Standpunkt

Pandemie, Chipmangel und politische Unruhen – kommt jetzt eine Rohstoffkrise?

München, Juni 2022
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ie Automobilunternehmen mussten in den letzten Jahren auf zahlreiche externe Herausforderungen in den Lieferketten reagieren. Ein Mangel an ausgewählten Rohstoffen könnte die nächste Krise herbeiführen - Nickel, Kobalt und Magnesium sind mögliche Kandidaten.

In den letzten Jahren sah sich die Automobilindustrie mit einer Reihe schwerwiegender Herausforderungen in den Lieferketten konfrontiert. Die Covid-19 Pandemie, der Halbleiter-Mangel und nun die Unruhen in Osteuropa haben enormen Schaden angerichtet. Die Fahrzeugproduktion ist infolge um 8 Prozent von 90 Millionen Einheiten im Jahr 2019 auf 83 Millionen im Jahr 2021 zurückgegangen.

Automobilhersteller und -zulieferer haben wiederholt schnelle Eingreiftruppen zur Lösung dieser Probleme eingesetzt. So musste der Volkswagen Konzern Anfang 2020 in rascher Folge verschiedene Task Forces einrichten, um die Markteinführung des ID.3 zu unterstützen, den Chipmangel zu beheben und die Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen. Das Dilemma von Volkswagen steht stellvertretend für ein strukturelles Problem der gesamten globalen Automobilindustrie.

Bisher hat die Branche auf diese scheinbar endlose Reihe von Herausforderungen in der Lieferkette meist nur reaktiv reagiert. Die aktuelle Situation in Osteuropa ist das jüngste Beispiel dafür. Einige Hersteller müssen beispielsweise Zweitlieferanten für Kabelbäume aufbauen, die vorher in der Ukraine hergestellt wurden.

Rückblickend wird deutlich, dass eine strategische Analyse neuer proaktiver Ansätze erforderlich ist, um die Risiken in der Lieferkette zu reduzieren. Daher sind die Zulieferer gut darin beraten die durchgängige Transparenz und Früherkennung von Problemen in ihren Lieferketten zu erhöhen und die Lieferketten so auszulegen, dass der Zugang zu wichtigen Märkten und Rohstoffen sichergestellt ist. Ferner wird es zunehmend wichtiger werden Investitionsentscheidungen zwischen ökonomisch präferierten und Risiko minimierenden Optionen auszubalancieren. In Konsequenz brauchen Zulieferer, aber auch Fahrzeughersteller, ein umfassendes Verständnis der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der Lieferkette, um diese Ansätze umsetzen zu können.

Der Weg in die Zukunft – Engpässe bei Nickel, Kobalt und Magnesium sind die nächste Gefahr für die Lieferkette

Der Mangel an ausgewählten Rohstoffen bietet Potential die nächste große Herausforderung für die globalen Automobilzulieferketten zu werden. Steigende Energiekosten erhöhen die Kosten für die Produktion und den Transport von Rohstoffen, während der Übergang zur Elektromobilität die Zulieferer zwingt, die Risikoprofile für kritische Rohstoffe zu überprüfen. Beispielsweise zeigt eine Analyse von 53 Rohstoffen, die für Elektro- und Hybridfahrzeuge benötigt werden, dass für 41 dieser Rohstoffe ein erhöhtes Beschaffungsrisiko besteht. Nickel, Kobalt und Magnesium gelten dabei als besonders risikoreich (vgl. Abbildung 1).

Nickel ist ein wichtiger Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien, wobei ein höherer Nickelanteil die Energiedichte und damit die Reichweite von Elektrofahrzeugen erhöht. Da sich der Wandel der Elektromobilität beschleunigt, wird die Nickelnachfrage zwischen 2021 und 2030 voraussichtlich um rund 48% steigen. Russland ist der weltweit größte Nickelproduzent. Angesichts der ungewissen Dauer, des Ausgangs und der unklaren Auswirkungen auf die künftigen Handelsbeziehungen mit Russland, erhöht sich das Beschaffungsrisiko drastisch.

Kobalt ist ein weiterer wichtiger Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien. Seit 2019 hat sich der Kobaltpreis verdreifacht, und die Nachfrage wird sich zwischen 2021 und 2030 voraussichtlich verfünffachen. Bei diesem Tempo werden die weltweiten Kobaltreserven bis 2033 erschöpft sein. Das sich abzeichnende Beschaffungsrisiko für Kobalt konzentriert sich dabei auf zwei Länder: Einerseits die Demokratische Republik Kongo (DRK), die über etwa 60 % der weltweiten Reserven verfügt und anderseits China, das durch aggressive Investitionen in einheimische Kobaltförderer, derzeit mehr als 50 % der Kobaltproduktion der DRK kontrolliert. Infolgedessen findet etwa 70 % der raffinierten Kobaltproduktion in China statt, was zu einer starken Abhängigkeit der Automobilindustrie von dieser dominanten Lieferkette führt.

China deckt gleichzeitig etwa 90 % der globalen Magnesiumnachfrage ab und nimmt dadurch eine Quasi-Monopolstellung ein. Die Automobilindustrie ist dabei einer der größten Verbraucher von Magnesium, das hier vor allem im Leichtbau verwendet wird und gleichzeitig für die Herstellung von Aluminium unerlässlich ist. So wird der Magnesiumverbrauch der Branche zwischen 2021 und 2030 voraussichtlich um durchschnittlich 7,6 % pro Jahr steigen. Der Grund liegt in der Notwendigkeit leichtere Fahrzeuge herzustellen, um die Emissionen fossiler Brennstoffe zu verringern sowie die Reichweite von Elektro- und Hybridmodellen zu erhöhen. Eine kontinuierliche Versorgung mit chinesischem Magnesium ist daher für die Automobilhersteller von existenzieller Bedeutung, zumal Magnesium nur für kurze Zeit gelagert werden kann.  Im vergangenen Jahr wurde das Beschaffungsrisiko in China deutlich, als das Land seine Produktion drastisch drosselte, um die Emissionsvorschriften einzuhalten. Die Magnesiumexporte aus China brachen ein und trieben die Weltmarktpreise um bis zu 700 % in die Höhe.

