ie kommerzielle Nachverhandlungen für beide Seiten zur nachhaltigen Stärke führen können
Viele Zulieferer stehen derzeit unter erheblichem wirtschaftlichem Druck. Die operativen Margen, also die Gewinnspannen, sind seit der Corona-Pandemie auf ein ungesundes Niveau von oftmals unter 5 % gesunken. Während die Automobilhersteller (OEMs) ihre Erträge in den Coronajahren steigern konnten, haben die Zulieferer mit stark erhöhten Kosten zu kämpfen. Insbesondere Materialpreise, Energiekosten und Löhne sind durch Inflation und geopolitische Krisen wie den Ukrainekrieg deutlich gestiegen. Hinzu kommen Forderungen von Unterlieferanten, die ebenfalls mit höheren Kosten konfrontiert sind. Zusätzliche Volumenrückgänge, unter anderem bei den seinerzeit vielversprechenden E-Modellen, haben in den letzten zwei Jahren das Fass zum Überlaufen gebracht.
Ein besonderes Problem aber sind Produkte, die vor den Krisenjahren – also rund um 2020 – verhandelt und bepreist wurden, aber erst jetzt in Serie gehen. Damals kalkulierte Preise basieren auf anderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als heute. In der Folge sind viele dieser Produkte inzwischen stark defizitär. Business Cases, die früher rentabel erschienen, rechnen sich heute nicht mehr.
Um wirtschaftlich handlungsfähig zu bleiben, müssen Zulieferer nun aktiv werden. Der erste Schritt ist die konsequente Überprüfung der Profitabilität auf Produkt- und Auftragsebene. Es reicht nicht, auf die Gesamtrentabilität zu schauen – jedes einzelne Produkt muss für sich selbst tragfähig sein. Verluste eines Produkts durch Gewinne eines anderen auszugleichen (Quersubventionierung), birgt große Risiken und ist langfristig nicht nachhaltig. Deshalb sollten regelmäßig alle relevanten Bereiche wie Vertrieb, Controlling, Einkauf, Qualität und Produktion gemeinsam die Wirtschaftlichkeit einzelner Produkte analysieren.
Sobald intern Klarheit über die Ursachen der Margenverluste besteht, sollte dies dem OEM in der Verhandlung auch konstruktiv transparent gemacht werden. Die Plausibilisierung ist ein Erfolgsfaktor, um gut vorbereitet und mit einer nachvollziehbaren Argumentation in Preisnachverhandlungen mit dem OEM zu gehen. Das notwendige Maß an Offenlegung ist immer fall- und unternehmensspezifisch auszulegen.
Für eine strukturierte und fundierte Herangehensweise empfiehlt sich der Einsatz digitaler Werkzeuge wie dem ClaimCubeSM von AlixPartners. Dieses Tool bietet einen strukturierten Überblick über die aktuelle Kostenlage und stellt sie den ursprünglichen Annahmen aus der Nominierungsphase gegenüber. Der ClaimCubeSM wird mit den sogenannten Preisblättern (Cost Breakdowns, CBD) „gefüttert“, die dem OEM bei Auftragserteilung vorlagen und die Vertragsgrundlage der Lieferbeziehung darstellen, und vergleicht sie mit den realen Kosten beim Serienstart und den heutigen Ist-Kosten. Auch Abweichungen bei Volumina werden berücksichtigt. So lässt sich klar aufzeigen, wo und warum Verluste entstanden sind. Gerade bei vielen Positionen in einem CBD und einer Vielzahl an Produkten und Varianten eignet sich der digitale Ansatz.
Der ClaimCubeSM errechnet das Claim-Potenzial. Für die Definition einer sogenannten Walk-in-Position müssen auch die im Vertrag abgestimmten Zeitpunkte sowie die im CBD hinterlegten Werte sorgfältig berücksichtigt werden. Eine genaue Prüfung der vertraglichen Basis ist hierbei essenziell, um eine tragfähige Argumentation aufzubauen.
