Spannungsfeld

Im Spannungsfeld zwischen Preisverfall und Innovation – der elektrische Antriebsstrang

Munich, December 2021
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as erklärte Ziel der Bundesregierung ist es, die Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren. Für 2050 wird sogar eine vollständige Treibhausneutralität ins Auge gefasst, was wiederum im Einklang mit den Zielen des Green Deals auf europäischer Ebene ist. Um dies erreichen zu können, müssten bis 2030 circa 14 Millionen Fahrzeuge oder 30% des Fahrzeugbestands auf deutschen Straßen rein elektrisch angetrieben werden.

Vor dem Hintergrund dieser regulativen Rahmenbedingungen erscheint es nachvollziehbar, dass die Mehrzahl europäischer Automobilhersteller derzeit ihre Exit-Strategien für den Verbrennungsmotor konkretisieren und teilweise auch kurzfristige Ausstiegsszenarien ins Auge fassen. So plant Audi beispielsweise für 2025 – ausgenommen für den chinesischen Markt – den letzten Anlauf eines Verbrennungsmotors. Im Jahr 2033 soll die Produktion des konventionellen Antriebs dann endgültig eingestellt werden. Ähnliche Ansätze werden auch bei der Markenschwester Volkswagen und den Wettbewerben wie BMW und Daimler verfolgt.

Autor
Dr. Alexander Timmer

Partner

Der Paradigmenwechsel vom klassischen verbrennungsmotorischen Antrieb hin zum surrenden E-Antriebsstrang scheint damit auf dem Blatt besiegelt zu sein. Dies eröffnet für die deutsche Zuliefererindustrie, die mit zirka 22 Prozent den zweitgrößten Anteil am weltweit Zulieferermarkt ausmacht, ihre Vorreiterrolle weiter auszubauen.

Im Bereich des elektrischen Antriebsstrangs etabliert sich derzeit ein Industriestandard für die Hochvoltarchitektur (HV) zukünftiger Fahrzeugplattformen. Zu den zentralen Komponenten des elektrifizierten Antriebsstrangs zählen das Batteriesystem, die E-Achse sowie die Hochleistungselektronik, wobei ersteres einen Kostenanteil von 70 bis 80 Prozent an den Gesamtkosten des Antriebsstrangs ausmacht. In den zukünftigen Fahrzeugplattformen bis 2030 zeichnet sich derzeit vermehrt der Ansatz von zentralen HV-Architekturen ab, in welchen die einzelnen Komponenten der Hochleistungselektronik im Bereich des Hecks räumlich zusammengefasst werden. Hierdurch werden signifikante Vorteile auf Seite der Materialkosten und der Systemkomplexität erzielt.

Durch die Hochleistungselektronik werden unter anderem Reichweite, Ladedauer und Lebensdauer der Fahrzeugbatterie maßgeblich beeinflusst. Dies ist ein Argument mehr, warum Automobilhersteller vermehrt in Betracht ziehen, Komponenten der Leistungselektronik wie Inverter, Gleichspannungswandler und Steuergeräte, für ein Teilvolumen selbst zu montieren. Dadurch können die Hersteller eine eigene Beurteilungskompetenz gegenüber den etablierten Zulieferern aufbauen und im Vergabeprozess mit den Zulieferern auf Augenhöhe verhandeln.

Die Komponenten des E-Antriebsstrangs unterliegen zunehmend einem hohen Preisdruck, der unter anderem aus Skaleneffekten durch steigende Stückzahlen und der zunehmenden Akzeptanz der Kunden für elektrische Antriebe resultiert.

