ESG

Grüner oder raus – wie ESG und Batteriepass die Zulieferindustrie nachhaltiger werden lassen soll

München, Juli 2022

GRÜNER ODER RAUS - WIE ESG UND BATERIEPASS DIE ZULIEFERINDUSTRIE NACHHALTIGER WERDEN LASSEN SOLL

München, Juli 2022

I

nnovationen in der Batterieproduktion senken den Kostendruck auf Seite der Zulieferer. Gleichzeitig steigt der Nachhaltigkeitsdruck und damit der Bedarf an ESG Transparenz. Im Zuge der Einführung des Batteriepasses werden der Einsatz umweltschonender Produktionstechnologien und die Auswahl von Produktionsstandorten mit hohem Grünstrompotenzial zu entscheidenden Wettbewerbsvorteilen für die Zulieferer.

Der Anteil der weltweit neuzugelassenen batterieelektrischen Fahrzeuge (BEVs) steigt kontinuierlich, sodass der Verbrennungsmotor im Pkw Neuwagengeschäft im Jahr 2050 komplett verdrängt sein wird. Dies bedeutet auch, dass der Bedarf an Traktionsbatterien für BEVs rasant zunehmend wird und abgedeckt werden muss. Dabei gibt es unterschiedliche Zellchemien, welche die Leistung, die Zusammensetzung und den Aufbau einer Batterie bestimmen. Die heute gängigste ist die Lithium-Ionen-Batterie, welche Anfang der 1990er Jahre zum ersten Mal von Sony kommerziell eingesetzt wurde und seit einigen Jahren auch ihren Platz im Pkw gefunden hat. Um der wachsenden Nachfrage an Batterien für BEVs nachzukommen, werden weltweit die Produktionskapazitäten für Batteriezellen ausgebaut, wobei sich Deutschland innerhalb der EU zu einem zentralen Batterieproduktionsstandort entwickeln wird. Bis zum Ende des Jahrzehnts werden in Europa Produktionskapazitäten von über 1.300 GWh pro Jahr geschaffen, davon über 35% in Deutschland.

Als Herzstück des BEVs bestimmt die Batterie Reichweite, Fahrzeuggewicht und insbesondere auch die Herstellkosten. Bei einem Durchschnittspreis von etwa 123 EUR/kWh (Stand 2021) entfallen etwa ein Drittel der Kosten eines BEVs auf die Batterie. Es wird erwartet, dass der Preis bis 2028 um etwa 32% zurückgehen wird, womit die für Kostenparität zum Verbrennungsmotor relevante Grenze von 100 USD/kWh bzw. 94 EUR/kWh deutlich unterschritten wird. Grund dafür sind zu erwartenden Weiterentwicklungen im Bereich der Zellchemie, des Zell- und Batteriedesigns sowie in der Produktion (siehe Abbildung 1).

In der Zellchemie werden trotz weiterhin hoher Rohstoffpreise Materialkosteneinsparungen insbesondere auf der Kathodenseite erreicht werden können. Zum einen wird der Anteil an günstigeren LFP-Zellen (Lithium-Eisenphosphat) global steigen. Zum anderen werden derzeit schon NMC-Zellen (Nickel-Mangan-Cobalt) mit einem höheren Nickel-Anteil entwickelt (NMC 811 bzw. 955), die in Folge nicht nur weniger teures Kobalt benötigen, sondern auch eine höhere Energiedichte aufweisen und somit auch die Kosten pro kWh deutlich senken. Das zu erwartende Einsparungspotenzial wird konservativ mit bis zu 4% abgeschätzt.

Angestrebte Vereinfachungen und Vergrößerungen des Zelldesigns ermöglichen auch den Einsatz eines vereinfachten Batteriekonzepts, wodurch der Produktionsprozess verkürzt und der Materialeinsatz reduziert wird. Des Weiteren ermöglicht die sogenannte Cell-to-Pack-Architektur (CTP) auf den Zwischenschritt der Modulassemblierung vollständig zu verzichten. Insgesamt werden durch ein optimiertes Zell- und Batteriedesign Einsparungen von bis zu 15% prognostiziert.