Das Ziel der Nachverhandlung ist, entweder bestehende Margen zu schützen (zum Beispiel durch Berücksichtigung inflationsbedingter Mehrkosten) oder stark defizitäre Produkte neu zu bepreisen (Margen-Restrukturierung). Vielfach gibt es keine vertragliche Grundlage hierzu. Die Claim-Kategorien richten sich nach der rechtlichen Auslegung und der Logik der Teilepreis-Zusammensetzung. So gibt es klassische Inflation-Claims (etwa höhere Energie- oder Lohnkosten) sowie Volumen-Claims (beispielsweise geringere Abnahmemengen als geplant) und Struktur-Claims (wie Annahmefehler, schlecht verhandelte Änderungsanträge oder Produktionsverzögerungen).
Abbildung 1 – Typische Claim-Elemente und deren Anteil am Gesamtclaim
Quelle: AlixPartners
In der konkreten Verhandlungssituation ist es wichtig, die Forderung an den Kunden gut vorzubereiten und mit belastbaren Nachweisen zu stützen. Welche Informationen tatsächlich gezeigt werden, sollte strategisch abgewogen werden. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, beispielsweise anonymisierte Lohnabrechnungen oder Maschinendaten vorzulegen, um die Mehrkosten nachzuweisen. Auch gemeinsame Workshops mit dem Kunden vor Ort – etwa zur Validierung von Taktzeiten oder Effizienzkennzahlen – können helfen, Vertrauen in die aufgezeigten Daten zu schaffen. Wichtig ist dabei: Transparenz nur im notwendigen Maß – und gezielt auf sogenannte Schlüsselprodukte beschränkt.
Abbildung 2 – Typische Positionen zur Darlegung von Mehrkosten
Quelle: AlixPartners
Kommt es zu einer Einigung, kann diese in Form nachträglicher Vertragsanpassungen dokumentiert werden. Ziel ist es, neue Teilepreise zu vereinbaren, die beiden Seiten – OEM und Zulieferer – Planungssicherheit geben.
Für wirtschaftlich angeschlagene Zulieferer kann gemeinsam mit dem OEM ein Restrukturierungs- oder Zukunftskonzept aufgestellt werden. Dieses Konzept beinhaltet klare Meilensteine und regelmäßige Berichte, um die Fortschritte transparent zu dokumentieren und eine nachhaltige Sanierung sicherzustellen.
Damit dieser Prozess im Unternehmen reibungslos funktioniert, braucht es eine klare Governance-Struktur. Eine zentrale Rolle übernimmt dabei ein Chief Commercial Officer (CCO), der für die einheitliche Steuerung aller Claims verantwortlich ist. Unterstützt wird er von einem bereichsübergreifenden Team aus Controlling, Einkauf und Vertrieb. Das Controlling sollte zusätzlich ein kontinuierliches Margin-Tracking über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg einführen, um wirtschaftliche Risiken frühzeitig zu erkennen. Auch der Einkauf spielt eine wichtige Rolle, indem er regelmäßig aktuelle Inflationsdaten zur Unterstützung der Kalkulation bereitstellt.
Trotz der Herausforderungen bieten die aktuellen Entwicklungen auch Chancen. Die derzeitige Marktdynamik zwingt alle Beteiligten, ihre Prozesse, Verträge und Preislogiken zu überdenken. Dadurch entstehen mittelfristig neue Standards und Spielregeln. Unternehmen, die sich frühzeitig darauf einstellen, können ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern und langfristig gestärkt aus der Krise hervorgehen. Zugleich wird es zu einer Bereinigung des Marktes kommen – nur wirtschaftlich stabile und anpassungsfähige Zulieferer werden bestehen bleiben.
Die Marktteilnehmer sollten diese Chance nutzen, um eine zukunftsfähige und resiliente Lieferbeziehung, die auf einer neuen Partnerschaftlichkeit beruht, zu entwicklen.
Hinweis zum obigen Artikel:
AlixPartners unterstützt aktiv in den Verhandlungen zwischen Lieferanten und OEMs, um eine beidseitig partnerschaftliche Lösung zu erreichen. In diesem Artikel wurde nicht auf wirtschaftlich schwierige Lieferantensituationen im präventiven Risikofall eingegangen.