Software & OS

Software definiert zunehmend das Automobil – kann die Industrie mit dem Wandel Schritt halten?

München, Juli 2022
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ass Software eine zunehmend wichtige Rolle für das Nutzererlebnis im Auto und die Erschließung neuer Geschäftsmodelle spielt, ist längst kein Geheimnis mehr. Damit einhergehend nimmt aber auch die Bedeutung von Software für OEMs und Zulieferer dramatisch zu – nicht nur aus finanzieller Hinsicht.

Neue Fahrzeugmodelle, die wegen Softwaremängeln nicht ausgeliefert werden können, oder deren Anläufe verschoben werden müssen, sind mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme. Auch ist die Zahl der Zukunftsprojekte bei OEMs und Zulieferern, die aktuell hinter Plan, unter Qualität und weit über Kosten liegt, erschreckend hoch. Sei es, weil die Planung noch zu sehr Hardware-orientiert erfolgt, die notwendigen hochqualifizierten Ressourcen fehlen oder schlicht das Arbeitsmodell nicht zur agilen Softwarewelt passt – die Gründe sind vielfältig.

Getrieben werden sie von Unternehmen wie Tesla, die von Anfang an und ohne “technische Schulden” das Fahrzeug von Grund auf um die Software herum entwickeln konnten und dies nun über Dienste-Updates, Over-the-air-Updates und Function on Demand kapitalisieren.

OEMs und Zulieferer versuchen sich durch Gründung eigener Softwarehäuser, Partnerschaften mit „Big Tech“/Zulieferern/OEMs oder auch durch massiven Ressourcenaufbau zu behelfen. Bei näherer Betrachtung bleibt jedoch vieles davon oft nur „Stückwerk“ ohne durchschlagenden Erfolg. Klassische OEMs und Zulieferer müssen in diesen Feldern größte Anstrengungen unternehmen, um die etablierten Prozesse den neuen Anforderungen anzupassen.

Vielen Unternehmen mangelt es angesichts des immer hektischer werdenden Umfelds an der Fähigkeit, eine realistische Bewertung der eigenen organisatorischen Leistungsfähigkeit aus einer kritischen Distanz zum Alltagsgeschäft vorzunehmen, um grundsätzliche Nachholbedarfe in der Organisation zu identifizieren und anzugehen. Dabei müssen sämtliche Dimensionen betrachtet werden: von der strategischen Ausrichtung und Positionierung (z.B. inwiefern ist Software ein eigenes Produkt oder nur „Beiwerk“?) hin zum (Software) Produktportfolio (z.B. berücksichtigt das Geschäftsmodell bereits die neuen Möglichkeiten durch das Software Defined Vehicle?), daraus abgeleitet die Anforderungen an die Unternehmensentwicklung (z.B. kann die aktuelle Organisation die Strategie abbilden? Sind die momentan involvierten Partner die richtigen oder fehlen gar welche?) und schließlich der etwaigen Exzellenz in der Liefereinheit (z.B. wie zukunftsfähig ist das Architekturkonzept?).

Auf Basis dieser Kernfragen kann ein in sich geschlossenes Zielbild entwickelt werden, auf dessen Basis die Lücken zum Status Quo zielgerichtet geschlossen werden können. Für den Erfolg der Transformation ist es erforderlich, sich einerseits iterativ auf die kritischsten und dringlichsten Bereiche zu fokussieren und inkrementell, aber stetig, Fortschritte zu erzielen und schnell Kundenrückmeldung einzuholen. Andererseits müssen diese Aktivitäten immer an einem Gesamtbild ausgerichtet und mit parallellaufenden Arbeitssträngen abgestimmt werden.

Erst dann zeigt sich, inwiefern das Unternehmen wirklich mit dem Wandel Schritt hält oder halten kann. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob es sich um einen OEM oder einen Zulieferer handelt, da die Herausforderungen und zentralen Fragestellungen ähnlich sind. OEMs spüren den Druck aus dem Markt und von den immer anspruchsvolleren Endkunden schon seit Jahren deutlich – insbesondere in China. Doch auch Tier 1 werden immer mehr von dem Wandel
erfasst, denn ein klassisches integriertes Modul-Liefermodell aus Hard- und Software gehört mehr und mehr der Vergangenheit an. Umso wichtiger ist
es auch für die Zulieferer, sich frühzeitig auf das Unvermeidliche vorzubereiten.

