Relevanz von erfolgreichem Claim-Management in Krisenjahren

München, Juli 2024

Relevanz von erfolgreichem Claim-Management in Krisenjahren

München, Juli 2024
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OVID-19-Pandemie, Lieferengpässe, Ukraine-Krieg und Inflation – die Krisen der letzten Jahre haben auch die Automobilindustrie vor Herausforderungen in Form von steigenden Zinsen, hohen Energiekosten und volatilen Rohstoffpreisen gestellt und tun dies nach wie vor.

Zusätzlich wird vonseiten der Hersteller, durch den zunehmenden Preiswettbewerb, Druck auf die Zulieferer ausgeübt, was zum einen die Umsatz- und Profitabilitätssituation weiter verschärft und zum anderen bei vielen Zulieferern bereits zu massivem Stellenabbau geführt hat. Unter den TOP-100-Zulieferern weltweit lässt sich ein Margenrückgang von 8,3 % im Jahr 2017 auf circa 6 % im Jahr 2023 beobachten.

Zulieferer hatten im Jahr 2023 mit signifikanten Kostensteigerungen zu kämpfen. Das ergab eine Expertenbefragung, an der deutsche Vertreter von mittelständischen bis hin zu den größten globalen Zulieferern teilnahmen. Etwa 76 % der Befragten gaben dabei an, dass die Kosten um mehr als 5 % gestiegen seien (7,9 % im Durchschnitt). Als Gründe dafür wurden hauptsächlich höhere Material-, Lohn- und Energiekosten genannt. Für das Jahr 2024 rechnet die Mehrheit der befragten Experten damit, dass sich die Entwicklung von zuletzt rückläufigen Erzeugerpreisen fortsetzt und zu geringeren Kostenanstiegen als noch im Vorjahr führen wird. So erwarten nur noch knapp 30 % der Experten einen Kostenanstieg von mehr als 5 % bei durchschnittlich 4,2 % im Jahr 2024.

Um dem Anstieg der Kosten und dem in 2024 weiter steigenden Druck der OEMs entgegenzuwirken, reichen Maßnahmen auf der Kostenseite der Zulieferer allein nicht aus. Forderungen aus Kostenanstiegen, Volumenschwankungen etc. müssen systematisch identifiziert und umgesetzt werden. Dieses sogenannte Claim-Management birgt großes Umsatz- und Ergebnispotential.

Tatsächlicher Kostenanstieg 2023 und erwarteter Kostenanstieg 2024 im Vergleich zum Vorjahr

Quelle: Berylls by AlixPartners

Während im Jahr 2023 noch 38 % aller Befragten mehr als 75 % des Kostenanstiegs durch Claims deckten, hat sich der Ausblick und die Zuversicht für das erfolgreiche Management von Kostenanstiegen durch Claims für das Jahr 2024 verschlechtert. So erwarten nur noch 19 % der Zulieferer, mehr als 75 % des Anstiegs durch Claims an die OEMs weitergeben zu können. Die Mehrheit rechnet mit weniger als 50 % erfolgreichen Claims.

Diese Entwicklung verleitet zu einem Gedankenspiel hinsichtlich der Relevanz von erfolgreichem Claim-Management. Unternehmen mit einem herausragenden Claim-Management können nach Berylls Expertenmeinung bis zu 15 % ihres Umsatzes über Claims realisieren. Stellen wir uns nun einen Zulieferer mit einem jährlichen Gesamtumsatz von 1 Milliarde Euro, 6 % Gewinnmarge und einer Claim-Realisation von 100 % vor. Basierend auf diesen Werten werden 150 Millionen Euro seines Umsatzes durch Claims erzielt. Fällt die Claim-Quote nun auf 50 %, entspricht dies einem Umsatzrückgang von 75 Millionen Euro. Bei gleichbleibenden Kosten reduziert sich in diesem Fall die Gewinnmarge auf –1,5 % und ist somit im Verlustbereich. Für das Unternehmensergebnis ist ein wirksames Claim-Management also überaus relevant. Ein von den Experten für 2024 erwarteter Rückgang der Realisierung von Claims kann für den einzelnen Zulieferer dramatische Folgen haben und existenzgefährdend sein.

Hinsichtlich der Claiming-Gründe kann eine Verschiebung festgestellt werden. Waren im Jahr 2023 noch gestiegene Materialkosten der häufigste Claiming-Grund, werden für 2024 Volumenschwankungen als Hauptgrund erwartet. Dies deckt sich mit aktuellen Prognosen, die das Produktionsvolumen in Europa für 2024 zuletzt leicht nach unten korrigierten. Zurückzuführen ist dies maßgeblich auf sinkende Absatzprognosen bei batterieelektrischen Fahrzeugen.

