Stabile Lieferketten in der Automobilbranche: Vom Feuerlöscher zum Brandschutz – fünf Erfolgsfaktoren

Munich, May 2025

Vom Feuerlöscher zum Brandschutz – fünf Erfolgsfaktoren für stabile Lieferketten

Munich, May 2025
I

n der Zulieferkette von Automobilherstellern werden Task-Forces ausgerufen, um Produktionsunterbrechungen mit hohen Kosten zu vermeiden oder gefährdete Entwicklungs- bzw. Industrialisierungsprojekte zu retten. Fokus sind stabile Lieferketten in der Automobilbranche.

Ob bei komplexen Produktanläufen oder Lieferproblemen – Task-Forces sollen akute Probleme unter hohem Ressourceneinsatz lösen. Automobilhersteller und Lieferanten stellen dafür spezialisierte Teams zusammen, da nicht nur Unternehmensziele, sondern auch viel Geld auf dem Spiel steht.

Besonders im Umfeld der Software-Defined Vehicles geraten Projekte zunehmend außer Kontrolle und stabile Lieferketten in Gefahr: Die Ergebnisse einer Berylls-Analyse zeigen, „dass Budgetüberschreitungen von mehreren 100 % keine Seltenheit sind und sie – neben der Rentabilität eines Projekts – auch das ganze Unternehmen gefährden“. Task-Forces werden hier zum letzten Strohhalm.

Doch die Nebenwirkungen sind gravierend: Projekte werden zurückgestellt, Ressourcen gebunden und es droht ein Reputationsverlust. Es geht um Schadensbegrenzung. Daher ist die präventive Vermeidung solcher Task-Forces essenziell, wenn stabile Lieferketten sichergestellt werden sollen. Dieser Artikel beleuchtet die „Big Five“ Erfolgsfaktoren für stabile Lieferketten in der Automobilbranche – von entschlossener Problembeseitigung und fertigungsgerechter Produktgestaltung bis hin zu präventiver Qualitätsarbeit und einer Unternehmenskultur, die Stabilität über Heldentum stellt. So werden Task Forces vorgebeugt.

Task-Forces: warum es immer häufiger brennt

Die Automobilindustrie steht vor großen Herausforderungen: seien es Rückrufe wegen fehlerhafter Bauteile, Verzögerungen bei der Markteinführung neuer Fahrzeuge oder Produktionsprobleme bei E-Antrieben. Solche Krisenfälle häufen sich, wie aktuelle Beispiele zeigen. Lieferverzögerungen und Rückrufe sind nicht nur teuer, sondern untergraben auch das Vertrauen von Kunden und Investoren.

Zahlreiche Faktoren bewirken die Entstehung von Task-Forces:

  • Dynamisches Marktumfeld: Schnelle Änderungen in gesetzlichen Vorgaben und Kundenpräferenzen erschweren eine langfristige Planung. Neue Wettbewerber treten auf den Plan.
  • Fehlende Produktreife: Neue Systeme wie Fahrerassistenz und softwarebasierte Cockpits sind oft noch nicht vollständig erprobt. Produktreife wird mitunter erst spät im Projektverlauf oder erst nach Serienstart erreicht.
  • Neue Prozesstechnologien: Innovationen wie Elektroantriebe und Batteriespeichersysteme erfordern in der Automobilindustrie neue Fertigungsverfahren, die oft noch nicht vollständig beherrscht werden.
  • Kürzere Entwicklungszyklen:
  • Elektrifizierungsprojekte, ein zunehmender Fokus auf Software-Defined Vehicles und die steigende Vielfalt neuer Modelle setzen die Hersteller zusätzlich unter Druck.
  • Fachkräftemangel: In Schlüsselregionen wie Deutschland fehlen Experten für hochspezialisierte Aufgaben. Und krisenerprobtes, erfahrenes Personal ist Einsparungsprogrammen zum Opfer gefallen.
  • Starker Kostendruck lastet auf der erfolgreichen Platzierung neuer Elektrofahrzeuge im Markt – bei gleichzeitig hohem Kapitalbedarf für die Transformation von der klassischen Verbrennungsmaschine hin zur Elektrifizierung.

Feuerwehr im Einsatz – aber wer zahlt die Rechnung?