Autoren
Dr. Matthias Kempf

Partner

Dr. Jürgen Simon

Associate Partner

Über die Autoren
Dr. Matthias Kempf

Dr. Matthias Kempf (1974) ist seit August 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Er begann seine Laufbahn im Jahre 2000 bei Mercer Management Consulting. Nach Promotion und weiterer Beratungstätigkeit bei Oliver Wyman war er 2008 bis 2011 im Management der Hilti Deutschland GmbH tätig. Sein Spezialgebiet bei Berylls liegt im Bereich der neuen Mobilitätsdienstleistungen und Verkehrskonzepte. Darüber hinaus ist er Experte bei der Entwicklung und Implementierung neuer digitaler Geschäftsmodelle und der Digitalisierung von Vertrieb und After Sales.

Studium Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe, Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Dr. Jürgen Simon

Dr. Jürgen Simon (1986) ist als Associate Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Vertriebs- und Unternehmensstrategien sowie M&A und kann auf eine langjährige Beratungserfahrung zurückschauen. Er berät seit 2011 Automobilhersteller und -zulieferer und verfügt über fundiertes Expertenwissen in den Bereichen ganzheitliche Strategieentwicklung, Geschäftsmodelle und Commercial Due Diligence. Weitere Schwerpunkte liegen in Markteintrittsstrategien sowie Themen rund um das „Software Defined Vehicle“. Als diplomierter Ökonom der Universität Hohenheim hat er vor seinem Einstieg bei Berylls am Institut für Unternehmensführung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) promoviert.

Software & OS

OEMs in der Positionierungsfalle

Munich, December 2021
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ahrzeuge definieren sich zunehmend über die Software. Darauf müssen OEMs reagieren

Wer heute ein modernes Auto fährt, kann hautnah erleben und leicht nachvollziehen, warum mehr und mehr vom zukünftigen „software defined car“ gesprochen wird und OEMs hier in der Pflicht sind: Statt analogen Kombiinstrumenten gibt es Display-Anzeigen, aus Mittelkonsolen werden Schalter und Knöpfe zunehmend in großformatige Displays überführt und Fahrzeuge können sich teilautonom im Straßenverkehr bewegen oder in Parklücken manövrieren. Dies sind nur wenige Beispiele, die verdeutlichen, dass das Nutzererlebnis zunehmend durch Software bestimmt – und durch nachträgliche Freischaltung von neuen sowie Updates/Upgrades von bestehenden Features – verändert wird. Dies spiegelt sich auch deutlich in der Entwicklung der Marktvolumen für Software und Hardware wider: liegt der Software-Anteil (on & off-board) der Wertschöpfung (Automotive Software und E/E Hardware) nach Berechnungen von Berylls aktuell noch bei 20%, so wird für 2030 eine Erhöhung auf 43% erwartet. Das Gros des Wachstums wir vor allem im off-board Bereich generiert, also Software außerhalb des Fahrzeugs wie Entwicklungstools, Applikationen, Cloud-Dienste. Trotzdem erwartet Berylls auch im on-board Software Bereich, das heißt Software auf Steuergeräten, Infotainment, Fahrerassistenzsysteme, etc., eine nahezu Verdopplung des Marktvolumens.

