Unternehmen zeigen, dass weitere chinesische Unternehmen in die Top 100 vorrücken werden. Für dieses Ziel werden unterschiedliche Strategien verfolgt. „Klassische“ Zulieferer nutzen die Internationalisierung, Horizontal- und Vertikalbewegungen in der Wertschöpfungskette vom Komponenten- hin zu Modul-/ Systemlieferanten, um Umsatzwachstum zu erzielen. Eine ganze Reihe neuer Zulieferer nutzt zudem die rasante Entwicklung der E-Mobilität in China, um weiter zu wachsen.

Die Internationalisierung – einhergehend mit Technologieaufbau und Knowhow-Erweiterung – wird typischerweise durch Akquisitionen im Ausland forciert. Beispiele hierfür sind Nexteer, Kiekert sowie die Starter und Generatoren Sparte (SG) von Bosch, die 2017 durch die Zhengzhou Coal Mining Machinery Group (ZMJ) übernommen wurde. Da ZMJ vor dieser Übernahme überwiegend im asiatischen Raum tätig gewesen ist, erhält das Unternehmen durch die Übernahme nicht nur einen sofortigen Zugang zum europäischen Markt, sondern bekommt auch Zugang zu europäischen und amerikanischen (Premium) OEM Kunden, die jetzt auch in Asien beliefert werden können. Auch Ningbo Joyson (Platz 75) hat durch Übernahmen im Ausland enorme Umsatzzuwächse erzielen können: So zählen in Deutschland u.a. die Übernahmen von Preh (2011), Quin (2015) und TechniSat Automotive (2016) dazu sowie im vergangenen Jahr die Übernahme des gebeutelten japanischen Zulieferers Takata durch die Ningbo Joyson-Tochter KSS.

Horizontalbewegungen – also die Erweiterung des Produktportfolios – und die Evolution vom Komponenten- zum Systemlieferanten sind ebenfalls typische Strategien chinesischer Zulieferer. Als gutes Beispiel dient eines der größten Zuliefererkonglomerate Chinas: die Wanxiang Group (xxx Mrd. EUR Umsatz in 2017). Begonnen hat das Unternehmen in den späten 1970er Jahren mit der Herstellung von Kreuzgelenken für Kardanwellen. Seither hat Wanxiang nicht nur sein Produktportfolio ständig erweitert, sondern sich außerdem konsequent – auch durch gezielte Zukäufe – zu einem Modul-/ Systemlieferanten weiterentwickelt. Das heutige Produktportfolio umfasst Lenksäulen, Achswellen, Wasserpumpen, Schalldämpfer, Bremssättel, Frontachsmodule und kleine Antriebe. Zusätzlich sind seit 2013 der Akkuhersteller A123 und seit 2016 Fisker Automotive Teile dieses Konglomerats.

Ein weiteres Beispiel für typisch chinesisches Unternehmenswachstum ist die Minth Group (xxx Mrd. EUR Umsatz in 2017), ein Anbieter von Interieur- und Exterieurkomponenten (Kühlergrill, Dachträger, Einstiegsleisten etc.). Das Unternehmen hat sein Produktportfolio durch die Fertigung von Strukturteilen, Steuergeräten und Sitzteilen massiv ausgedehnt. Seit 2016 besitzt Minth außerdem eine Lizenz zum Bau von BEVs, als erstes Unternehmen aus der Zuliefererindustrie. Fulin Precision Machining und Shengrui Transmission sind weitere Unternehmen, die einen vergleichbaren Wachstumspfad wie Wanxiang und Minth verfolgen.

Die Internationalisierung und insbesondere Vertikalisierung des Produktportfolios stellen die Unternehmen vor neue Herausforderungen. Während die Prozesskettenbeherrschung zur Herstellung von Teilen und Komponenten noch vergleichsweise einfach ist, erfordert die Integration von Komponenten und Modulen zu kompletten Systemen umfangreiches Systemverständnis.

Während autonomes Fahren und Konnektivität in China von den Internetgiganten Ali, Baidu und Tencent besetzt werden, bietet die E-Mobilität Chancen für neue Zulieferer. Als größter Einzelmarkt für BEVs (in China bekannt als NEVs – New Energy Vehicles) hatten Batterieproduzenten chinesischer Herkunft (u.a. CATL, BYD, Guoxuan, Lishen, BAK, CALB) 2016 bereits ca. 35 Prozent Weltmarktanteil bei installierten Batteriekapazitäten. Es wird erwartet, dass dieser Anteil bis 2025 auf 45 Prozent zunehmen wird. Aktuell gehören CATL und BYD zu den klaren Marktführern. In 2017 erzielte CATL einen Umsatz von ca. 2,6 Mrd. EUR (+34 Prozent ggü. Vorjahr) und eine ggü. 2016 deutlich verbesserte Gewinnmarge von ca. 20 Prozent. CATL tritt dabei sowohl als Zellen- als auch als Akkupacklieferant auf und beliefert zahlreiche chinesische OEMs wie Geely, BAIC, FAW, chinesische NEV Startups wie NIO, WM sowie die lokalen Joint Ventures von BMW und Volkswagen. Zwischenzeitlich hat CATL auf dem Heimatmarkt bereits einen Marktanteil von 29 Prozent erreicht.

Im Ökosystem der E-Mobilität hat sich zudem eine Lieferanten-Landschaft rund ums Laden entwickelt. Darunter fallen Unternehmen, deren Angebot sich von der Hardware-Produktion bis zur Installation von Ladestationen, Betrieb und Backend-Lösungen erstreckt. SAIC Anyo, Starcharge, Wanma und Zhida gehören in diesem Segment zu den bedeutenderen Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit allerdings noch weitestgehend auf den chinesischen Raum begrenzt ist.

Bei einer Fortsetzung des Wachstums der globalen Automobilproduktion und einer anhaltend hohen Binnennachfrage in China, ist davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten drei Jahre fünf weitere chinesische Zulieferer in den Club der Top 100 eintreten werden. Der internationale Wettbewerb und grenzüberschreitende Konsolidierung versprechen noch einmal deutlich an Fahrt aufzunehmen.

Autoren
Dr. Jan Dannenberg

Executive Partner

Willy Wang

Managing Director China

Hongtao Wei

Senior Associate

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Jan Dannenberg (1962) ist seit 1990 Berater der Automobilindustrie und seit Mai 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Bis zum Frühjahr 2011 war er acht Jahre international als Partner – davon fünf Jahre als Associate Partner – für Mercer Management Consulting und Oliver Wyman tätig. Er ist ausgewiesener Spezialist für Innovationen und Markenmanagement in der Automobilindustrie und berät im Schwerpunkt Zulieferer und Investoren zu Strategie, Mergers & Acquisitions und Performance Improvement. Zudem ist er Geschäftsführer von Berylls Equity Partners, eine auf Mobilitätsunternehmen spezialisierte Beteiligungsgesellschaft.

Bachelor of Arts in Volkswirtschaftslehre von der Stanford University, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion an der Universität Bamberg.