Im Prinzip ist es bereits zu spät für eine Lösung. Viel Zeit und Geld wurden schon in den Sand gesetzt. Präventionsmaßnahmen sind gescheitert und alle Anstrengungen konzentrieren sich nun auf Schadensbegrenzung. Task-Forces haben meist eine Vorgeschichte aus Eskalationen. Viele Versuche wurden unternommen, das Problem zu lösen, die Nerven aller Beteiligten liegen blank. Und statt schnell und strukturiert nach einer Lösung des Problems zu suchen, wird mitunter aus persönlichem Ehrgeiz taktiert. Hinzu kommt, dass Task-Forces oft zu einem nervös-hektischen Aktionismus führen. Eine ruhige und faktenorientierte Kommunikation und Führung kommen dabei oft zu kurz. Das Ziel rückt in unerreichbare Ferne – und muss trotzdem unter allen Umständen verfolgt werden. Der Berylls Task-Force Lifecycle gab bereits früher Empfehlungen, wie man Task-Forces einrichtet, durchführt und erfolgreich abschließt.

Doch die Rechnung ist hoch: Enorme Ressourcen werden gebunden, während andere Projekte auf der Strecke bleiben. Karrieren stehen auf dem Spiel. Vertrauen ist verloren gegangen. Daher muss man darauf hinarbeiten, Krisen zu verhindern, bevor sie entstehen, und dafür die erforderlichen Voraussetzungen schaffen. Hierzu geben die „Big Five“ Erfolgsfaktoren für stabile Lieferketten in der Automobilbranche den Mitarbeitenden das passende Instrumentarium an die Hand. Klar ist: Task-Forces sind nicht die Lösung, sondern ein Symptom tiefer liegender Probleme. Häufig basieren sie auf einer Art “Heldenkultur”, bei der kurzfristige Lösungen gefeiert, langfristige Stabilität aber vernachlässigt wird.

Autoren
Heiko Weber

Partner & MD

Ralf Walker

Partner & MD

Fritz Metzger

Partner

Christian Grimmelt

Partner

Christopher Brüggemann

Associate Partner

Joachim Gronki

Project Manager

Andreas Maihöfner

Project Manager

Alexander van Woudenberg

Project Manager

Big Five Erfolgsfaktoren für stabile Lieferketten in der Automobilbranche

Big One

Risikomanagement: rote Linien und harte Korrekturen

Big Two

Frontloading: Investition in eine solide Projektbasis

Big Three

Fertigungsgerechte Produktgestaltung

Big Four

Konsequente Qualitätsarbeit

Big Five

Einbindung der Zulieferkette: Flexibilität und Vertrauen als Schlüssel

Big One


Risikomanagement: Rote Linien und harte Korrekturen

 

Risikomanagement beginnt früh und erfasst alle Gewerke eines Projekts – von der Produktentwicklung bis zur Produktion in der Zulieferkette. Zielvereinbarungen zur Anlaufbereitschaft ziehen klare „rote Linien“ für jede Projektphase und jeden Zulieferer. Dadurch wird einer selbstbeschwörenden „Can do“-Mentalität entgegengewirkt. Werden KPIs nicht erreicht, folgt ein festgelegter Eskalationsprozess mit eindeutig zugewiesenen Verantwortlichkeiten. Erkannte Risiken und aufgetretene Störungen werden entschlossen, zügig und gegebenenfalls auch hart korrigiert.

Big Two

Frontloading: Investition in eine solide Projektbasis

Investitionen in eine solide Projektbasis zahlen sich aus. Frühzeitig bereitgestellte Ressourcen – sei es in Form von Know-how, Technik, Personal oder Kapital – verhindern teure Nacharbeiten und Rekursionen nach Produktionsstart.

 

Big Three


Fertigungsgerechte Produktgestaltung

Ein robustes Design verhindert eventuelle spätere Fertigungsprobleme. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Entwicklung und Produktion sorgt für ausreichende Produktreife zum Fertigungsstart, auch bei den Zulieferern. „Rote Linien“ im Produktentstehungsprozess helfen, diese Produktreife sicherzustellen (im Sinne eines „Design for Manufacturing“ Ansatzes).

