Digitalisierung

Batterietechnologie Start-ups in der Automobilindustrie: Hype oder Flaute? In welche Richtung entwickeln sich die zukünftigen Geschäftsmodelle?

München, Juni 2022

Digitalisierung

Batterietechnologie Start-Ups in der Automobilindustrie: Hype oder Flaute? In welche Richtung entwickeln sich die zukünftigen Geschäftsmodelle?

München, Juni 2022

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erzeit erleben wir weltweit eine Aufbruchsstimmung weg von konventionellen Verbrennungsmotoren hinzu surrenden batterieelektrischen Fahrzeugen.

Der Anstieg der Neuzulassungen belegt diesen Trend und spricht eine deutliche Sprache: Während die Anzahl der weltweiten Neuzulassungen über alle Antriebsformen hinweg bis 2030 um 5% zunehmen wird, verliert der traditionelle Verbrennungsmotor signifikant Anteile. Die Neuzulassungen für batterieelektrische Fahrzeuge werden im weltweiten Durchschnitt aller Voraussicht nach mit über 30% zulegen können. Fundamentaler Baustein und Voraussetzung für dieses Wachstum ist die Verfügbarkeit von ausreichend Batteriezellen.

Im Jahr 2021 lag die jährliche Produktionskapazität von Lithiumionen-Batterien in den USA, Europa und China in Summe knapp unter 700 GWh. Für 2030 wird in diesen Regionen mit einem jährlichen Bedarf von bis zu 2.600 GWh gerechnet, was zur Deckung eine jährliche Steigerung der Produktionskapazitäten von 16% erfordern würde. Das schnelle Wachstum des Batteriezellbedarfs und der damit einhergehenden Produktionskapazitäten stellt die Zuliefererindustrie vor zentrale Fragen: Welche Strukturen und Geschäftsmodelle werden diesen Trend ermöglichen? Schaffen es die etablierten Marktteilnehmer auf den Trend schnell und innovativ zu reagieren – oder werden andere, neue Marktteilnehmer die sich auftuende Lücke nutzen, bevor die bestehenden Zulieferer sie schließen können?

Auch wenn viele etablierte Zulieferer diverse Aktivitäten unternommen haben, ist in den letzten 10 Jahren ein wahrer Hype um Start-ups im Kontext Batterietechnologie und -produktion zu beobachten. Von 700 Start-ups, die im Kontext Batterie identifiziert und die seit 2010 gegründet wurden, haben allein 279 Start-ups einen Bezug zur Automobilindustrie. Neben dem großen Markpotenzial und dem Hype um die Elektromobilität sind die niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt als Treiber dieser Entwicklung nicht zu vernachlässigen. Mit Blick auf die analysierten Start-ups fand diese Entwicklung den Höhepunkt in den Jahren 2016 und 2017 und hat sich seither verlangsamt. Über die Jahre betrachtet, stammt der Großteil der Start-ups aus Nord-, Mittel und Südamerika, auch wenn sich mittlerweile große Firmen aus anderen Regionen besonders im Bereich der Zellproduktion erfolgreich etablieren konnten. Der chinesische Zulieferer CATL steht Pate für diese Entwicklung. 2011 als Start-up gegründet, konnte CATL den Umsatz seit 2019 auf stolze 18,1 Mrd. EUR im Jahr 2021 verdreifachen.

Abbildung 1: Batterie Start-ups mit Automobilbezug nach Gründungsjahr und Region (Anzahl)

Autoren
Fritz Metzger

Principal

Hendryk Pausch

Senior Associate

Sven Zellner

Consultant

Betrachtet man die Finanzierung dieser Start-ups, so lässt sich insbesondere in den letzten Jahren ein Trend hin zu großen Finanzierungsrunden feststellen. Von über 200 analysierten Finanzierungsrunden der betrachteten Start-ups entfallen allein 53 auf das Jahr 2021 mit einem durchschnittlichen Volumen von 119 Mio. Euro. Seit 2020 hat sich dieser Wert versechsfacht und die gesamte jährliche Finanzierung der betrachteten Start-ups ist von 900 Mio. Euro auf über 6 Mrd. Euro sogar um das Siebenfache gestiegen. Große Finanzierungsvolumen sind insbesondere bei den investitionsintensiven Batteriezellenherstellern zu finden. Das erhaltene Kapital ist notwendig, um die Produktionskapazitäten entsprechend der schnell steigenden Nachfrage der Automobilhersteller auszubauen.

