it der zunehmenden Bedeutung von Software-defined Vehicles (SdV) wird deutlich: Software ist längst nicht mehr nur ein Feature, sondern ein zentrales Element moderner Fahrzeuge.
Insbesondere bei Verzögerungen von Produkteinführungen stehen häufig Softwareprobleme im Vordergrund. Ein Aspekt, der bisher allerdings weniger beachtet wurde, ist der Einfluss solcher Probleme auf die Garantiekosten – und genau dieser nimmt stetig zu.
In den vergangenen Jahren verzeichneten insbesondere amerikanische- und europäische Automobilkonzerne einen Anstieg ihrer Garantieaufwendungen, der neue Rekordhöhen erreichte. Teilweise mussten sogar zusätzliche Rückstellungen gebildet werden, um unerwartete Garantieansprüche abzudecken. Die durchschnittliche Anspruchsquote der Erstausrüster (Original Equipment Manufacturers, OEMs) im Jahr 2023 lag bei 1,98 %, während die Rückstellungsquote 2,52 % betrug. Dies deutet darauf hin, dass die Hersteller auch künftig höhere Garantiekosten erwarten.
In der Vergangenheit, als Hardware noch die vorherrschende Komponente im Fahrzeug darstellte, war es möglich, Fehler bereits vor der Markteinführung zu identifizieren und zu beheben. Bei Software ist das deutlich schwieriger. Durchschnittlich enthält kommerzielle Software 20 bis 30 Fehler pro 1.000 Zeilen Code. Selbst bei gut aufgestellten Entwicklerteams bleiben etwa 1 bis 3 Fehler je 1.000 Zeilen – bei 20 bis 100 Millionen Zeilen Code pro Fahrzeug summiert sich das auf 20.000 bis 300.000 potenzielle Fehlerquellen.
Das bedeutet: Neben präventiven Maßnahmen in der Entwicklung sind OEMs auch auf starke reaktive Prozesse angewiesen, um Fehler im Feld schnell in den Griff zu bekommen.
Und hier hapert es – vor allem bei westlichen OEMs. Der Anteil softwarebedingter Garantiekosten steigt kontinuierlich und drückt zunehmend auf die Margen.
Abbildung 1 – Anstieg der Garantiekosten bei einem OEM
Legende:
Ansprüche in % des Umsatzes
Ansprüche in Mio. USD pro Quartal
Quelle: Berylls by AlixPartners
Für viele OEMs stellt es eine Herausforderung dar, die Zeitspanne zwischen Fehlererkennung und -behebung – die sogenannte Round-Trip-Zeit – entscheidend zu verkürzen. Dabei gilt: Je früher ein Fehler behoben wird, desto geringer ist der Schaden.
In der Phase nach dem Produktionsstart ist es besonders wichtig, schnell zu handeln. Da die Stückzahlen stetig steigen, können die OEMs durch frühzeitiges Gegensteuern bereits im Werk viele Probleme im Feld vermeiden und Missverständnisse in der Kommunikation mit Werkstätten reduzieren.
Gerade bei Softwareproblemen, die nach der Auslieferung auftreten, ist das kritisch. Häufig interpretieren Werkstätten Fehler im Feld zunächst fälschlicherweise als Hardwaredefekte und tauschen dann Komponenten aus – was nicht nur teuer, sondern auch ineffektiv ist.
Abbildung 2 – Kumulierte GW-Fälle
Quelle: Berylls by AlixPartners
Grundsätzlich ergeben sich folgende Handlungsfelder für den OEM und seine Zulieferer, um softwarebedingte Garantiekosten zu senken.
Schnelle Fehleranalyse und Root-Cause-Identifikation
Ein klar strukturiertes und effektives Vorgehen ist essenziell, um Fehlerursachen zügig zu erkennen. Dazu gehört, dass Strukturen und Prozesse eindeutig definiert sind. OEMs, Werkstätten und Zulieferer benötigen ein gemeinsames Verständnis sowie standardisierte Abläufe für die Fehlererfassung, -analyse und -priorisierung. Zulieferer sollten zudem eigene Eskalationspfade und Verantwortlichkeiten festlegen, um eine schnelle Bearbeitung sicherzustellen.
Ebenso wichtig ist es, Daten zügig und in der geforderten hohen Qualität bereitzustellen.Fehlerbeschreibungen müssen präzise und nachvollziehbar sein sowie durch relevante Diagnosedaten ergänzt werden. Dies beschleunigt nicht nur die Weitergabe, sondern auch die Analyse. Idealerweise stellen alle Beteiligten diese Informationen möglichst zeitnah zur Verfügung. Zulieferer tragen durch strukturierte Rückmeldungen, standardisierte Formate und vollständige Datensätze wesentlich zur Beschleunigung des Analyseprozesses bei.
Klare Verantwortlichkeiten spielen ebenfalls eine zentrale Rolle: Wenn für jede Software- und Hardwarekomponente ein zuständiger Feature Owner benannt ist, werden Probleme nicht zwischen Teams hin- und hergeschoben. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen für Software und Hardware hilft, Ursachen schneller einzugrenzen und nachhaltige Lösungen zu entwickeln.