Grafik_OEMs in der Positionierungsfalle
Autoren
Dr. Jan Dannenberg

Partner

Dr. Jürgen Simon

Principal

Current Topic

Gestiegener Funktionsumfang fördert neue E/E Architekturen

Der enorm gestiegene Umfang an Funktionalitäten und Anforderungen an die Updatefähigkeit der Fahrzeuge stellt hohe Ansprüche an die E/E Architekturen, welche die Komplexität entsprechend abbilden müssen. Hier stoßen klassische Architekturen aus ca. 70-110 Steuergeräten in einem Fahrzeug sukzessive an ihre Grenzen: so müssen beim autonomen Parken via Einparkhilfe zahlreiche Sensoren, Kameras, Steuergeräte zu einem flüssigen Gesamtablauf orchestriert werden. Dabei wird die Hardware wie Steuergeräte oder Kameras häufig von verschiedenen Lieferanten bezogen und beim OEM integriert. Teils fehlende Standards/Vorgaben in Bezug auf Programmiersprachen, Softwarearchitekturen, etc. schaffen einen enormen Zusatzaufwand und hohe Komplexität in der Integration und vor allem auch bei Änderungen einzelner Bausteine. Als Reaktionen werden unter anderem alternative E/E Architekturen, die eine Zentralisierung und Konsolidierung von Steuergeräten nach sich ziehen, sukzessive umgesetzt. Architekturen im Sinne eines Industriestandards lassen sich noch nicht erkennen, so gibt es noch diverse Varianten, von Zonenarchitekturen bis Zentralrechner. Virtualisierung und Abstraktion von Hardware Layern nimmt aber in jedem Fall zu, womit sich eine Loslösung von Hardware und Software ergibt und damit eine neue Marktdynamik aufkommen lässt, wenn aktuell klassische Tier 1 Zulieferer in Wettbewerb mit Softwarehäusern, „Big Tech“-Playern und anderen Unternehmen mit starker Software-Expertise treten. Um hier, gerade auf Steuergerätebene wettbewerbsfähig zu bleiben, werden zahlreiche Zulieferer, die eher von der Hardwareseite kommend Software als Teil aber nicht Kern des Produkts sehen, zunehmend mit hohen Anforderungen an ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und Ressourcen zur Softwareentwicklung konfrontiert werden und geeignete Antworten finden müssen. 

OEMs wissen: Neue Softwarearchitekturen werden benötigt

Um den Integrationsaufwand zu reduzieren, Remote Update-/Upgradefähigkeit zu ermöglichen, neue und vor allem algorithmusbasierte Funktionalitäten (z.B. Bildverarbeitung) zu ermöglichen, gehen mit neuen E/E Architekturen auch neue Software-Architekturkonzepte einher. Dabei wird regelmäßig von sogenannten „Operating Systems“ gesprochen, die letztlich eine Zusammensetzung von Software Stacks sind. Dabei versucht man die zuvor genannten Problematiken zu lösen, das heißt die Anbindung an die Cloud sowie (zunehmende) Auslagerung von Funktionalitäten in die Cloud, Remote Updates/Upgrades, einheitliche Standards (neben bestehenden wie classic/adaptive AUTOSAR). OEMs haben die Bedeutung von neuen Software-Architekturen erkannt – insbesondere induziert durch Tesla, die mit ihrem weitgehenden „Greenfield“-Ansatz ohne „Legacy“-Systeme das Thema neu denken und aufsetzen konnten. Die traditionellen Hersteller haben hier Teslas Wettbewerbsvorteil und -vorsprung erkannt und arbeiten intensiv daran, diesen abzubauen. Dabei setzen sie auf unterschiedliche Strategien. Von der Eigenentwicklung eines eigenen Operating Systems (OS; z.B. Tesla, VW, Daimler) bis hin zur Integration von Drittlösungen –  allen voran Android Automotive (z.B. Polestar). 