Abbildung 2:  Start-up Finanzierung vor öffentlicher Erstsmission nach Jahren [in Mio. EUR]

Mit zunehmender Größe der Batteriehersteller wird es nun schwieriger für neue Start-ups Fuß zu fassen: Sie scheinen ihr Glück in neuen und anderen Segmenten der Wertschöpfungskette zu suchen. Entsprechend ist zu erkennen, dass bereits in den letzten Jahren Start-ups nicht nur in der klassischen Batterieproduktion, sondern auch in Bereichen wie Recycling und Wiederaufbereitung (Remanufacturing) sowie Dienstleistungen gegründet wurden. Sowohl die absolute Anzahl als auch der Anteil der Start-ups im Bereich der Batterieproduktion sind in den letzten drei Jahren rückläufig.

Abbildung 3: Start-ups nach Gründungsjahr [Anzahl] und Wertschöpfungsstufe [Anteil]

Bereiche, die derzeit noch Potential für Start-ups bieten, sind Feldüberwachung von Batterien und Produktion sowie das Schließen des Materialkreislaufs. In diesen Bereichen findet Künstliche Intelligenz vermehrt Einsatz, die hierdurch zur Qualitätsabsicherung in Feld und Produktion beiträgt und somit gezielt ungelöste Herausforderungen nutzt, um nachhaltigen Kundennutzen zu schaffen. Ein Beispiel hierfür ist Start-up Accure Battery Intelligence aus Aachen.

Bleibt nun die Frage: Welche Optionen haben die etablierten Zulieferer? Der Kampf um immer größere Produktionsvolumina ist in vollem Gange. Bei einer strategischen Neuausrichtung auf die Batterieindustrie im Bereich Automotive ist es hier kaum mehr möglich Fuß zu fassen. Die Marktanteile verteilen sich auf mittlerweile eingeschwungene Spieler. Ähnlich wie für die jungen Start-ups gilt es für die konventionellen Zulieferer sich auf die Randbereiche zu fokussieren und hier gezielt Kompetenzen aufzubauen, die das Ökosystem Batterie befeuern und Probleme in Wertstrom und Feld lösen – entweder durch eigene Kraft oder den Zukauf von außen.

Über den Autor
Fritz Metzger

Fritz Metzger ist seit Februar 2021 bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Automotive Operations.

Seit 2011 fokussiert er dabei strategische Ausrichtung und Effizienzsteigerung der Operations von Automobilherstellern und -zulieferern. Zudem berät er das Top Management in kritischen Situationen, dazu gehören Task Forces im Rahmen der Entwicklung und Industrialisierung, Verlagerungen und die Restrukturierung von Werken und kompletten Zulieferern. Die Herausforderungen der E-Mobilität sind dabei stets im Blickfeld.

Vor seiner Zeit bei Berylls war er als Direktor bei internationalen Strategieberater PwC Strategy& tätig, sowie als Vertriebs- und Projektleiter bei einem mittelständischen Zulieferer und Maschinenbauer.

Fritz Metzger ist ausgebildeter Wirtschaftsingenieur mit einem Abschluss von der ESB Business School Reutlingen und hat einen MBA an der Universität Salzburg absolviert.

Digitalisierung

Start-ups – Vom Suchen, Finden und Entwickeln eines Technologie-Einhorns. Oder gibt es die gar nicht mehr?

München, Juni 2018
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ie Wucht, mit der die Digitalisierung die Automobilindustrie getroffen hat, lässt sich heute schon an einem Wert ablesen: Euro 119 Milliarden. Das ist die Summe, die bislang an Risikokapital und sonstigen Finanzmitteln in Start-ups der Mobilitätsindustrie geflossen ist, so die aktuelle Berylls-Studie „How Mobility Start-ups Transform the Global Automotive Industry“. Untersucht wurden 1.003 Neugründungen, mit teilweise verblüffenden Ergebnissen.