Darüber hinaus sollte die Fehlerbehebung featurebasiert erfolgen. Anstatt einzelne Tickets isoliert zu bearbeiten, ist es effizienter, die Problemlösung über die betroffenen Funktionen zu organisieren – stets mit Blick auf den Kunden. Zulieferer können hier unterstützen, indem sie eigene interne Tickets nach Features bündeln und konsolidierte Rückmeldungen liefern.
Auch der Einsatz zentraler Tools trägt zur Effizienz bei. Gemeinsame Systeme für Tracking und Analyse schaffen Transparenz und fördern die Zusammenarbeit, insbesondere mit Zulieferern. Diese sollten bereit sein, auf gemeinsame Tools zu migrieren, Schnittstellen zu entwickeln und ihren Analyse-Teams hierauf direkten Zugriff zu ermöglichen.
Verbindliche Service Level Agreements (SLAs) mit Zulieferern sind ebenfalls entscheidend. Klare Zeitvorgaben für Analyse und Rückmeldung helfen, Verzögerungen zu vermeiden. Zulieferer sollten diese SLAs aktiv mitgestalten und deren Umsetzung intern sicherstellen.
Nicht zuletzt sollte bereits in der Entwicklungsphase vorausschauend gearbeitet werden. Aspekte wie Error Logging, Digital Trouble Codes (DTCs) und Ausnahmebehandlungen müssen frühzeitig berücksichtigt werden, um spätere Fehleranalysen zu erleichtern.
Fehlerbehebung und Rollout beschleunigen
Um Kosten zu senken und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, ist ein schneller Rollout von Software-Fixes unerlässlich. Eine durchdachte, Over-the-Air(OTA)-fähige Fahrzeugarchitektur bildet die notwendige Grundlage, um Softwarefehler im Feld rasch und ohne kostspielige Werkstattaufenthalte zu beheben. Nur wenn kritische Steuergeräte zuverlässig per Update adressierbar sind, können Fehler effizient, kundenfreundlich und skalierbar korrigiert werden.
Auch die Prozesse im Kundenservice und in den Werkstätten müssen darauf abgestimmt sein. Eine klare Rollenverteilung ist entscheidend: Was per OTA behebbar ist, sollte nicht in der Werkstatt landen. Dies spart Ressourcen und reduziert die Komplexität. Besonders in der Zeit nach einem Fahrzeug-Launch leisten Rapid-Response-Teams wertvolle Arbeit, indem sie schnell auf Probleme im Feld reagieren. Zulieferer können hier durch die Bereitstellung spezialisierter Fachkräfte einen wichtigen Beitrag leisten.
Im Bereich Tools und Automatisierung liegt weiteres Potenzial: Die Automatisierung von CI/CD-Prozessen (Continuous Integration/Continuous Deployment) ermöglicht es, Updates schneller und zuverlässiger auszurollen – auch aufseiten der Zulieferer. Diese sollten eigene Build- und Deploy-Pipelines etablieren und reibungslose Schnittstellen zum OEM-Prozess definieren.
Darüber hinaus sind umfassende Simulationen und Tests notwendig, um Fehler bereits vor dem Rollout zu erkennen. Zulieferer können den OEM unterstützen, indem sie eigene Simulations- und Testumgebungen betreiben und entsprechende Modelle zur Verfügung stellen. Die Umsetzung kleinerer, dafür aber häufigerer Updates reduziert das Risiko von Updatefehlern erheblich und erhöht die Flexibilität im Rollout-Prozess.
First-Level-Support stärken
Eine intelligente OTA-Strategie überträgt dem First-Level-Support mehr Verantwortung bei gleichzeitig reduziertem Aufwand. Viele Probleme können so direkt gelöst werden – oft ohne dass ein Werkstattbesuch erforderlich ist. Das reduziert nicht nur die Belastung für den Kunden, sondern entlastet zugleich den Second- und Third-Level-Support erheblich.
Die steigenden Garantiekosten infolge von Softwarefehlern sind für OEMs eine echte Herausforderung – mit direkter Auswirkung auf Wirtschaftlichkeit und Reputation. Im Jahr 2023 zahlten Automobilhersteller weltweit 51 Milliarden US-Dollar für Garantieansprüche und bildeten Rückstellungen in Höhe von 65 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht einem Anstieg von 17 % gegenüber 2022. Der Schlüssel zur Lösung liegt in einer besseren Zusammenarbeit mit den Zulieferern, klar geregelten Verantwortlichkeiten und intelligenten Prozessen.
Wer jetzt in Transparenz, Automatisierung und OTA-Fähigkeit investiert, wird langfristig belohnt: mit geringeren Kosten, zufriedenen Kunden und einer stärkeren Position im Wettbewerb. Besonders erfolgreiche OEMs setzen auf agile, partnerschaftliche Softwarestrategien – sie erkennen: Fehler wird es immer geben. Entscheidend ist, wie schnell und effizient man sie behebt.