Vergangene Jahre

Ein Insolvenz-Tsunami rollt an

München, April 2019
D

ie Zeichen stehen auf Sturm - Der Ausblick auf das Jahr 2020 war Ende 2019 bereits wenig verheißungsvoll. Trotz einer grundlegend positiven Perspektive auf die Mobilitätsindustrie, schienen sich die Unsicherheiten aus den Jahren 2018 und 2019 fortzusetzen. Der strukturelle Wandel sowie Kaufzurückhaltung und Stagnation beim Fahrzeugabsatz waren Vorboten für das Ende einer wachstumsstarken Dekade.

Das Jahr 2019 zeigte auch, dass der strukturelle Wandel nicht schnell von statten gehen würde, sondern Schritt für Schritt: die Fusion von Magneti Marelli und Calsonic, die Unternehmensausgründung von Vitesco durch Continental, die Übernahme von Federal Mogul durch Tenneco, alles Zeichen für eine beharrliche, kontinuierliche Transformation der Automobilindustrie und seiner Zulieferer. Der deutsche M&A Markt hatte sich in 2019 kaum abgekühlt mit 293 Transaktionen im Vergleich zu 295 Transaktionen im Vorjahr. Doch die Banken schauten bereits mit Sorge auf ihr Kredite an die Automobilindustrie im Hinblick auf das schwierige Marktumfeld. Trotz billigen Geldes und Null-Zins-Politik, wehte bereits ein eisiger Wind bei der Finanzierung von klassischen Automobilunternehmen. Neue Technologien bleiben riskant aufgrund der unklaren Markt-/ Rechtslage sowie hinkender Monetarisierung und Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen im Erprobungsmodus und traditionelles Geschäft scheint ein immer näher rückendes Verfallsdatum zu haben. Nach der langen Wachstumsphase wuchs der Druck in Richtung Wandel stark an, entsprechende Investitionen und Strategiewechsel wurden in der Zulieferbranche angeschoben. Es hat ein wenig gedauert, bis sich OEMs und Zulieferer eingestanden haben, in den CASE-Technologien nur über Kooperationen ihr Ziel erreichen zu können, da die Investitionen zu mächtig sind, um sie alleine stemmen zu können. Gleichzeitig verunsicherten aber politische und gesellschaftliche Probleme die Märkte, und ein schneller Wandel und Monetarisierung neuer Technologien, wie beispielsweise Connectivity Dienste und Cybersecurity, blieb bisher aus. Blickt man auf die Gewinnentwicklung der letzten Jahre (-1,5 Prozentpunkte 2019 gegenüber 2018 für die größten 100 Zulieferer), so sieht man, dass es im unteren Drittel der Zulieferindustrie bereits zahlreiche Unternehmen gab, die schon vor Coronakrise in die Verlustzone gerutscht waren. Das allein wäre kurzzeitig verkraftbar, aber durch den strukturellen Wandel stellt sich die Frage, ob die Zukunftsfähigkeit vieler Geschäftsmodelle tragfähig sein wird. Wenn Altgeschäft wackelt und das Neugeschäft noch nicht greift, entsteht ein Spannungsfeld, in dem alle Stakeholder viel Fingerspitzengefühl und Geschick benötigen, um einen klaren Plan aus der Krise zu verabschieden, um einer Insolvenz zu entgehen.