Autoren
Dr. Jan Dannenberg

Executive Partner

Florian Peter

Partner

DIE TOP 10 START-UPS ERHIELTEN 49% DER MITTEL

Schon heute zeigt sich die Wirkung neuer, digitaler Geschäftsmodelle auf den Straßen. In den USA und teilweise auch in China haben die großen Fahrdienstvermittlungen, neudeutsch „ride hailers“, bereits das Mobilitätsverhalten verändert. In vielen Städten werden keine Taxidienste mehr an den Flughäfen angeboten. Systematisch bauen Mobilitätsdienstleister ihr Netz landes- bis weltweit aus. Von den zehn am umfangreichsten finanzierten Start-ups, setzen sechs auf Fahrdienste: DiDi (CN), Uber (USA), Grab (SGP), Ola (IND), Lyft (USA), Ucar (CN). Beispielweise hat Lyft in den 7 Jahren seit seiner Gründung eine Abdeckung von 95 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung erreicht, die Dienste sind in 700 Städten verfügbar, und mit einem Börsenwert von US Dollar 15,6 Milliarden und einem Umsatz von US Dollar 2,16 Milliarden ist Lyft nur eines der Erfolgsbeispiele der Digitalisierung. Die weiteren Unternehmen der Top 10, Tesla, NIO, Faraday Future und Cruise, beschäftigen sich mit der Herstellung von Elektrofahrzeugen bzw. dem autonomen Fahren. Insgesamt erhielten die zehn größten Start-ups bislang 49% des gesamten Risikokapitals.

RISIKOKAPITAL IN ALLEN BEREICHEN DER MOBILITÄTSWERTSCHÖPFUNGS-KETTE

Die Schwerpunkt-Segmente bei Mobilitäts-Start-ups sind heute: Ride Hailing (mit Euro 44,1 Milliarden an Risikokapital), Fahrzeugbau und hier vor allem Elektro- und autonom fahrende Automobile (28,4), Shared Mobility wie SHARE NOW (15,8), Elektrik-/Elektronik-Komponenten als Zulieferteile (11,6), Konnektivitätslösungen für Fahrzeuge (1,8), Gebrauchtfahrzeugvertrieb (1,6), Bezahlsysteme (1,5), Letzte-Meile-Gütertransport (1,5), Digitale Infrastruktur Konnektivität (1,1) sowie Industrie 4.0-Anwendungen für die Automobilindustrie (1,0). Die drei führenden Segmente ziehen bereits 75 Prozent der Investitionsmittel auf sich, die zehn größten decken schon über 90 Prozent ab. Dabei wurden von Berylls über 150 Sektoren entlang der automobilen Wertschöpfungskette untersucht. Dies belegt das enorme Potenzial für weitere Start-ups in neu entstehenden Sektoren.

Großer Bedarf wird entstehen in Start-up-Segmenten wie Cloud Services & Cyber Security, Sensorik und deren Systemintegration im Zusammenhang mit automatisiertem Fahren (Lidar, Radar, …), physische und digitale Infrastruktur zum Betreiben von Elektrofahrzeugen, neue HMI-Systeme (human-machine-interface) wie augmented reality, Sprach- und Gestenerkennung, Konnektivitäts-Dienste fürs Fahrzeug (Ferndiagnose, -steuerung, …) oder auch Fahrzeugabonnements. Schon heute zeigt sich, dass diese und weitere Bereiche bezüglich Ideengenerierung, Unternehmertum und Risikokapital unterrepräsentiert sind. Es werden sich also auch in Zukunft vielfältige Möglichkeiten für Neugründungen ergeben.

DEUTSCHE START-UPS UND INVESTOREN HOLEN AUF

Eine aus Sicht der deutschen Automobilindustrie erfreuliche Tendenz ist die steigende Bereitschaft im deutschsprachigen Raum, neue, digitale Geschäftsmodelle mit Hilfe von Risikokapital aufzubauen bzw. zu unterstützen. In den vergangenen drei Jahren sind mehr als 30 Start-ups in der DACH Region entstanden, die innovative Mobilitätslösungen anbieten. Zwar haben Berlin und München noch lange nicht den Status des Silicon Valleys oder Tel Avivs erreicht, doch immer häufiger entstehen junge (Automobilitäts-)Firmen auch in Deutschland. Zudem haben alle deutschen Automobilhersteller sowie die großen Zulieferer (wie Bosch, ZF, Conti oder Mahle) erkannt, dass sie über Risikokapital Zugang zu technologischen Innovationen erhalten. Zudem investieren auch andere deutsche DAX-Unternehmen, wie Allianz oder Siemens in Mobilitäts-Start-ups. War im Jahr 2017 noch Daimler der aktivste Investor/ Käufer bei Start-ups, so war es 2018 BMW. Die BMW Group und BMW iVenture haben sich ihre Beteiligungen/ Übernahmen von Parkmobile, DriveNow, Moovit, Fair.com, May Mobility, Caroobi, Lunewave, Critical TechWorks oder Graphcore einiges kosten lassen – sie waren an Finanzierungen von über Euro 300 Millionen mitbeteiligt.