Big Four


Konsequente Qualitätsarbeit

Qualitätsmanagement soll Fehler von Anfang an konsequent vermeiden. Dabei kommen präventive Methoden zum Einsatz wie etwa FMEA (Failure Mode and Effects Analysis, Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse), Simulationen und die Umsetzung von Lehren aus früheren Projekten (Lessons Learned). Entscheidend ist dabei nicht nur die Erkennung der Probleme, sondern auch und vor allem, wie die Probleme in der eigenen Organisation beseitigt werden.

Big Five


Einbindung der Zulieferkette: Flexibilität und Vertrauen als Schlüssel

Hier ist mehr gefordert, als bloß Anforderungen zu stellen. Ein Großteil der Wertschöpfung betrifft die vorgelagerte Lieferkette. Hersteller und Lieferanten müssen flexibel und gemeinsam auf die Anforderungen des Marktes reagieren, die sich ständig ändern können. Gerade bei technisch anspruchsvollen Neuentwicklungen unter starkem Zeitdruck hat es sich bewährt, auf vertraute Partner zu setzen, die einen offenen und ehrlichen Umgang sowohl mit ihren eigenen Lieferanten als auch mit ihren Kunden pflegen. Das japanische Kairetsu-Prinzip kann hier durchaus als Vorbild dienen, wenn es um die frühe Einbindung eines langfristigen Partners geht. Dabei ist weniger oft mehr. Die frühe Entscheidung für einige wenige, gut eingebundene Zulieferer zahlt sich dabei für beide Partner aus, beispielsweise in Form eines termingerechten Neuanlaufs. Es ist von daher sinnvoll, eine Änderung der Zusammenarbeitskultur in Richtung einer gegenseitigen Unterstützung von Lieferanten und Kunden in Erwägung zu ziehen.

Unternehmenskultur – aber anders

Die „Big Five“ Erfolgsfaktoren für stabile Lieferketten bieten klare Handlungsempfehlungen für stabile Lieferketten in der Automobilbranche. Entscheidend ist jedoch eine Unternehmenskultur, die auf Stabilität statt Heldentum ausgerichtet ist.

Für den langfristigen Erfolg eines Projekts ist ein tiefgreifender Kulturwandel in der gesamten Lieferkette erforderlich. Stabilität und Zusammenarbeit müssen über die oft bewunderte „Heldenkultur“ gestellt werden. In Organisationen, deren Kultur durch Letzteres geprägt ist, stehen häufig solche Personen im Mittelpunkt, die in letzter Minute durch außergewöhnlichen Einsatz scheinbar unlösbare Probleme bewältigen. Diese „Retter“ werden bewundert und gefeiert, während andere, die Risiken frühzeitig erkennen und still entschärfen, oft kaum wahrgenommen werden. Doch diese Form der Anerkennung birgt Gefahren: Sie belohnt die Reaktion auf Probleme, die gar nicht erst hätten entstehen sollen, und fördert ein Klima, in dem strukturelle Probleme übersehen oder verdrängt werden, bis sie eskalieren.

Ein nachhaltiger Kulturwandel erfordert die Abkehr von dieser glorifizierenden Sicht auf Noteinsätze. Stattdessen muss eine Unternehmenskultur geschaffen werden, die vorausschauendes Handeln und die Prävention von Problemen in den Vordergrund rückt. Hierfür müssen Anreizsysteme geschaffen werden für Mitarbeitende, die potenzielle Risiken frühzeitig erkennen und beseitigen, bevor sie sich zu kritischen Problemen entwickeln, und sie müssen die entsprechende Wertschätzung und Anerkennung erfahren, indem zum Beispiel präventive Erfolge auch auf Vorstandsebene besprochen und gewürdigt werden. Der Kulturwandel hin zu einer Problemvermeidung wird dadurch beschleunigt, dass Beförderungen explizit für vorbeugendes Handeln vergeben werden, etwa für einen Produktanlauf ohne den Einsatz einer Task-Force.

Zusammenfassung

Was in Task-Forces unter Druck gelingt, muss dauerhaft in die üblichen Arbeitsabläufe integriert werden. Die „Big Five“ Erfolgsfaktoren für stabile Lieferketten geben dazu einen klaren Handlungsleitfaden. Dies stellt hohe Anforderungen an das Risikomanagement der beteiligten Gewerke. „Rote Linien“ dürfen nicht überschritten werden. Auftretende Störungen werden entschlossen beseitigt. Die rechtzeitige Bereitstellung von Ressourcen, ein klarer Fokus auf fertigungsgerechte Produktgestaltung und präventive Qualitätsarbeit sind Gamechanger. Entscheidend ist jedoch eine Unternehmenskultur, die Stabilität über Heldentum stellt. So können Unternehmen langfristig erfolgreich agieren, ohne auf kurzfristige Kriseneinsätze angewiesen zu sein.