Autoren
Dr. Jan Dannenberg

Executive Partner

Hans-Jürgen Titz

Executive Partner

Michael Beckmann

Principal

Ein Blick in die Vergangenheit

Schaut man sich historisch die Entwicklung von Insolvenzen im Automobilbereich im deutschsprachigen Raum an, so liegt die Zahl der Insolvenzen seit 2010 bei jährlich zirka 20 (±10) Unternehmen. Die globale Finanzkrise aus dem Jahr 2008/2009 zeigt allerdings, dass mit über 80 Insolvenzen im Jahr 2009 diese Zahl in einer Konjunkturkrise stark ansteigen kann. Jeder Prozentpunkt an negativer Entwicklung im Bruttoinlandsprodukt (BIP) führt zu einer Vervielfachung der Anzahl an Insolvenzen. Im Jahr 2009 fielen die BIPs bedeutender Automobilmärkte zwischen -2% bis -6% (zum Beispiel in Deutschland, Japan, Großbritannien oder den USA), wohingegen China mit zirka +9 Prozent stark wachsen konnte. Beim Fahrzeugabsatz im Jahr 2009 waren Großbritannien und die USA besonders betroffen mit ca. -10 Prozent bis -20 Prozent Absatzrückgang. Durch die Umweltprämie konnte Deutschland im Jahr 2009 zwar ein Absatzplus von zirka +20 Prozent zu 2008 generieren und so einer tiefen Krise vorbeugen, allerdings sank das Volumen im Jahr 2010 deutlich unter das Vorkrisenniveau (-6% zu 2008) und erreichte erst 2011 wieder vergleichbare Größen. Das Zahlenwerk soll ein Gefühl schaffen, in welche Richtung sich die COVID-19 Konjunkturkrise bewegen wird.

Die Covid-19-Jahre 2020 und 2021 werden schlimmer als die Jahre der Finanzkrise

Die aktuelle Lage zeigt, dass sowohl bei den BIP Prognosen, als auch Absatzprognosen ein ähnliches Bild entsteht. Der IWF prognostizierte im April für 2020 BIP Einbußen von -6 Prozent für die USA, -7 Prozent für Deutschland, Großbritannien und Frankreich, -5 Prozent für Japan und +1,2 Prozent für China. Stellt man die zahlreichen Glaskugeln der Automobilpropheten zu den Absatzprognosen für 2020 in eine Reihe und wagt den Blick in eine ungewisse Zukunft, so ergibt sich ein Korridor von -20 Prozent bis -25 Prozent für den globalen PKW-Markt. Pessimistische Szenarien malen sogar ein noch düstereres Bild.

Berylls prognostiziert trotz Stützungsmaßnahmen für die DACH Region eine Versechsfachung der durchschnittlichen Insolvenzzahlen im Zeitraum März 2020 bis Mitte 2021. Daraus ergeben sich insgesamt zirka 120 Automobilunternehmen, die vermutlich in die Insolvenz schlittern werden. Laut den Berylls Prognosen können dadurch bis zu 100.000 Arbeitsplätze betroffen sein! Da die automobile Welt im Jahr 2009 noch eine andere war, wird es nach dem Jahr 2020 schwerer fallen, eine ähnlich geartete Erfolgsgeschichte des Wiederaufschwungs zu realisieren. Vielmehr könnte COVID-19 als Brandbeschleuniger des strukturellen Wandels im deutschsprachigen/ europäischen Zuliefererumfeld wirken und die Insolvenzen sogar noch über eine Schwelle von 120 Firmenpleiten treiben. Die strukturellen Schäden dieses Insolvenz-Tsunamis wären größer und der Aufbau neuer Strukturen würde deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, was die Erholungsphase in die Länge ziehen würde. Fraglich ist auch, inwiefern die Banken nach einer schmerzlichen Verringerung ihrer Kredite an Automobilzulieferer schnell wieder bereit sind, Gelder für den Aufbau neuer Mobilitätsfelder in die Hand zu nehmen. Gleiches gilt mit Blick auf Private Equity Unternehmen, die aktuell in anderen Industrien bessere Chancen für ambitionierte Renditeerwartungen sehen. Eine Rettung durch Investoren und M&A Tätigkeiten erscheint schwierig, zu hoch sind zum einen die Verkaufspreise in den letzten Jahren geklettert und zum anderen die Ängste vieler Finanzinvestoren, sich in später unverkäufliche Gefilde vorzuwagen oder die hohen Renditeerwartungen an den Fond nicht bedienen zu können. Strategen werden sehr vorsichtig agieren, aktuell eher ihr Geld zusammenhalten und auf etwas bessere Zeiten warten, um strategische Zukäufe zu tätigen. Für Übernahmen aus der Insolvenz dagegen werden sich Strategen finden, die bereits seit einiger Zeit Wunschlisten für eine potenzielle Ergänzung ihres eigenen Portfolios haben. Somit könnten die Folgejahre weitere Insolvenzen nach sich ziehen, die deutlich über der Marke von 20 pro Jahr liegen und die Konsolidierung beschleunigen. In Umsatz ausgedrückt stehen aktuell zirka Euro 12 Milliarden auf dem Spiel, die allein dieses Jahr durch Insolvenzen von Zulieferern in Bedrängnis geraten. Verlässliche Aussagen über das tatsächliche Ausmaß werden sich erst in dritten und vierten Quartal ableiten lassen, wenn die Zahl namhafter Insolvenzen besser beziffert und beschrieben werden kann. Bereits aktuell gibt es namhafte Beispiele: Veritas, DGH Druckguss Heidenau oder Finoba.