Autoren
Dr. Ralf Walker

Partner

Peter Trögel

Principal

Christian Grimmelt

Principal

Eren Duygun

Consultant

Drei Schritte, um der nächsten Krise in der Lieferkette einen Schritt voraus zu sein  

Die alarmierenden Beschaffungsrisiken insbesondere bei Magnesium, Kobalt und Nickel unterstreichen, warum die Automobilzulieferer aktiv und entschlossen handeln müssen. Proaktive und strategische Antworten gilt es zeitnah zu entwickeln, um die Herausforderungen in der Lieferkette antizipieren zu können.

Zulieferer wie Hersteller sollten zunächst die durchgängige Transparenz und Früherkennung in den Lieferketten erhöhen. Neben der allgemeinen Transparenz werden datengetriebene und KI-gestützte Risiko-Radarsysteme benötigt. Dieses bietet nicht nur Transparenz über die gesamte Lieferkette bis zu den untersten Ebenen, sondern ermöglichen durch den Einsatz von KI auch Vorhersagen über mögliche Verfügbarkeitsengpässe.

Zudem sollten Zulieferer ihre Lieferketten so gestalten, dass der Zugang zu wichtigen Märkten und Rohstoffen gesichert ist. Dies ist von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der Produktionsflexibilität, indem eine rohstoffspezifische oder komponentenspezifische Strategie entwickelt wird, die festlegt, welche Komponenten lokal oder global beschafft werden. Ebenso sollte eine Entscheidung für eine Single- oder Dual-Source-Strategie getroffen werden, die auf einer Risikobewertung von Lieferanten und Rohstoffen beruht.

Abschließend sollten Investitionen und Risiken gegeneinander abgewogen werden. Sie müssen beurteilen, ob sie für zusätzliche Versorgungssicherheit ein Premium zahlen wollen oder ein Risikofond für die Finanzierung von möglichen „Was-wäre-wenn-Szenarien“ (z.B. Ausfällen, Anlaufschwierigkeiten etc.) aufbauen müssen.

Der schlechteste Weg wäre, sich weiterhin auf die bisherigen, traditionellen Systeme und Prozesse des Risikomanagements in der Lieferkette und der Beschaffung zu verlassen. Seit 2020 navigieren Hersteller und Zulieferer durch ein globales Umfeld, in dem Kriege, Handelskonflikte, COVID-19, neue Technologien und der Übergang zur Elektromobilität an der Tagesordnung sind. Sie sorgen dafür, dass Risiken schnell aus dem nichts entstehen und ein Engpass in der Lieferkette direkt auf den nächsten folgt. Durch proaktive strategische Lösungsansätze können die Automobilzulieferer den Herausforderungen erfolgreich entgegenwirken und die Risiken effektiv minimieren.

Über den Autor
Peter Trögel

Peter Trögel (1986) ist Principal bei der Berylls Group, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Peter Trögel ist Experte für Operations und kann auf eine langjährige Erfahrung im Transformations-Umfeld blicken. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Entwicklung, Industrialisierung und Produktion.

Vor seinem Einstieg bei Berylls war Peter Trögel unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig. Er hat einen Diplomabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und von der University of Technology Sydney (UTS).

Dr. Ralf Walker

Dr. Ralf Walker (1969) ist seit September 2021 als Partner bei Berylls Strategy Advisors tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Seine Expertisen liegen in den Bereichen Operations und Task-Forces.

Er berät seit 2008 Automobilhersteller und -lieferanten im globalen Kontext. Des Weiteren verfügt er über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Launch & Ramp up Management, Restructuring & Turnaround Management, Produktions- & Supply Chain-Optimierung, Lean Management sowie Strategieentwicklung & Footprint-Optimierung.

Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem 18 Jahre bei PwC Strategy&, Booz & Co, Management Engineers und dem Fraunhofer IPT sowie 5 Jahre bei GKN als Leiter des europäischen Teams und Mitglied des globalen Teams zur Einführung von Lean- und Business Excellence-Prinzipien, Produktionsleiter und Leiter Industrial Engineering tätig.

Er studierte an der RWTH Aachen Maschinenbau und promovierte am Fraunhofer IPT in Aachen.

Christian Grimmelt

Christian Grimmelt (1985) ist seit Februar 2021 fester Bestandteil des Berylls Strategy Advisors Teams. Zuvor hat er bereits umfangreiche Berufserfahrung in Topmanagementberatungen und in der Automobil-Zuliefererbranche gesammelt.

Während seiner Zeit bei dem weltweit größten Automobil-Zulieferer hat er den Aufbau einer Zentraleinheit zur Optimierung des weltweiten Logistik- und Produktionsnetzwerkes des Unternehmens vorangetrieben.

Christian Grimmelts Beratungsschwerpunkte sind die Themen Logistik- und Produktionsnetzwerkoptimierung, Einkauf und (digital) Operations inklusive Anlauf- und Turnaround-Management für OEMs und insbesondere Zulieferer.

Christian Grimmelt besitzt ein Diplom für Wirtschaftsingenieurwesen vom Karlsruher Institut für Technologie.