Digitalisierung

Start-ups – Vom Suchen, Finden und Entwickeln eines Technologie-Einhorns. Oder gibt es die gar nicht mehr?

München, Juni 2018
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ie Wucht, mit der die Digitalisierung die Automobilindustrie getroffen hat, lässt sich heute schon an einem Wert ablesen: Euro 119 Milliarden. Das ist die Summe, die bislang an Risikokapital und sonstigen Finanzmitteln in Start-ups der Mobilitätsindustrie geflossen ist, so die aktuelle Berylls-Studie „How Mobility Start-ups Transform the Global Automotive Industry“. Untersucht wurden 1.003 Neugründungen, mit teilweise verblüffenden Ergebnissen.

Autoren
Dr. Jan Dannenberg

Executive Partner

Florian Peter

Partner

DIE TOP 10 START-UPS ERHIELTEN 49% DER MITTEL

Schon heute zeigt sich die Wirkung neuer, digitaler Geschäftsmodelle auf den Straßen. In den USA und teilweise auch in China haben die großen Fahrdienstvermittlungen, neudeutsch „ride hailers“, bereits das Mobilitätsverhalten verändert. In vielen Städten werden keine Taxidienste mehr an den Flughäfen angeboten. Systematisch bauen Mobilitätsdienstleister ihr Netz landes- bis weltweit aus. Von den zehn am umfangreichsten finanzierten Start-ups, setzen sechs auf Fahrdienste: DiDi (CN), Uber (USA), Grab (SGP), Ola (IND), Lyft (USA), Ucar (CN). Beispielweise hat Lyft in den 7 Jahren seit seiner Gründung eine Abdeckung von 95 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung erreicht, die Dienste sind in 700 Städten verfügbar, und mit einem Börsenwert von US Dollar 15,6 Milliarden und einem Umsatz von US Dollar 2,16 Milliarden ist Lyft nur eines der Erfolgsbeispiele der Digitalisierung. Die weiteren Unternehmen der Top 10, Tesla, NIO, Faraday Future und Cruise, beschäftigen sich mit der Herstellung von Elektrofahrzeugen bzw. dem autonomen Fahren. Insgesamt erhielten die zehn größten Start-ups bislang 49% des gesamten Risikokapitals.

RISIKOKAPITAL IN ALLEN BEREICHEN DER MOBILITÄTSWERTSCHÖPFUNGS-KETTE

Die Schwerpunkt-Segmente bei Mobilitäts-Start-ups sind heute: Ride Hailing (mit Euro 44,1 Milliarden an Risikokapital), Fahrzeugbau und hier vor allem Elektro- und autonom fahrende Automobile (28,4), Shared Mobility wie SHARE NOW (15,8), Elektrik-/Elektronik-Komponenten als Zulieferteile (11,6), Konnektivitätslösungen für Fahrzeuge (1,8), Gebrauchtfahrzeugvertrieb (1,6), Bezahlsysteme (1,5), Letzte-Meile-Gütertransport (1,5), Digitale Infrastruktur Konnektivität (1,1) sowie Industrie 4.0-Anwendungen für die Automobilindustrie (1,0). Die drei führenden Segmente ziehen bereits 75 Prozent der Investitionsmittel auf sich, die zehn größten decken schon über 90 Prozent ab. Dabei wurden von Berylls über 150 Sektoren entlang der automobilen Wertschöpfungskette untersucht. Dies belegt das enorme Potenzial für weitere Start-ups in neu entstehenden Sektoren.

Großer Bedarf wird entstehen in Start-up-Segmenten wie Cloud Services & Cyber Security, Sensorik und deren Systemintegration im Zusammenhang mit automatisiertem Fahren (Lidar, Radar, …), physische und digitale Infrastruktur zum Betreiben von Elektrofahrzeugen, neue HMI-Systeme (human-machine-interface) wie augmented reality, Sprach- und Gestenerkennung, Konnektivitäts-Dienste fürs Fahrzeug (Ferndiagnose, -steuerung, …) oder auch Fahrzeugabonnements. Schon heute zeigt sich, dass diese und weitere Bereiche bezüglich Ideengenerierung, Unternehmertum und Risikokapital unterrepräsentiert sind. Es werden sich also auch in Zukunft vielfältige Möglichkeiten für Neugründungen ergeben.

DEUTSCHE START-UPS UND INVESTOREN HOLEN AUF

Eine aus Sicht der deutschen Automobilindustrie erfreuliche Tendenz ist die steigende Bereitschaft im deutschsprachigen Raum, neue, digitale Geschäftsmodelle mit Hilfe von Risikokapital aufzubauen bzw. zu unterstützen. In den vergangenen drei Jahren sind mehr als 30 Start-ups in der DACH Region entstanden, die innovative Mobilitätslösungen anbieten. Zwar haben Berlin und München noch lange nicht den Status des Silicon Valleys oder Tel Avivs erreicht, doch immer häufiger entstehen junge (Automobilitäts-)Firmen auch in Deutschland. Zudem haben alle deutschen Automobilhersteller sowie die großen Zulieferer (wie Bosch, ZF, Conti oder Mahle) erkannt, dass sie über Risikokapital Zugang zu technologischen Innovationen erhalten. Zudem investieren auch andere deutsche DAX-Unternehmen, wie Allianz oder Siemens in Mobilitäts-Start-ups. War im Jahr 2017 noch Daimler der aktivste Investor/ Käufer bei Start-ups, so war es 2018 BMW. Die BMW Group und BMW iVenture haben sich ihre Beteiligungen/ Übernahmen von Parkmobile, DriveNow, Moovit, Fair.com, May Mobility, Caroobi, Lunewave, Critical TechWorks oder Graphcore einiges kosten lassen – sie waren an Finanzierungen von über Euro 300 Millionen mitbeteiligt.

Der Hype um weitere Einhörner ist noch lange nicht beendet, und dass diese auch aus Deutschland kommen können, zeigt das Beispiel AUTO1.com aus dem Jahr 2018. Als europaweit führender Online-Marktplatz mit einem eigenen Bestand an Fahrzeugen hat sich AUTO1.com auf gewerbliche Automobil-Großhändler konzentriert. Zudem betreibt die Gruppe auch die Internetplattform „WirKaufenDeinAuto“ für den Aufkauf von privaten Fahrzeugen. Für einen 20 Prozent Anteil an AUTO1.com hat der sehr umtriebige japanische Investor SoftBank Euro 460 Millionen bezahlt. Damit ist das Berliner Start-up mit einem Bewertung von Euro 2,3 Milliarden ein waschechtes Einhorn.

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Jan Dannenberg (1962) ist seit 1990 Berater der Automobilindustrie und seit Mai 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Bis zum Frühjahr 2011 war er acht Jahre international als Partner – davon fünf Jahre als Associate Partner – für Mercer Management Consulting und Oliver Wyman tätig. Er ist ausgewiesener Spezialist für Innovationen und Markenmanagement in der Automobilindustrie und berät im Schwerpunkt Zulieferer und Investoren zu Strategie, Mergers & Acquisitions und Performance Improvement. Zudem ist er Geschäftsführer von Berylls Equity Partners, eine auf Mobilitätsunternehmen spezialisierte Beteiligungsgesellschaft.

Bachelor of Arts in Volkswirtschaftslehre von der Stanford University, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion an der Universität Bamberg.