Strategien der Eigenwertschöpfung bei OS

Dabei ist in der gängigen Diskussion nicht eindeutig definiert, was unter einem „Operating System“ zu verstehen ist und wird häufig mit einem Betriebssystem des Infotainments (analog Android, iOS) gleichgesetzt, welches mit Apps etc. bestückt werden kann und was eine der größten Sichtbarkeiten/Möglichkeiten der Differenzierung gegenüber Kunde bietet. Mit Operating Systems der OEMs sind vor allem eigene Software Stacks und die übergreifende Software Plattform gemeint. Diese Eigenentwicklungen stellen OEMs vor signifikante Herausforderungen in der Entwicklung angesichts von hohen Kosten und oft fehlenden Softwareentwicklern. Es ist daher leicht nachvollziehbar, dass viele OEMs nach Alternativen suchen und daher fragen (müssen), welchen Nutzen sie aus einer Eigenentwicklung ziehen würden. Dabei liegen die Vorteile der hohen Eigenwertschöpfung vor allem in der Unabhängigkeit von Tier 1 und vor allem Big Tech Playern wie Google, welche das Fahrzeug als attraktive Kundenschnittstelle auserkoren haben und sich über ein Betriebssystem, gerade im Fokus Infotainment, gut im Markt positionieren können. OEMs bezahlen neben Lizenzen vor allem mit den Daten der Kunden. Dafür erhalten sie aber ein umfangreiches und tief integriertes Infotainment mit geringem Investitionsbedarf und hoher Individualisierbarkeit. Zusätzliche Google Dienste können selbstverständlich leicht integriert werden. Nach Hochrechnungen von Berylls, ist ein Marktanteil von 17% in den nächsten 2-3 Jahren durchaus realistisch. Daneben haben die Hersteller die Möglichkeit auf Industriestandards im Rahmen von Partnerschaften zu setzen, bspw. der Genivi Allianz, welche als Allianz von Automobilherstellen und Zulieferern (u.a. BMW, Daimler, Bosch, Denso, Nvidia) ein auf Linux basierendes Infotainment entwickelt hat. 

Der Softwaremarkt beibt hochdynamisch

Wie aufgezeigt, sind die etablierten E/E-Architekturen nicht für aktuelle Anforderungen ausgelegt (Connectivity, Funktionserweiterungen, Remote Updates, etc.). Daher sind die (etablierten) OEMs hier bemüht aufzuholen, wenngleich dies angesichts von Legacy-Strukturen und oft fehlender In-house Softwarekompetenz/-ressourcen eine große Herausforderung darstellt. Im komplexen Feld der Softwarearchitektur und einzelner Domänen, gilt es die Ressourcen richtig einzusetzen, vor allem in den Bereichen mit direktem Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit, wie u.a. Cloud Connectivity, Infotainment oder Autonomes/assistiertes Fahren. Dabei können die OEMs und Zulieferer verschiedene Strategien verfolgen, die sich vor allem nach dem Grad der Eigenwertschöpfung und entsprechendem Fokus differenzieren. 

(Kostspielige) Eigenentwicklung eines OS mit dem Ziel, sich nicht in Abhängigkeiten zu begeben, die Datenhoheit zu erhalten, einfache cross-Domain Schnittstellen zu ermöglichen und die Produktivität durch Re-use von Grundlagencode zu erhöhen

Über Kooperationen mit anderen Herstellern und Zulieferern auf eine Industrielösung setzen, um sich gegen die Big Tech Player mit einem „Industriestandard“ zu positionieren und dabei Skaleneffekte und damit geringere individuelle Entwicklungskosten zu nutzen

Kooperation mit Zulieferern/Big Tech Playern (bspw. im Infotainment mit Android Automotive, bei Autonomem Fahren mit Waymo) mit entsprechenden Kosten- und Integrationsvorteilen aber auch potenziellen Risiken lediglich zum Hardware-Lieferanten für das „Smartphone auf Rädern“ zu werden.

Eines lässt sich dabei mit Sicherheit sagen: die Dynamik im Automotive Softwaremarkt hat gerade erst Fahrt aufgenommen und ist noch längst nicht abgeschlossen. Wie sich die OEMs und Zulieferer in diesem Umfeld positionieren wird in vielen Fällen ganz entscheidend für deren zukünftigen Erfolg sein.

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Jan Dannenberg (1962) ist seit 1990 Berater der Automobilindustrie und seit Mai 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Bis zum Frühjahr 2011 war er acht Jahre international als Partner – davon fünf Jahre als Associate Partner – für Mercer Management Consulting und Oliver Wyman tätig. Er ist ausgewiesener Spezialist für Innovationen und Markenmanagement in der Automobilindustrie und berät im Schwerpunkt Zulieferer und Investoren zu Strategie, Mergers & Acquisitions und Performance Improvement. Zudem ist er Geschäftsführer von Berylls Equity Partners, eine auf Mobilitätsunternehmen spezialisierte Beteiligungsgesellschaft.