Fritz Metzger

Fritz Metzger ist seit Februar 2021 bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Automotive Operations.

Seit 2011 fokussiert er dabei strategische Ausrichtung und Effizienzsteigerung der Operations von Automobilherstellern und -zulieferern. Zudem berät er das Top Management in kritischen Situationen, dazu gehören Task Forces im Rahmen der Entwicklung und Industrialisierung, Verlagerungen und die Restrukturierung von Werken und kompletten Zulieferern. Die Herausforderungen der E-Mobilität sind dabei stets im Blickfeld.

Vor seiner Zeit bei Berylls war er als Direktor bei internationalen Strategieberater PwC Strategy& tätig, sowie als Vertriebs- und Projektleiter bei einem mittelständischen Zulieferer und Maschinenbauer.

Fritz Metzger ist ausgebildeter Wirtschaftsingenieur mit einem Abschluss von der ESB Business School Reutlingen und hat einen MBA an der Universität Salzburg absolviert.

Heiko Weber

Heiko Weber (1972), Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors), ist Automobilexperte in Operations.
Er startete seine berufliche Laufbahn bei der damaligen DaimlerChrysler AG, für die er sieben Jahre tätig war und zuletzt die Qualitätssicherung und Produktion einer Motorenlinie verantwortete.
Seit seinem Wechsel 2006 in die Beratung zu Management Engineers bringt er seine Erfahrung und Expertise in Projekte für Automobilhersteller sowie Zulieferer in Entwicklung, Einkauf, Produktion und Supply Chain ein. Heiko Weber verfügt über umfassende Erfahrung in der Erarbeitung von Funktionalstrategien in diesen Bereichen und besitzt auch die operative Management Expertise, kritische Situationen in der Lieferkette durch Task-Force-Einsätze zeitnah aufzufangen oder sie vorbeugend zu verhindern.
Als Partner von Management Engineers begleitete er die Integration der Firma zunächst in Booz & Co. und später in PwC Strategy&, wo er zuletzt bis 2020 für das europäische Automotive Geschäft verantwortlich war.
Weber ist diplomierter Wirtschaftsingenieur der TU Berlin und absolvierte Auslandssemester an der Dublin City University in Marketing and Languages.

Dr. Ralf Walker

Dr. Ralf Walker (1969) ist seit September 2021 als Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Seine Expertisen liegen in den Bereichen Operations und Task-Forces.
Er berät seit 2008 Automobilhersteller und -lieferanten im globalen Kontext. Des Weiteren verfügt er über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Launch & Ramp up Management, Turnaround Management, Produktions- & Supply Chain-Optimierung, Lean Management sowie Strategieentwicklung & Footprint-Optimierung.
Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem 18 Jahre bei PwC Strategy&, Booz & Co, Management Engineers und dem Fraunhofer IPT sowie 5 Jahre bei GKN als Leiter des europäischen Teams und Mitglied des globalen Teams zur Einführung von Lean- und Business Excellence-Prinzipien, Produktionsleiter und Leiter Industrial Engineering tätig.
Er studierte an der RWTH Aachen Maschinenbau und promovierte am Fraunhofer IPT in Aachen.

Christian Grimmelt

Christian Grimmelt (1985) ist seit Februar 2021 fester Bestandteil des Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) Teams. Zuvor hat er bereits umfangreiche Berufserfahrung in Topmanagementberatungen und in der Automobil-Zuliefererbranche gesammelt.

Während seiner Zeit bei dem weltweit größten Automobil-Zulieferer hat er den Aufbau einer Zentraleinheit zur Optimierung des weltweiten Logistik- und Produktionsnetzwerkes des Unternehmens vorangetrieben.

Christian Grimmelts Beratungsschwerpunkte sind die Themen Logistik- und Produktionsnetzwerkoptimierung, Einkauf und (digital) Operations inklusive Anlauf- und Turnaround-Management für OEMs und insbesondere Zulieferer.

Christian Grimmelt besitzt ein Diplom für Wirtschaftsingenieurwesen vom Karlsruher Institut für Technologie.