Entscheidungen in unsicheren Zeiten – Konsequenzen für Zulieferer

München, Juli 2023

Entscheidungen in unsicheren Zeiten - Konsequenzen für Zulieferer

München, Juli 2023
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andemie, Halbleiterkrise sowie steigende Energie- und Finanzierungskosten sind nur eine Auswahl an stigmatisierten Begriffen, die den Krisenmodus der Automobilindustrie der vergangenen Jahre beschreiben.

Auch im Jahr 2022 waren die Führungsetagen der Automobilunternehmen permanent im Krisenmodus. Agieren und Entscheiden unter Unsicherheit scheint sich als neues Steuerungsinstrument in der Automobilindustrie zu etablieren. Die Zeiten des stetigen Wachstums im hohen einstelligen Prozentbereich als lineare Fortschreibung der Vergangenheit scheinen damit vorerst vorbei zu sein.

Die Planungsunsicherheit für Zulieferer spiegelt sich unter anderem in den Absatzzahlen der Hersteller wider. Die Anzahl der weltweit produzierten Fahrzeuge liegt immer noch deutlich unter dem Vorpandemieniveau. Betrachtet man nur den Standort Deutschland wurden 2022 insgesamt 3,4 Mio. Fahrzeuge produziert – das war mit Abstand das geringste Produktionsvolumen seit 1990. Auch die Produktionsprognosen bis zum Ende des Jahrzehnts erfahren zunehmend eine Korrektur nach unten. So ist aktuell davon auszugehen, dass bis Ende der Dekade insgesamt nur noch 34 Mio. Fahrzeuge in Deutschland produziert werden. Ein Rückgang von -14% gegenüber früheren Prognosen. Ein ähnliches Bild zeichnet sich für Europa ab. Hier wurden die Produktionsvolumen um -18% nach unten korrigiert. Die klaren Gewinner sind Nordamerika und China; dort wurden die Prognosen deutlich nach oben angepasst wurden. Fast 10 Mio. Fahrzeuge zusätzlich werden für beide Absatzmarkt prognostiziert. Konjunkturprogramme, wie der Inflation Reduction ACT in den USA, und eine fokussierte Industriepolitik schaffen hier zusätzliche Anreize, Produktionsumfänge außerhalb von Europa zu lokalisieren.

Eine weitere Tatsache, die vor allem bei deutschen Zulieferern nicht für weiteres Vertrauen und eine zuversichtliche Geschäftsprognose sorgen, sind die stark ansteigenden Erzeugerpreise. So sahen sich deutsche Zulieferer mit Preissteigerungen für Lohn, Energie und Rohstoffe im Vergleich zum Vorjahr um 33 Prozent konfrontiert. Die kommerziellen Verhandlungen der Zulieferer, diese Preissteigerungen zumindest teilweise an die Hersteller weiterzugeben, haben sich auch im zurückliegenden Jahr als äußerst schwierig erwiesen. Demzufolge lag die Profitabilität deutscher Zulieferer im Durchschnitt bei 3,5 Prozent.

Eine magere Ausbeute bei einem Branchendurchschnitt von 5,7 Prozent und einer Marge im Vorjahr von 4 Prozent. Die Stimmung unter deutschen Zulieferern hat damit im vergangenen Jahr abermals einen Tiefpunkt erreicht. Die Unsicherheit, ob die Verhandlungen mit den Herstellern erfolgreich abgeschlossen werden können, wird die Zulieferer auch in diesem Jahr weiter begleiten.

Als Folge der angespannten Margensituation und volatiler Absatzprognosen sinkt auch das Vertrauen von Banken und Finanzinvestoren. Die Konsequenz sind steigende Refinanzierungskosten und -anforderungen. Aufgrund des steigenden Investitionsrisikos sind die Renditen für europäische Automobilanleihen seit 2021 um 197 Prozent gestiegen.

Die wenigsten Zulieferer verfügen nach den vorherigen Krisen über eine ausreichende Liquidität, um die durch die fortschreitende Elektrifizierung notwendigen Neuentwicklungen vorzufinanzieren oder das Produktionsnetzwerk in Nordamerika und China auszubauen. In beiden Fällen ist der Wetteinsatz für die Zulieferer extrem hoch und in den meisten Fällen auch erfolgskritisch für den weiteren Unternehmensbestand. Die Gewinnchancen sind jedoch unbekannt; daher sind sie ein weiterer Grund für die aktuelle Unsicherheit in der Zuliefererindustrie.

In derart unsicheren Zeiten werden diejenigen Zulieferer erfolgreich sein, welche ihre Planungsprämissen frühzeitig und kontinuierlich als Teil des Strategieprozesses hinterfragen sowie kurzfristig punktuelle Änderungen in der strategischen Unternehmensausrichtung vornehmen. Die statischen Planungsmodelle waren das Erfolgsmodell, als die Prognosen noch eine lineare Fortschreibung aus der Vergangenheit waren. Die unterjährige Anpassung der strategischen Planungsprämissen ist das neue Gebot der Stunde.

Autor
Dr. Alexander Timmer

Partner

Dr. Alexander Timmer

Dr. Alexander Timmer (1981) joined Berylls by AlixPartners (formerly Berylls Strategy Advisors), an international strategy consultancy specializing in the automotive industry, as a partner in May 2021. He is an expert in market entry and growth strategies, M&A and can look back on many years of experience in the operations environment. Dr. Alexander Timmer has been advising automotive manufacturers and suppliers in a global context since 2012. He has in-depth expert knowledge in the areas of portfolio planning, development and production. His other areas of expertise include digitalization and the complex of topics surrounding electromobility.
Prior to joining Berylls Strategy Advisors, he worked for Booz & Company and PwC Strategy&, among others, as a member of the management team in North America, Asia and Europe.
After studying mechanical engineering at RWTH Aachen University and Chalmers University in Gothenburg, he earned his doctorate in manufacturing technologies at the Machine Tool Laboratory of RWTH Aachen University.