Was nun, was tun?

Die aktuelle Lage zeigt, dass sowohl bei den BIP Prognosen, als auch Absatzprognosen ein ähnliches Bild entsteht. Der IWF prognostizierte im April für 2020 BIP Einbußen von -6 Prozent für die USA, -7 Prozent für Deutschland, Großbritannien und Frankreich, -5 Prozent für Japan und +1,2 Prozent für China. Stellt man die zahlreichen Glaskugeln der Automobilpropheten zu den Absatzprognosen für 2020 in eine Reihe und wagt den Blick in eine ungewisse Zukunft, so ergibt sich ein Korridor von -20 Prozent bis -25 Prozent für den globalen PKW-Markt. Pessimistische Szenarien malen sogar ein noch düstereres Bild.

Berylls prognostiziert trotz Stützungsmaßnahmen für die DACH Region eine Versechsfachung der durchschnittlichen Insolvenzzahlen im Zeitraum März 2020 bis Mitte 2021. Daraus ergeben sich insgesamt zirka 120 Automobilunternehmen, die vermutlich in die Insolvenz schlittern werden. Laut den Berylls Prognosen können dadurch bis zu 100.000 Arbeitsplätze betroffen sein! Da die automobile Welt im Jahr 2009 noch eine andere war, wird es nach dem Jahr 2020 schwerer fallen, eine ähnlich geartete Erfolgsgeschichte des Wiederaufschwungs zu realisieren. Vielmehr könnte COVID-19 als Brandbeschleuniger des strukturellen Wandels im deutschsprachigen/ europäischen Zuliefererumfeld wirken und die Insolvenzen sogar noch über eine Schwelle von 120 Firmenpleiten treiben. Die strukturellen Schäden dieses Insolvenz-Tsunamis wären größer und der Aufbau neuer Strukturen würde deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, was die Erholungsphase in die Länge ziehen würde. Fraglich ist auch, inwiefern die Banken nach einer schmerzlichen Verringerung ihrer Kredite an Automobilzulieferer schnell wieder bereit sind, Gelder für den Aufbau neuer Mobilitätsfelder in die Hand zu nehmen. Gleiches gilt mit Blick auf Private Equity Unternehmen, die aktuell in anderen Industrien bessere Chancen für ambitionierte Renditeerwartungen sehen. Eine Rettung durch Investoren und M&A Tätigkeiten erscheint schwierig, zu hoch sind zum einen die Verkaufspreise in den letzten Jahren geklettert und zum anderen die Ängste vieler Finanzinvestoren, sich in später unverkäufliche Gefilde vorzuwagen oder die hohen Renditeerwartungen an den Fond nicht bedienen zu können. Strategen werden sehr vorsichtig agieren, aktuell eher ihr Geld zusammenhalten und auf etwas bessere Zeiten warten, um strategische Zukäufe zu tätigen. Für Übernahmen aus der Insolvenz dagegen werden sich Strategen finden, die bereits seit einiger Zeit Wunschlisten für eine potenzielle Ergänzung ihres eigenen Portfolios haben. Somit könnten die Folgejahre weitere Insolvenzen nach sich ziehen, die deutlich über der Marke von 20 pro Jahr liegen und die Konsolidierung beschleunigen. In Umsatz ausgedrückt stehen aktuell zirka Euro 12 Milliarden auf dem Spiel, die allein dieses Jahr durch Insolvenzen von Zulieferern in Bedrängnis geraten. Verlässliche Aussagen über das tatsächliche Ausmaß werden sich erst in dritten und vierten Quartal ableiten lassen, wenn die Zahl namhafter Insolvenzen besser beziffert und beschrieben werden kann. Bereits aktuell gibt es namhafte Beispiele: Veritas, DGH Druckguss Heidenau oder Finoba.