Der Hype um weitere Einhörner ist noch lange nicht beendet, und dass diese auch aus Deutschland kommen können, zeigt das Beispiel AUTO1.com aus dem Jahr 2018. Als europaweit führender Online-Marktplatz mit einem eigenen Bestand an Fahrzeugen hat sich AUTO1.com auf gewerbliche Automobil-Großhändler konzentriert. Zudem betreibt die Gruppe auch die Internetplattform „WirKaufenDeinAuto“ für den Aufkauf von privaten Fahrzeugen. Für einen 20 Prozent Anteil an AUTO1.com hat der sehr umtriebige japanische Investor SoftBank Euro 460 Millionen bezahlt. Damit ist das Berliner Start-up mit einem Bewertung von Euro 2,3 Milliarden ein waschechtes Einhorn.

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Jan Dannenberg (1962) ist seit 1990 Berater der Automobilindustrie und seit Mai 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Bis zum Frühjahr 2011 war er acht Jahre international als Partner – davon fünf Jahre als Associate Partner – für Mercer Management Consulting und Oliver Wyman tätig. Er ist ausgewiesener Spezialist für Innovationen und Markenmanagement in der Automobilindustrie und berät im Schwerpunkt Zulieferer und Investoren zu Strategie, Mergers & Acquisitions und Performance Improvement. Zudem ist er Geschäftsführer von Berylls Equity Partners, eine auf Mobilitätsunternehmen spezialisierte Beteiligungsgesellschaft.

Bachelor of Arts in Volkswirtschaftslehre von der Stanford University, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion an der Universität Bamberg.

Digitalisierung

Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor für die digitale Transformation

München, Mai 2017
K

ein Tag vergeht, ohne dass man mit dem Begriff der „digitalen Transformation“ konfrontiert wird. Auch in der Automobilindustrie findet der strukturelle Wandel mit immer höherer Geschwindigkeit statt. Getrieben durch die Fahrzeug-vernetzung, hochautomatisierte oder gar autonom fahrende Fahrzeuge, neue Mobilitätsangebote, Big Data und alternative Antriebe richten Hersteller und Zulieferer ihr oftmals seit Jahrzehnten etabliertes Geschäftsmodell an vielen Stellen neu aus.

Die Digitalisierung hat das Potenzial, Wertschöpfungsketten und -verteilungen durcheinander zu würfeln und Geschäftsmodelle maßgeblich zu beeinflussen. Durch Produkt- und Prozessinnovationen können die Unternehmen ihre bestehende Positionierung verbessern und neue Positionierungen aufbauen:

    1. Optimierung heutiger Geschäftsmodelle, beispielsweise durch die Digitalisierung von Produkten & Services im angestammten Portfolio, durch die Vernetzung der Supply Chain über Unternehmensgrenzen hinweg oder durch die Nutzung künstlicher Intelligenz zur Verbesserung der Flexibilität und Reaktionsfähigkeit
  1. Erweiterung der Geschäftsmodelle, beispielsweise durch die Weiterentwicklung des Produkt- und Serviceportfolios im Kontext des Autonomen Fahrens oder der Elektrifizierung des Antriebsstrangs
  2. Aufbau neuer Geschäftsmodelle, beispielsweise durch die Gestaltung neuer Transportlösungen und die Erschließung eines unmittelbaren (End-)Kundenzugangs

Die facettenreichen Treiber der Digitalisierung (z.B. „Internet of Things“, „Industrie 4.0“, „Mobile Devices“, „Big Data“) wirken sich mit sehr unterschiedlicher Relevanz und Dringlichkeit auf die Unternehmen der Zulieferindustrie aus. Dies macht eine gründliche Auseinandersetzung mit der Bedeutung der digitalen Transformation erforderlich, um Chancen zu nutzen und Risiken möglichst frühzeitig zu identifizieren, um entsprechend gegensteuern zu können.

In diesem Zusammenhang stellt sich für Organisationen immer häufiger die Frage, inwieweit die bestehende Unternehmenskultur es überhaupt zulässt, die hohe Komplexität der Digitalisierung zu bewältigen. Kleine und mittelständische Zulieferer drohen hier den Anschluss zu verlieren. Vielfach ist die Kultur der Unternehmen noch traditionell ausgerichtet und steht damit Anforderungen wie Agilität, flachen Hierarchien und eigenverantwortlichen Teams entgegen. Auch „trial & error“-Methoden und kurze Entwicklungszyklen mit enger Einbindung externer Partner lassen sich mit der etablierten Kultur oftmals kaum realisieren. All das sind jedoch Anforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt und einen direkten Einfluss auf Strategie, Strukturen und Prozesse, Fähigkeiten und auch die Unternehmenskultur ausüben. Berylls hat Empfehlungen abgeleitet, die insbesondere für den Mittelstand Wege aufzeigen sollen, wie die heutige Erfolgsposition gehalten beziehungsweise für die Zukunft ausgebaut werden kann. 

