Industrie im Umbruch: Talente auf der Strecke?

München, Juli 2025

Industrie im Umbruch: Talente auf der Strecke?

München, Juni 2025
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ie Automobilzuliefererindustrie steht stark unter Druck – das zeigt sich deutlich in der Beschäftigungsentwicklung: Im Jahr 2024 sank die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Zuliefererindustrie weiter auf rund 267.000¹.

Europaweit kündigte die Branche im selben Jahr den Abbau von rund 54.000 Arbeitsplätzen an² – wovon voraussichtlich überwiegend deutsche Standorte betroffen sein werden. Gerade jetzt kommt es auf eine strategische Personalplanung an – denn es gehen auch Talente verloren, die es dringend für die Transformation braucht.

Mehr Krise als Transformation

Die Automobilzulieferer stehen vor zahlreichen Herausforderungen: eine schwache Nachfrage im Bereich E-Mobilität, hohe Energie- und Rohstoffkosten, geopolitische Risiken und fragile Lieferketten. Unternehmen reagieren mit harten Restrukturierungen; Zugleich meldeten im Jahr 2024 fast 60 Zulieferunternehmen in Deutschland Insolvenz an – das entspricht nahezu der Anzahl an Insolvenzanträgen, die durch die Coronapandemie bedingt waren.³ Neben der Entlassungswelle ist also auch eine Insolvenzwelle zu beobachten. Die Transformation tritt in den Hintergrund, Unternehmen agieren im Krisenmodus – mit drastischen Folgen für die Beschäftigten.

Wettkampf um die eigenen Talente

Noch vor wenigen Jahren konkurrierten Automobilzulieferer um die besten Talente. Besonders gefragt waren beispielsweise Fachkräfte mit Expertise in den Bereichen Softwareentwicklung und Künstliche Intelligenz. Trotz anhaltenden Bedarfs fehlen vielen Unternehmen heute Budget und Perspektiven, um diese Talente zu halten. Gleichzeitig locken wachstumsstarke Branchen wie Tech und Energie. Die Zuliefererindustrie steht deshalb vor schwierigen Entscheidungen: Wer muss gehen, wer muss bleiben? Neben kurzfristiger Kostensenkung ist jetzt vor allem Ambidextrie gefragt: die Fähigkeit, Effizienz und Innovation zugleich zu managen. Sie erfordert Personalentscheidungen mit Weitblick und ein klares Verständnis der Fähigkeiten, auf die es jetzt und in Zukunft ankommt.

Schlüsseltalente identifizieren, Rollen richtig besetzen

Die Transformation verlangt sowohl die stabile Weiterentwicklung des aktuellen Geschäfts als auch den Aufbau zukunftsfähiger Geschäftsfelder. Dafür braucht es einerseits operative Exzellenz, andererseits Innovationskraft. Die dafür nötigen Talente bringen unterschiedliche Profile mit, vereinen aber zentrale Fähigkeiten:

  • Innovationsfreude, Anpassungsfähigkeit und Eigeninitiative
  • Interdisziplinäres Denken und Teamfähigkeit für integrierte, praxisnahe Lösungen
  • Kulturelle Wirkung und starke Vernetzung – als Treiber von Dynamik und Zusammenarbeit
  • Expertise in Zukunftsfeldern (zum Beispiel E-Mobilität, Software, Künstliche Intelligenz)

Wie man „die Richtigen“ halten kann

Diese Talente zu erkennen, gezielt einzusetzen und entlang des gesamten Wandels zu begleiten, ist Führungsaufgabe. Talente bleiben, wenn Unsicherheit abnimmt. Dafür braucht es konkrete Maßnahmen:

Zielgerichtet führen: Klare Entwicklungspfade, individuelle Weiterentwicklungsangebote und die frühzeitige und transparente Einbindung in strategische Schlüsselprojekte fördern Vertrauen, Motivation und Bindung der Mitarbeitenden.  