Die Segel müssen richtig gesetzt werden

Eine Bereinigung des Marktes wird passieren, sie muss mit Augenmaß gesteuert und am richtigen Punkt gestützt werden. Sonst kämen neben den Investitionen für CASE weitere Investitionen zum Wiederaufbau der Lieferkette hinzu, in ähnlicher Größenordnung. Liquidität zu sichern ist aktuell die oberste Priorität, vor allem da viele Automobilzulieferer in der Lieferkette systemrelevant sind.  Das alleine ist eine Mammutaufgabe für die Industrie, die alleine nicht ausreichen wird. Ideen für Neues müssen her, z.B. die angesprochene Transparenz für die Steuerung des Hochlauf auf Basis der Nachfrage.

Frischer Wind in den Segeln

Zusätzlich wird eine Mischung aus Kaufanreizen zur Unterstützung für die Industrie inklusive Nachhaltigkeits- und Umweltanforderungen durch Hybride, BEVs oder FCEVs benötigt. Trotzdem darf es keine Verschleierung struktureller Probleme geben, kurzfristige Kaufanreize dürfen nicht mittelfristig wieder zu Überkapazitäten und einem falschen Fahrzeugportfolio entgegen langfristiger Klimaziele führen.

Wenn es um einen Rettungsfonds für Zulieferer geht, dann mit klaren Kriterien für Systemrelevanz und Fortführung des strukturellen Wandels und einer klaren Steuerungsinstanz für ein solches Vehikel und vereinbar mit der  Marktbereinigung von „Zombiefirmen“.

Die Setzung dieser Parameter wird definieren, ob wir eine noch höhere Anzahl Insolvenzen sehen werden oder nicht. Es muss Möglichkeiten geben für alle Beteiligten (Zulieferer, Banken/PEs, OEMs, Politik…), den eingeleiteten Wandel fortzusetzen, um die Automobilindustrie zu transformieren, anstatt sie neu zu erfinden. Starker Wellengang scheint unvermeidlich aber die Überlagerung der Wellen zu einem Insolvenz-Tsunami muss verhindert werden.

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Jan Dannenberg (1962) ist seit 1990 Berater der Automobilindustrie und seit Mai 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Bis zum Frühjahr 2011 war er acht Jahre international als Partner – davon fünf Jahre als Associate Partner – für Mercer Management Consulting und Oliver Wyman tätig. Er ist ausgewiesener Spezialist für Innovationen und Markenmanagement in der Automobilindustrie und berät im Schwerpunkt Zulieferer und Investoren zu Strategie, Mergers & Acquisitions und Performance Improvement. Zudem ist er Geschäftsführer von Berylls Equity Partners, eine auf Mobilitätsunternehmen spezialisierte Beteiligungsgesellschaft.

Bachelor of Arts in Volkswirtschaftslehre von der Stanford University, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion an der Universität Bamberg.