Bachelor of Arts in Volkswirtschaftslehre von der Stanford University, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion an der Universität Bamberg.

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Software und Daten statt Stahl und Eisen

München, Juni 2017
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nnerhalb der letzten 20 Jahren haben sich die Machtverhältnisse an den Kapitalmärkten massiv verschoben. Galten in den 1990er Jahren noch Firmen wie Coca-Cola, General Electric, Ford, Disney, McDonalds oder Nokia als die weltweit wertvollsten Unternehmen, so zählen heute Amazon, Facebook, Microsoft, Alibaba, Alphabet und Apple zu den Top 10.

Das Immaterielle löst das Materielle ab. Apps, Algorithmen und künstliche Intelligenz verdrängen Stahl und Eisen. Die Marktkapitalisierung der zehn größten Automobilunternehmen (inklusive Tesla) liegt bei zirka 670 Milliarden EUR (Stand Ende 2017) und entspricht damit gerade einmal der Marktkapitalisierung von Microsoft.

11,7 Prozent jährliches Wachstum bei Automotive-Software

Software und Daten machen den Unterschied aus – und das zunehmend auch in der Automobilindustrie. Heute liegt der Wert von Software je Fahrzeug bei ungefähr 2 Prozent oder 240 EUR. Das entspricht gerade einmal 8 Prozent des gesamten Elektrik- und Elektronikanteils von durchschnittlich 3.020 EUR je PKW; der EE-Anteil für ein Durchschnittsfahrzeug liegt bei gut 24 Prozent der Herstellkosten. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Fahrzeugklassen sind allerdings gewaltig: Im Premiumsegment steigt der EE-Anteil auf 37 Prozent, also auf gut 14.500 EUR je Fahrzeug. Eine Prognose von Berylls Strategy Advisors zeigt, dass sich der Markt für Automotive-Software bis zum Jahr 2025 mehr als verdoppeln wird. Während sich im vergangenen Jahr die Marktgröße noch auf 22 Milliarden EUR belief, gehen Berylls-Prognosen von einem Anstieg des Marktvolumens auf 53 Milliarden EUR im Jahr 2025 aus. Zu diesem Zeitpunkt wird in jedem Auto durchschnittlich ca. 520 EUR an Software enthalten sein.

Die Gründe für diese Entwicklung liegen auf der Hand: Innovative Features aus der Oberklasse mit hohem Softwareanteil werden immer zügiger auch im Volumensegment eingeführt. Bestes Beispiel hierfür ist das MBUX Multimediasystem von Mercedes-Benz, das erstmalig im Kompaktsegment (A-Klasse) eingeführt wurde und sogar die Funktionsumfänge in deutlich höheren Fahrzeugsegmenten übertrifft. Zudem benötigen sämtliche CASE-Technologien einen sehr hohen Anteil an Software-Wertschöpfung. Updates und Upgrades von Fahrzeugen ermöglichen neue Geschäftsmodelle mit hohem Nutzen für den Fahrzeuglenker und den -hersteller. Die durch das Fahrzeug und den Fahrer erzeugten Daten können gewinnbringend an Dritte weitergereicht oder für eigene Zwecke genutzt werden. Zudem ist der durch Software erzeugte Mehrwert kostengünstig: Einmal erzeugte Software kann millionenfach repliziert werden. Software wird somit zur zentralen Schnittstelle neuer Funktionalitäten im Automobil.

Elektronik-Tier 1s als größte Profiteure des Software-Booms

In der Automobilindustrie werden zunächst die großen Elektronik-Tier 1s vom Softwarewachstum profitieren. Die Berylls-Studie zeigt, dass im Jahr 2025 zirka 83 Prozent oder 44 Milliarden EUR der gesamten automobilen Software-Wertschöpfung auf große Zulieferkonzerne entfallen wird: Bosch, Continental, Denso, Lear, Aptiv (ehemals Delphi), Harman (Samsung), Valeo und Panasonic werden die großen Gewinner sein.