Weitere Potenziale zur Senkung des Batteriepreises werden bis 2028 im Bereich der Produktion umgesetzt sein. Innovationen im Bereich der Trockenbeschichtung sowie die Optimierung von Trockenräumen und des Formierungsprozesses werden den Energiebedarf um bis zu ein Viertel reduzieren und damit nicht nur die Kosten, sondern auch die Nachhaltigkeit in der Produktion von Batterien positiv beeinflussen. Die zunehmende Automatisierung ermöglicht zudem Skaleneffekte, während die Investitionen in Maschinen und Anlagen durch eine zunehmende Standardisierung sinken werden. Ebenfalls werden Lerneffekte in der Produktion dazu führen, dass die aktuell hohen Ausschussraten weiter reduziert werden können. Bis 2028 sind hier Preisreduktionen von bis 13% zu erwarten.

Abbildung 1: Preisentwicklung Batteriepaket

Autoren
Dr. Alexander Timmer

Partner

Peter Trögel

Associate Partner

Valentin Froh

Project Manager

Sema Poyraz

Senior Consultant

Felix Günther

Consultant

Dr. Florian Degen

Fraunenhofer-Einrichtung

Miriam Mitterfellner

Frauenhofer-Einrichtung

In Summe lassen die zu erwartenden Innovationen und Optimierungen in der Batterieproduktion wenig Zweifel daran, dass die Preise für Batterien trotz Rohstoff- und Komponentenknappheit fallen werden. Damit wird der heute vorherrschende Kostendruck immer weniger die Einkaufskriterien der Automobilhersteller bestimmen. Zunehmend rücken allerdings Nachhaltigkeitskriterien in den Fokus des Beschaffungsprozesses. Kosten- und Nachhaltigkeitsoptimierung werden bei der Batterie der Zukunft zu gleichgewichteten Zieldimensionen. Die genannten Innovationen zur Einsparung der eingesetzten Energie sind somit nicht nur aus der Kostenperspektive relevant. Durch die mit der Energieeinsparung einhergehende Reduktion des CO2-Fußabdrucks sind sie auch von großer Bedeutung vor dem Hintergrund, dass Nachhaltigkeit zukünftig eines der ausschlaggebenden Beschaffungskriterium im Einkauf der Automobilhersteller sein wird.

Die Definition des Nachhaltigkeitsbegriffs erfolgt in erster Linie über ESG Kriterien, wobei mit dem CO2-Fußabdruck der Umwelt-Aspekt und damit das E für „Environment“ im Vordergrund steht. Mit 42 kWh eingesetzter Energie pro kWh Batteriekapazität allein in der Zellfertigung ist die Batterieherstellung sehr energieintensiv. Der CO2-Fokus bei den ESG Kriterien und damit bei der Beschaffung ist daher für Batteriezulieferer besonders kritisch.

Je nach Quelle der Produktionsenergie steht die Batterie für 30-50% der Emissionen in der CO2 Bilanz bei der Herstellung von BEVs. Rund 19 kg CO2-Äquivalente pro produzierter kWh Batteriekapazität werden in der Zellproduktion verursacht, wenn mit einem Strommix produziert wird, der zum Großteil aus Kohleverstromung besteht, wie es beispielsweise in Polen der Fall ist. In Deutschland haben erneuerbare Energien einen Anteil von 45% am Strommix. Hierdurch kann der CO2-Fußabdruck auf 10 kg CO2-eq/kWh reduziert werden. Wenn z.B. in Schweden produziert wird, wo der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix mit 62% noch höher ist, kann ein Wert von 4,5 kg CO2-eq/kWh erreicht werden.

Um den CO2-Fußabdruck in ihren Lieferketten zu reduzieren, fordern die meisten Automobilhersteller von den Batterieherstellern bereits die Nutzung eines Strommixes mit einem möglichst hohen Anteil erneuerbarer Energien. Die Verfügbarkeit von Grünstrom wird somit zu einem entscheidenden Standortfaktor für die gesamte Zuliefererindustrie. Die jüngste Ansiedlung von Northvolt in Schleswig-Holstein, bei der das Grünstrompotenzial nach eigenen Angaben ein Hauptentscheidungskriterium war, bestätigt diesen Trend. Neben der Nutzung von Ökostrom definieren viele Automobilhersteller Quoten für den Einsatz von recyceltem Primärmaterial für ihre Batteriezulieferer. So spart der Einsatz von recyceltem Aluminium als Sekundärmaterial ca. 95% der Produktionsenergie im Vergleich zu Aluminium als Primärmaterial.