 So haben die Neuzulassungen für elektrische Fahrzeuge allein in Deutschland im letzten Jahr um 264 Prozent zugenommen, weltweit betrug der Zuwachs 38 Prozent. Bis 2026 ist damit zu rechnen, dass die Produktion rein elektrischer Fahrzeuge jährlich um über 200 Prozent wachsen wird. Zeitgleich zum Volumenhochlauf sind für die einzelnen Komponenten des E-Antriebstrangs Preisrückgänge von bis zu 50 bis 75 Prozent zu erwarten. Um dem entgegenzuwirken, gehen die großen Zulieferer vermehrt Entwicklungspartnerschaften mit Halbleiterherstellern ein. Im Fokus steht hier die Steigerung von Wirkungsgraden in der Leistungselektronik, um damit die Reichweite von batterieelektrischen Fahrzeugen zu steigern. Durch derartige technologische Innovationen erhoffen sich die Zulieferer, dem Preisverfall langfristig entgegenwirken zu können.

Für die Zulieferer ist das Jahr 2021 ein entscheidendes Jahr, um sich für die Vergaben der neuen E-Plattformen der Automobilhersteller in Position zu bringen und sich damit einen Anteil im Wachstumsmarkt E-Mobility zu sichern. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund des Erhalts von Arbeitsplätzen zielführend. Durch den absehbaren Wegfall des Verbrennergeschäfts und der geringeren Personalintensität des E-Antriebs sind die Zulieferer im Zugzwang, die zu erwartenden Lücke durch neue Projekte im Bereich der E-Mobilität überproportional zu kompensieren. Folge ist auch hier ein erbitterterer Preiswettbewerb zugunsten des Endkunden, wodurch die Elektromobilität für die breite Masse erst erschwinglich wird.

 

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Alexander Timmer (1981) ist seit Mai 2021 als Partner bei der Berylls Group tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Innovations- und Markteintrittsstrategien und kann auf eine langjährige Erfahrung im Operations-Umfeld zurückschauen.

Dr. Alexander Timmer berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Er verfügt über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Portfolioplanung, Entwicklung und Produktion. Zu seinen weiteren fachlichen Schwerpunkten zählen unter anderem Digitalisierung und der Themenkomplex rund um die Elektromobilität.

Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy& als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig.

Im Anschluss an sein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen und der Chalmers University in Göteborg promovierte er im Bereich der Fertigungstechnologien am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.

Spannungsfeld

Chinesische Zulieferer drängen nach vorn

München, Juni 2017
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ie von staatlicher Seite stark geförderte Elektrifizierung der Mobilität in China spielt den chinesischen Automobilzulieferern sehr stark in die Karten. Aber auch aus der klassischen Zuliefererwelt treten neue chinesische Unternehmen in den Club der Top 100 ein.

Aktuell finden sich unter den globalen Top 100 Automobilzulieferern eine Handvoll chinesischer Unternehmen. So sind u.a. Weichai Power und Yanfeng Automotive Interiors als Zulieferer für Dieselmotoren und Interieursysteme als „reine“ chinesische Unternehmen sowie Pirelli und Nexteer als Unternehmen mit chinesischen Mehrheitsanteilseignern bzw. im chinesischen Besitz im Ranking vertreten. Außerhalb der Top 100 finden sich zudem viele mittelständische Unternehmen im chinesischen Besitz, z.B. Kiekert und Hilite.

Weichai Power, aktuell Platz 17 im Ranking, konnte 2017 einen Gesamtumsatz von 11,9 Mrd. EUR generieren. Neben der Motorenfertigung hat das Unternehmen konsequent sein Produktportfolio erweitert. So gehören heute Getriebe, Achsen, Steuergeräte und weitere Komponenten sowie Gabelstapler und Nutzfahrzeuge dazu. Akquisitionen außerhalb Chinas wie beispielsweise Kion (2013) oder Linde Hydraulics (2012) haben maßgeblich zum Wachstumskurs von Weichai Power beigetragen.