Fest steht: Bestehende Muster in der Unternehmenskultur lassen die Digitalisierung vielfach (noch) nicht zu. Obwohl die Relevanz und Dringlichkeit der Digitalisierung akzeptiert ist, besitzt kaum ein Unternehmen einen echten Masterplan zur Digitalisierung. Es wird nur in Ansätzen deutlich, welche sinnstiftende Mission in Zukunft verfolgt werden muss und inwieweit die Digitalisierung das Unternehmen verändern soll. Die Frage bleibt mehrheitlich offen, ob man wie bisher als Komponenten- oder Systemlieferant weiter existieren kann oder sich neue Geschäftsmodelle erschließen muss. Vielen Unternehmen gelingt es schlichtweg nicht, Möglichkeiten, die sich z.B. durch den Einsatz von Big Data ergeben, zu identifizieren und zu nutzen. Als Ziel haben viele Unternehmen aus dem Mittelstand deshalb noch überwiegend Prozess- und Kostenoptimierungen im Fokus. Die Tatsache, dass Digitalisierung einen direkten Kundenzugang bieten kann, wird dabei oftmals übersehen. Als Folge fehlt das Verständnis für Chancen, die sich aus neuen Produkte-/Service-Angeboten oder digitalen Geschäftsmodellen bieten und bestehende Potenziale für neue Erlösquellen werden quasi ignoriert. Neben einer nicht mehr zeitgemäßen Management- und Organisationsstruktur, ungenügenden finanziellen Ressourcen und einem Mangel an verfügbaren Kompetenzen für die digitale Welt wird die existierende Unternehmenskultur als häufigster Grund für einen nicht existierenden Masterplan und somit für eine fehlende ganzheitliche Auseinandersetzung mit der Digitalisierung genannt.

Auch die „Company Culture 4.0“-Studie von Berylls Strategy Advisors zeigt, dass die Unternehmenskultur für den Erfolg eines Unternehmens ein maßgeblicher Faktor ist. Viele Zulieferer setzen sich bereits intensiv mit ihrer eigenen Kultur auseinander: Das Management diskutiert und reflektiert seine Wahrnehmungen zur Kultur, beschreibt Werte, Normen und Grundüberzeugungen der Führung und Zusammenarbeit und bildet in vielen Fällen die Mitarbeiter im Umgang mit diesen aus. Warum führt dieses Engagement dennoch nicht zu einer ganzheitlichen Auseinandersetzung mit der Digitalisierung?

Folgende Gründe sieht Berylls, weshalb Kulturarbeit in vielen Unternehmen noch nicht institutionalisiert ist:

  • Der anhaltende Erfolg des bestehenden Geschäftsmodells und die Orientierung am etablierten, direkten Wettbewerb reduziert die Veränderungsbereitschaft in den Unternehmen.
  • Das Verständnis von Digitalisierung ist in bestehenden Organisationen sehr differenziert und eine gemeinsam erarbeitete Definition von Digitalisierung fehlt.
  • Die Diskussion über die Unternehmenskultur orientiert sich zu sehr an den bisher wirkungsvollen, traditionellen kulturellen Eigenschaften: Qualität, Verlässlichkeit, Gründlichkeit und Sparsamkeit, verbunden mit Bodenständigkeit. Es liegt nicht in der kulturellen DNA der Teilnehmer, ohne sorgfältige Planung nach vorne zu stürmen und Investitionen als Experiment zu betrachten.
  • Insbesondere die Eigentümer oder oberen Führungskräfte leben größtenteils noch traditionelle Eigenschaften vor. In der Auseinandersetzung mit Digitalisierung handeln sie oft erfahrungsbasiert, streiten zu wenig über die sachlich beste Lösung und scheuen Investitionen außerhalb ihrer angestammten Möglichkeitsräume.
  • Es existiert noch relativ wenig Wissen in den Unternehmen über digitale Kompetenzen, Haltungen und Einstellungen. Dies führt dazu, dass man keine gemeinsame Sicht bezüglich der kulturellen Stärken und Schwächen im Hinblick auf Digitalisierung entwickeln kann. Umso schwerer wird die konsequente Förderung von Stärken und Eingrenzung von Schwächen.