Individuelle Anreize setzen: Beteiligungsmodelle, Sondervergütungen oder besondere Benefits (zum Beispiel Forschungskooperationen) wirken oft stärker als klassische Gehaltserhöhungen. Schlüsseltalente sollten außerdem für zukünftige Führungsrollen entwickelt werden. Qualifikationsdefizite werden so behoben, Loyalität und Aufgeschlossenheit gegenüber künftigen Wachstumschancen gestärkt.

Flexibilität im Rahmen der betrieblichen Leistungsfähigkeit ermöglichen: Teilzeit, Homeoffice oder geteilte Führungsverantwortung fördern die Work-Life-Integration. Differenzierte Vergütungssysteme und eine agile Unternehmenskultur steigern die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber.

Talentbindung scheitert am ehesten an einer schwachen Führung (Entscheidungs- und Konfliktscheu, Duldung von Low Performern), an der fehlenden Konsequenz in der Unternehmenskultur sowie an einem zu engen finanziellen Spielraum. Doch wer Talentbindung priorisiert und Ressourcen intelligent allokiert, kann auch unter schwierigen Bedingungen große Wirkung erzielen.

Talentbindung finanzieren

Angesichts drastischer Sparmaßnahmen wirkt Talentförderung zunächst wie ein Widerspruch. Doch Investitionen in Schlüsseltalente sind ein wichtiges Instrument zur Risikominimierung und Sicherung langfristiger Wettbewerbsfähigkeit. Statt flächendeckender Boni oder Standardfortbildung lohnt sich der Aufbau strategisch-selektiver Programme für genau jene Fachkräfte, die für die künftige Wertschöpfung und Innovationsfähigkeit entscheidend sind. Solche Programme können beispielsweise über die Reinvestition von Effizienzgewinnen in strategische Personalinitiativen erfolgen. Genauso helfen zielführende Kooperationen (zum Beispiel mit Hochschulen zum Aufbau relevanter Fähigkeiten für Zukunftstechnologien) dabei, finanziell schlanke Talententwicklungsprogramme aufzubauen. Wer gezielt investiert, senkt langfristig Kosten – verlorene Talente zurückzugewinnen, ist meist teurer und schwierig. Laut Bundesagentur für Arbeit lagen die durchschnittlichen Vakanzkosten in Deutschland im Jahr 2023 bei rund 49.500 Euro und die durchschnittliche Vakanzzeit bei 138 Tagen.⁴

Talent als Erfolgsfaktor in Zeiten von Effizienz- und Transformationsdruck

Der Erfolg der Zulieferer wird in den nächsten Jahren davon abhängen, ob es ihnen gelingt, Effizienz und Zukunftssicherung parallel zu gestalten. Wer jetzt Schlüsselkräfte erkennt, fördert und bindet, verschafft sich einen klaren Vorsprung. Entscheidend ist also nicht nur, wer gehen muss – sondern vor allem, wer auf keinen Fall verloren gehen darf.

Abbildung 1 – Beschäftigte in der Automobilzuliefererindustrie vs. Automobilindustrie gesamt in Deutschland

Anmerkung:
Alle Angaben in Tausend, gerundet. Quelle: Analyse durch Berylls by AlixPartners basierend auf: Statistisches Bundesamt. (14. März, 2025): Anzahl der Beschäftigten in der Automobilzulieferindustrie in Deutschland in den Jahren 2005 bis 2024, sowie Anzahl der Beschäftigten in der Automobilindustrie in Deutschland in den Jahren 2005 bis 2024.

Quelle:

¹ European Association of Automotive Suppliers (15.01.2025): Job losses escalate as demand stays below expectation.

² European Association of Automotive Suppliers (15.01.2025): Job losses escalate as demand stays below expectation.

³ Statistisches Bundesamt (Abruf 08.05.2025): Insolvenzverfahren (Unternehmen nach ausgewählten Positionen – WZ08-29; WZ08-292; WZ08-293; Jahr 2024).

⁴ Bundesagentur für Arbeit (2023). Arbeitskräftenachfrage: Nachfrage sinkt vor dem Hintergrund der schwachen Wirtschaftsentwicklung merklich.

Autoren
Laura Kronen

Partner

Dr. Carolin Köppel

Senior Consultant

Marie-Charlotte Schmidt

Senior Consultant