Yanfeng Automotive Interiors ist aktuell der weltgrößte Zulieferer für Fahrzeuginterieur. Ursprünglich hervorgegangen aus einem Joint Venture mit Johnson Controls beliefert das Unternehmen OEMs mit gesamtheitlichen Interieurlösungen und hat damit 2017 einen Umsatz von 7,1 Mrd. EUR erzielt. Durch eine Kooperation mit Kostal kann das Unternehmen zudem Human Machine Interfaces-Lösungen (HMI) anbieten. Neben diesem Unternehmensbereich unterhält Yanfeng einige Joint Ventures unter anderem mit KSS (Sicherheitssysteme wie Airbag, Sicherheitsgurte und Lenkräder), Plastic Omnium (Exterieurteile wie Stoßfänger und Kühlergrill) und Adient (Sitze und Sitzkomponenten).

Die Erfolgsgeschichten dieser beiden Unternehmen zeigen, dass weitere chinesische Unternehmen in die Top 100 vorrücken werden. Für dieses Ziel werden unterschiedliche Strategien verfolgt. „Klassische“ Zulieferer nutzen die Internationalisierung, Horizontal- und Vertikalbewegungen in der Wertschöpfungskette vom Komponenten- hin zu Modul-/ Systemlieferanten, um Umsatzwachstum zu erzielen. Eine ganze Reihe neuer Zulieferer nutzt zudem die rasante Entwicklung der E-Mobilität in China, um weiter zu wachsen.

Die Internationalisierung – einhergehend mit Technologieaufbau und Knowhow-Erweiterung – wird typischerweise durch Akquisitionen im Ausland forciert. Beispiele hierfür sind Nexteer, Kiekert sowie die Starter und Generatoren Sparte (SG) von Bosch, die 2017 durch die Zhengzhou Coal Mining Machinery Group (ZMJ) übernommen wurde. Da ZMJ vor dieser Übernahme überwiegend im asiatischen Raum tätig gewesen ist, erhält das Unternehmen durch die Übernahme nicht nur einen sofortigen Zugang zum europäischen Markt, sondern bekommt auch Zugang zu europäischen und amerikanischen (Premium) OEM Kunden, die jetzt auch in Asien beliefert werden können. Auch Ningbo Joyson (Platz 75) hat durch Übernahmen im Ausland enorme Umsatzzuwächse erzielen können: So zählen in Deutschland u.a. die Übernahmen von Preh (2011), Quin (2015) und TechniSat Automotive (2016) dazu sowie im vergangenen Jahr die Übernahme des gebeutelten japanischen Zulieferers Takata durch die Ningbo Joyson-Tochter KSS.

Horizontalbewegungen – also die Erweiterung des Produktportfolios – und die Evolution vom Komponenten- zum Systemlieferanten sind ebenfalls typische Strategien chinesischer Zulieferer. Als gutes Beispiel dient eines der größten Zuliefererkonglomerate Chinas: die Wanxiang Group (xxx Mrd. EUR Umsatz in 2017). Begonnen hat das Unternehmen in den späten 1970er Jahren mit der Herstellung von Kreuzgelenken für Kardanwellen. Seither hat Wanxiang nicht nur sein Produktportfolio ständig erweitert, sondern sich außerdem konsequent – auch durch gezielte Zukäufe – zu einem Modul-/ Systemlieferanten weiterentwickelt. Das heutige Produktportfolio umfasst Lenksäulen, Achswellen, Wasserpumpen, Schalldämpfer, Bremssättel, Frontachsmodule und kleine Antriebe. Zusätzlich sind seit 2013 der Akkuhersteller A123 und seit 2016 Fisker Automotive Teile dieses Konglomerats.

Ein weiteres Beispiel für typisch chinesisches Unternehmenswachstum ist die Minth Group (xxx Mrd. EUR Umsatz in 2017), ein Anbieter von Interieur- und Exterieurkomponenten (Kühlergrill, Dachträger, Einstiegsleisten etc.). Das Unternehmen hat sein Produktportfolio durch die Fertigung von Strukturteilen, Steuergeräten und Sitzteilen massiv ausgedehnt. Seit 2016 besitzt Minth außerdem eine Lizenz zum Bau von BEVs, als erstes Unternehmen aus der Zuliefererindustrie. Fulin Precision Machining und Shengrui Transmission sind weitere Unternehmen, die einen vergleichbaren Wachstumspfad wie Wanxiang und Minth verfolgen.