Für den Erfolg notwendige Kulturmuster der digitalen Transformation müssen identifiziert werden, um die richtigen Maßnahmen für die Organisationsentwicklung definieren zu können. Ist die bestehende Unternehmenskultur hilfreich oder hinderlich, wenn es um die komplexen Anforderungen der Digitalisierung geht? Den Unternehmenskulturen vieler Organisationen fehlt es häufig an Mut für neue Wege, Offenheit für innovative Ideen, Streitkultur anstelle von Harmoniestreben und Umsetzungskraft trotz Widerständen. Die Eigenschaft „Mut“ wird vielfach als Leichtsinn und „Entschlossenheit“ als Starrsinn abgetan. Es sind aber beides Kultureigenschaften, ohne die ein grundlegender Wandel nicht zu bewältigen ist. Daher hat Berylls Strategy Advisors kulturelle Handlungsempfehlungen für die digitale Transformation erarbeitet, die gemeinsam mit Kulturexperten und Kooperationspartnern kontinuierlich weiterentwickelt werden. Berylls empfiehlt einen pragmatischen Weg und hebt die Bedeutung eines systemischen und systematischen Managements hervor. Führungskräfte bestimmen die Entwicklung der Kultur im Unternehmen maßgeblich. Es geht jedoch keinesfalls darum, Führung neu zu erfinden. Sie muss an den jeweiligen Bedarf der Organisationsentwicklung angepasst werden. Agilität beispielsweise ist nicht nur eine Methode, sondern eine Einstellung. Die Kunst ist es, existierende Konzepte bedarfsgerecht und sinnvoll im Unternehmen anzuwenden.

Außerdem gilt es, die kulturelle Perspektive bereits zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, in dem eine unternehmensweite Digitalstrategie erarbeitet wird. Die digitale Transformation erfordert neben strategischen und strukturellen vor allem auch kulturelle Initiativen, die die gesamte Belegschaft mobilisieren. Hilfreich ist die Schaffung eindeutiger Verantwortlichkeiten und klarer Zuordnungen auf Top Management Ebene zur erfolgreichen Umsetzung unternehmensweiter und zentral gesteuerter Maßnahmen der digitalen Transformation.

Vor allem aber muss die Entwicklung eines ganzheitlichen Masterplans zur digitalen Transformation bei den Entscheidern ganz oben auf die Agenda. Es gilt, die Potentiale und Gefahren der Digitalisierung ganzheitlich zu betrachten, um für das betroffene Unternehmen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Basis hierfür ist eine klare Definition darüber, was Digitalisierung eigentlich bedeutet. Die Durchschlagskraft eines am Geschäftsmodell ausgerichteten Digitalisierungsverständnisses ist enorm, der Weg dahin allerdings nicht einfach. Zur nachhaltigen Schließung von Wissenslücken digitaler Treiber, beispielsweise beim Big Data Know-how, bedarf es der gezielten Einbindung externer Wissensträger. Da diese aber nicht immer kompatibel mit den bestehenden Kulturmustern sind, ist eine entsprechende Entwicklung des digitalen Mindsets der Organisation erforderlich. Eine Säule dafür ist die Schaffung eines entsprechenden Ausbildungsangebots. Bei wichtigen Personalentscheidungen wie Rekrutierung und Beförderungen sollten jene Werte Berücksichtigung finden, die das Unternehmen in der digitalen Transformation dringend benötigt. Mitunter müssen gezielt Musterbrüche in Kauf genommen oder sogar bewusst herbeigeführt werden. Die digitale Transformation fordert bei etablierten Unternehmen ein kulturelles Umdenken, um die eigene Erfolgsposition abzusichern. Dieses Umdenken startet im Innersten der Organisation: mit einem neuen Mindset.

Autoren
Peter Eltze

Partner

Anna Wacker

Associate

ÜBER DEN AUTOR

Peter Eltze (1964) joined Berylls Strategy Advisors as a Partner in November 2015. He began his career in the medical technology division of an integrated technology corporation, and became a project manager at Malik Management Zentrum St. Gallen in 1996 before being appointed Partner in 2001. From 2003, in his role as member of the executive board, he was in charge of Management Education & Development. Since the end of the 1990s, Peter Eltze has advised companies in the automotive and mechanical engineering industries. At Berylls, his consulting activities focus on integrated organizational development (strategy, structure, culture), transformation management, and executive development.

Education in wholesale and international trade; administrative sciences at the University of Constance, Germany.