In der Gesamtschau sind die ESG Vorgaben der Automobilhersteller in Richtung der Batteriehersteller bislang weder einheitlich definiert noch besonders streng und lassen damit viel Spielraum für eine Verschärfung. Ein Grund dafür ist beispielsweise die mangelnde Nachhaltigkeitstransparenz in den Lieferketten.

Für die Zukunft ist zu erwarten, dass der Nachhaltigkeitsdruck auf die Automobilhersteller und damit auch auf die Lieferketten weiter steigen wird. Denn nachhaltig arbeitende Unternehmen verschaffen sich auch wirtschaftliche Vorteile, bspw. durch den Einsatz erneuerbarer Energien. Dass fossile Energieträger nicht nur klimaschädlich, sondern auch ein relevanter Kostentreiber sind, zeigen derzeit die Unruhen in Osteuropa. Für eine 100 kWh Batterie betrugen 2021 die Kosten für Gas in der Zellfertigung durchschnittlich 130 EUR, aktuell liegen diese Kosten bei rund 280 EUR. Eine Elektrifizierung der Produktion bei gleichzeitiger grüner Eigenstromproduktion wirkt sich also nicht nur positiv auf den CO2-Fußabdruck, sondern auch auf die Produktionskosten aus.

Zahlreiche Automobilhersteller haben bereits öffentliche Selbstverpflichtungen zur Emissionsreduktion kommuniziert. Überwiegend streben die Hersteller in Schritten bis 2050 eine vollständige CO2-Neutralität an (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: CO2 -Emissionsreduktionsziele der Automobilhersteller

Damit der Wandel hin zu einer nachhaltigen Wertschöpfungskette funktionieren kann und Unternehmen ihre ESG Bemühungen glaubhaft kommunizieren können, braucht es wirksame, transparenzschaffende Methoden. Aktuell ist es nicht nur für Verbraucher schwierig, den Lebenszyklus einer Batterie nachzuvollziehen – auch für Hersteller ist es eine Herausforderung, ESG-relevante Daten in der Lieferkette zu erheben. Mit einer neuen Batterieverordnung will die EU die teils noch unkonkreten ESG Anforderungen verschärfen und tiefgreifende Kontroll- und Regulierungsmechanismen auf dem Batteriemarkt einführen.

Dazu soll ab 2026 ein „Batteriepass“ als verpflichtendes digitales Dokument durch die europäische Kommission eingeführt werden. Er verfolgt die Ziele, Transparenz in der Lieferkette von Batterien zu schaffen, deren Lebenszyklus durch Second Life Anwendungen zu verlängern und Recycling zu vereinfachen sowie einen Rahmen für Benchmarking und Marktregulierung zu entwickeln. Die Regelung nimmt Inverkehrbringer von allen Batterien ab 2 kWh auf dem europäischen Markt in die Pflicht, ESG-relevante Informationen öffentlich zugänglich zu machen. Dies gilt sowohl für einzelne Batterien als auch für im Fahrzeug verbaute Batterien. Dieser digitale Produktpass soll eine Berichterstattungs- und Kontrollfunktion erfüllen und Informationen zur ESG Performance, Leistung und Haltbarkeit der Batterie, sowie Angaben zu Hersteller und Zellchemie enthalten. Gemessen wird die ESG Performance am CO2-Fußabdruck, dem Rezyklatanteil der Rohstoffe und Informationen über die Einhaltung von Menschenrechten, insbesondere beim Sourcing der Rohstoffe.

Ab 2024 soll bereits eine Deklarierungspflicht des CO2-Fußabdrucks einer Batterie gelten. Im Zuge der geplanten Einführung des Batteriepasses wird die Deklarierung mit einer Kategorisierung des CO2-Fußabdrucks erweitert und ab 2027 mit einem EU-weiten Grenzwert weiter reglementiert. Zu beachten ist, dass die Möglichkeit zur Klimakompensation mit Ausgleichsprojekten nach der Verordnung zukünftig nicht mehr zulässig ist, sodass Produkte nicht als klimaneutral deklariert werden können, bei deren Herstellung Emissionen entstanden sind.