Die Internationalisierung und insbesondere Vertikalisierung des Produktportfolios stellen die Unternehmen vor neue Herausforderungen. Während die Prozesskettenbeherrschung zur Herstellung von Teilen und Komponenten noch vergleichsweise einfach ist, erfordert die Integration von Komponenten und Modulen zu kompletten Systemen umfangreiches Systemverständnis.

Während autonomes Fahren und Konnektivität in China von den Internetgiganten Ali, Baidu und Tencent besetzt werden, bietet die E-Mobilität Chancen für neue Zulieferer. Als größter Einzelmarkt für BEVs (in China bekannt als NEVs – New Energy Vehicles) hatten Batterieproduzenten chinesischer Herkunft (u.a. CATL, BYD, Guoxuan, Lishen, BAK, CALB) 2016 bereits ca. 35 Prozent Weltmarktanteil bei installierten Batteriekapazitäten. Es wird erwartet, dass dieser Anteil bis 2025 auf 45 Prozent zunehmen wird. Aktuell gehören CATL und BYD zu den klaren Marktführern. In 2017 erzielte CATL einen Umsatz von ca. 2,6 Mrd. EUR (+34 Prozent ggü. Vorjahr) und eine ggü. 2016 deutlich verbesserte Gewinnmarge von ca. 20 Prozent. CATL tritt dabei sowohl als Zellen- als auch als Akkupacklieferant auf und beliefert zahlreiche chinesische OEMs wie Geely, BAIC, FAW, chinesische NEV Startups wie NIO, WM sowie die lokalen Joint Ventures von BMW und Volkswagen. Zwischenzeitlich hat CATL auf dem Heimatmarkt bereits einen Marktanteil von 29 Prozent erreicht.

Im Ökosystem der E-Mobilität hat sich zudem eine Lieferanten-Landschaft rund ums Laden entwickelt. Darunter fallen Unternehmen, deren Angebot sich von der Hardware-Produktion bis zur Installation von Ladestationen, Betrieb und Backend-Lösungen erstreckt. SAIC Anyo, Starcharge, Wanma und Zhida gehören in diesem Segment zu den bedeutenderen Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit allerdings noch weitestgehend auf den chinesischen Raum begrenzt ist.

Bei einer Fortsetzung des Wachstums der globalen Automobilproduktion und einer anhaltend hohen Binnennachfrage in China, ist davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten drei Jahre fünf weitere chinesische Zulieferer in den Club der Top 100 eintreten werden. Der internationale Wettbewerb und grenzüberschreitende Konsolidierung versprechen noch einmal deutlich an Fahrt aufzunehmen.

Autoren
Dr. Jan Dannenberg

Executive Partner

Willy Wang

Managing Director China

Hongtao Wei

Senior Associate

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Jan Dannenberg (1962) ist seit 1990 Berater der Automobilindustrie und seit Mai 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Bis zum Frühjahr 2011 war er acht Jahre international als Partner – davon fünf Jahre als Associate Partner – für Mercer Management Consulting und Oliver Wyman tätig. Er ist ausgewiesener Spezialist für Innovationen und Markenmanagement in der Automobilindustrie und berät im Schwerpunkt Zulieferer und Investoren zu Strategie, Mergers & Acquisitions und Performance Improvement. Zudem ist er Geschäftsführer von Berylls Equity Partners, eine auf Mobilitätsunternehmen spezialisierte Beteiligungsgesellschaft.

Bachelor of Arts in Volkswirtschaftslehre von der Stanford University, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion an der Universität Bamberg.