Tatsächliche (2023) und erwartete (2024) Deckung des Kostenanstiegs durch Claims

Quelle: Berylls by AlixPartners

Trotz der verschlechterten Aussicht schätzen die befragten Experten laut der Umfrage ihr Claim-Management im Durchschnitt als positiv ein. Zusammengefasst liegt die Reife des Claim-Managements meist deutlich unter dem optimalen Niveau, woraus sich folgende Handlungsfelder für Zulieferer ergeben:

Transparenz schaffen: Um Claims erfolgreich und schnell abzuwickeln, ist umfassende Transparenz über alle Möglichkeiten für Claims, Verträge mit Kunden, Kostenentwicklung sowie laufende Claim-Prozesse elementar.

Klare Regeln und Prozesse etablieren: Ein erfolgreiches Claim-Management erfordert klare Strukturen, Verantwortlichkeiten und Prozesse. Es ist wichtig, Regeln für die Kommunikation mit Kunden sowie das Einbinden von Managementebenen zu etablieren.

Claims konsequent durchsetzen: Zur Durchsetzung von Claims müssen KPIs zur Steuerung, Kontrolle und Incentivierung verwendet werden. Sie dienen als Auslöser für den Start eines Claim-Prozesses und helfen dabei, die Leistung und Effektivität zu verbessern. Die Einbeziehung von Abteilungs- und Funktionsübergreifender Teams aus Einkauf, Produktion, Vertrieb und Finance sowie externer Experten bei kritischen Verhandlungen ist entscheidend, um Claims erfolgreich durchzusetzen.

Ein abschließender Blick auf die Umfrageergebnisse: Im Jahr 2023 konnten die befragten Experten in Summe ca. 2,7 Milliarden Euro des gesamten Kostenanstiegs nicht durch Claims kompensieren. Da die Realisierung von Claims in 2024 noch schwieriger werden wird, ist es somit für alle Zulieferer zwingend notwendig, ihr Claim-Management weiter zu professionalisieren.

Hauptgründe für Claims

Quelle: Berylls by AlixPartners

Autoren
Dr. Alexander Timmer

Partner

Thorsten Lips

Partner

Philipp Stütz

Associate Partner

Maximilian Deuringer

Consultant

Dr. Alexander Timmer

Dr. Alexander Timmer (1981) ist seit Mai 2021 als Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Markteintritts- und Wachstumsstrategien, M&A und kann auf eine langjährige Erfahrung im Operations-Umfeld zurückschauen. Dr. Alexander Timmer berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Er verfügt über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Portfolioplanung, Entwicklung und Produktion. Zu seinen weiteren fachlichen Schwerpunkten zählen unter anderem Digitalisierung und der Themenkomplex rund um die Elektromobilität.
Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy& als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig.
Im Anschluss an sein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen und der Chalmers University in Göteborg promovierte er im Bereich der Fertigungstechnologien am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.

Philipp Stütz

Philipp M. Stütz (1981) verstärkt seit Anfang 2021 das Berylls Operations Team. Er besitzt über fünfzehn Jahre Erfahrung in der Automobilindustrie. Davon hat er sieben Jahre bei einem internationalen Automobilzulieferer mit Einsätzen in Spanien, den USA und Mexiko und über acht Jahre in der Beratung verbracht. Sein Beratungsschwerpunkt liegt im Bereich Operations Excellence, insbesondere in großen Transformationsprogrammen, Prozessoptimierungen und der Effizienzsteigerung in der Administration und indirekten Produktionsbereichen. Zu den Klienten, die er betreut, zählen Zulieferer wie OEMs gleichermaßen.
Philipp M. Stütz ist technisch orientierter Diplomkaufmann und hat an den Universitäten Stuttgart und Straßburg studiert.

Thorsten Lips

Thorsten Lips (1972) ist Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors). Er begann seine Karriere 1998 als Unternehmensberater bei PricewaterhouseCoopers Düsseldorf. Nach einem sechsjährigen Aufenthalt am Malik Management Centre in St. Gallen, Schweiz, übernahm er als Partner bei Horváth die branchenübergreifende, globale Verantwortung für Pricing, Sales, Service und Marketing. Bei Berylls liegt sein Schwerpunkt im Bereich Pricing & Revenue Management. Dies umfasst die klassischen Themen wie Neu- und Gebrauchtwagenpreise, Aftersales Pricing und ähnliches. Darüber hinaus ist er Experte für innovative Pricing- und Revenue Management-Ansätze für digitale Produkte und Dienstleistungen sowie im Bereich des datengetriebenen Pricings.

Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an der Technischen Universität Ilmenau und der Technischen Universität Darmstadt.