Mit dem Batteriepass wird damit eine einheitliche Grundlage für ein Benchmarking und ein Gütesiegel geschaffen, welches Minimalstandards für Nachhaltigkeit in der Batterieproduktion definiert. Dadurch werden Die konkrete Ausarbeitung seitens der EU für solche Gütekategorien und Grenzwerte des CO2-Fußabdrucks steht jedoch noch aus. Die Weichenstellung für einen nachhaltigen Batteriemarkt liegt nun bei der europäischen Kommission, womit sie jetzt die Chance hat zu demonstrieren, wie ernst sie es mit dem Klimaschutz meint.   

Für die Automobilindustrie bedeutet das konkret, dass im Zuge der Einführung des Batteriepasses die Automobilhersteller Daten zur ESG Performance in Produktion und Lieferkette erheben und veröffentlichen müssen. Durch diese Transparenz wird der Wettbewerbsfaktor Nachhaltigkeit für Kunden ähnlich greifbar und vergleichbar wie der Faktor Preis. Die Nachhaltigkeitsanstrengungen in der Industrie werden dadurch weiter befeuert. Hersteller und Zulieferer sind also gut beraten, sich bereits jetzt auf die Änderungen einzustellen, indem sie relevante Daten erheben, Einsparpotenziale erkennen und umsetzen, sowie Lieferanten eingehend nach ESG Kriterien bewerten.

Das Signal an die Industrie ist klar: Ein geringer CO2-Fußabdruck von Komponenten und in der eigenen Produktion wird sich zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil entwickeln. Die großen Stellhebel sind neben der Standortwahl die Produktionstechnik und -technologie. Ein hoher Anteil erneuerbarer Energien am Standort, die Auslegung der Anlagen und der Einsatz innovativer Technologien können den CO2-Fußabdruck der Batterieproduktion signifikant reduzieren.

Bereiche, die derzeit noch Potential für Start-ups bieten, sind Feldüberwachung von Batterien und Produktion sowie das Schließen des Materialkreislaufs. In diesen Bereichen findet Künstliche Intelligenz vermehrt Einsatz, die hierdurch zur Qualitätsabsicherung in Feld und Produktion beiträgt und somit gezielt ungelöste Herausforderungen nutzt, um nachhaltigen Kundennutzen zu schaffen. Ein Beispiel hierfür ist Start-up Accure Battery Intelligence aus Aachen.

Bleibt nun die Frage: Welche Optionen haben die etablierten Zulieferer? Der Kampf um immer größere Produktionsvolumina ist in vollem Gange. Bei einer strategischen Neuausrichtung auf die Batterieindustrie im Bereich Automotive ist es hier kaum mehr möglich Fuß zu fassen. Die Marktanteile verteilen sich auf mittlerweile eingeschwungene Spieler. Ähnlich wie für die jungen Start-ups gilt es für die konventionellen Zulieferer sich auf die Randbereiche zu fokussieren und hier gezielt Kompetenzen aufzubauen, die das Ökosystem Batterie befeuern und Probleme in Wertstrom und Feld lösen – entweder durch eigene Kraft oder den Zukauf von außen.

Über den Autor
Dr. Alexander Timmer

Dr. Alexander Timmer (1981) ist seit Mai 2021 als Partner bei der Berylls Group tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Innovations- und Markteintrittsstrategien und kann auf eine langjährige Erfahrung im Operations-Umfeld zurückschauen.

Dr. Alexander Timmer berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Er verfügt über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Portfolioplanung, Entwicklung und Produktion. Zu seinen weiteren fachlichen Schwerpunkten zählen unter anderem Digitalisierung und der Themenkomplex rund um die Elektromobilität.

Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy& als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig.

Im Anschluss an sein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen und der Chalmers University in Göteborg promovierte er im Bereich der Fertigungstechnologien am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.

Peter Trögel

Peter Trögel (1986) ist Principal bei der Berylls Group, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Peter Trögel ist Experte für Operations und kann auf eine langjährige Erfahrung im Transformations-Umfeld blicken. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Entwicklung, Industrialisierung und Produktion.

Vor seinem Einstieg bei Berylls war Peter Trögel unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig. Er hat einen Diplomabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und von der University of Technology Sydney (UTS).