Knapp 12 Prozent der Wertschöpfung (umgerechnet 6,3 Milliarden EUR) wird durch die OEMs selber geleistet werden. Dabei geht es aber überwiegend nicht um die eigentliche Entwicklung von Codes. Vielmehr muss Software richtig gemanagt werden, um zum Beispiel das „falsche“ Flashen von Software zur Steuerung der Emissionsreduzierung zu vermeiden. Auch werden OTA-Lösungen („over the air“) zur Aktualisierung von Software oder zur Verbesserung und Erweiterung von Fahrzeug-Funktionalitäten stark zunehmen.

Daneben gibt es eine Gruppe von spezialisierten EE-Engineering-Dienstleistern (EDLs) und reinen Software-Playern, die sich auf die Entwicklung von Software-Lösungen konzentrieren. Unter den EDLs sind neben den großen Generalisten (Gesamtumsätze zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde EUR) wie Bertrandt, Assytem oder AKKA / MB Tech auch viele Elektronik-Spezialisten, die über hohe Softwarekompetenz verfügen: IAV, ESG, in-tech oder Elektrobit (mit Umsätzen zwischen 100 und 250 Millionen EUR im EE Bereich). Reine Software-Entwickler im Automotive Bereich bieten neben der Programmierung und dem Testen auch Entwicklungs-Tools. Dazu gehören Mathworks, Vector Informatik, DSpace, ETAS, Green Hills, Luxoft oder Mentor Graphics und Umsätzen zwischen 250 Millionen und 1 Milliarde EUR; in der Regel wird nur ein Teil der Geschäfte im Automobilsektor erzielt. Heute decken alle EE-EDL und Software-Spezialisten zirka 1,8 Milliarden EUR (8 Prozent vom Gesamtmarkt) ab. Bis zum Jahr 2025 werden es um die 3 Milliarden EUR oder 6 Prozent vom Markt sein.

Kleine Software- und Elektronikspezialisten auf dem Einkaufzetteln der großen Zulieferer und EDLs

Der Hauptgrund für die Reduzierung des Marktanteils bei den Software-Spezialisten liegt in den umfangreichen M&A-Aktivitäten der großen Tier 1-Zulieferer und EDLs. In der Vergangenheit wurden Firmen wie Elektrobit (durch Continental), Berner & Mattner sowie Silver Atena (durch Assystem), Gigatronik (durch AKKA/ MB Tech) oder in-tech (chinesischer Zulieferer) übernommen.

Ergänzt werden diese Zukäufe durch Übernahmen in den CASE-Technologien. Die Zukäufe des letzten Jahres durch die drei größten deutschen Zulieferer belegen diese Entwicklung eindrucksvoll:

Doch das Potenzial an neuen Start-ups scheint unerschöpflich. Die Berylls M&A-Studie zur Automobilindustrie 2017 weist heute bereits über 1.000 Start-ups im Mobilitätssektor aus. Für „Nachschub“ bei Firmenübernahmen und hochinnovativen Softwareplayern sollte also gesorgt sein, sofern ein wesentlicher Wermutstropfen aufgehoben werden kann: die mangelnde Verfügbarkeit qualifizierter Software-Entwicklerinnen und Entwickler am Arbeitsmarkt, die derzeit ein noch stärkeres Wachstum der Unternehmen verhindert.

Autoren
Dr. Matthias Kempf

Partner

Tobias Keil

Principal

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Matthias Kempf (1974) ist seit August 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Er begann seine Laufbahn im Jahre 2000 bei Mercer Management Consulting. Nach Promotion und weiterer Beratungstätigkeit bei Oliver Wyman war er 2008 bis 2011 im Management der Hilti Deutschland GmbH tätig. Sein Spezialgebiet bei Berylls liegt im Bereich der neuen Mobilitätsdienstleistungen und Verkehrskonzepte. Darüber hinaus ist er Experte bei der Entwicklung und Implementierung neuer digitaler Geschäftsmodelle und der Digitalisierung von Vertrieb und After Sales.

Studium Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe, Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München.