Hintergründe für den Erfolg chinesischer Hersteller

München, August 2024

Hintergründe für den Erfolg chinesischer Hersteller

München, August 2024
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023 war ein erfolgreiches Jahr für den Automarkt China. Insgesamt wurden in 2023 21,9 Millionen Einheiten PKW abgesetzt (nur Inlandsverkäufe ohne Export), eine Zunahme von 4,3 % gegenüber 2022.

Wie in den letzten Jahren verdrängten EV (in China als NEV bezeichnet, äquivalent zu xEV) Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor – und ihr Anteil wuchs weiter auf ca. 36 % des Gesamtmarktes, eine Steigerung von 33 % YoY (Abbildung 1).

Abbildung 1: Die Zahl der NEVs steigt seit geraumer Zeit

Quelle: Berylls by AlixPartners, CAAM, CPCA

Beim Blick auf den heimischen Markt wird deutlich, dass die chinesischen Spieler wie in den letzten Jahren weiterhin dominieren. Besonders für batterieelektrische Fahrzeuge (EV), hervorzuheben sind BYD (2,7 Millionen verkaufte Einheiten), GAC Aion (483.000 verkaufte Einheiten), Geely (469.000 verkaufte Einheiten), Chang’An (385.000 verkaufte Einheiten), Li Auto (376.000 verkaufte Einheiten) und NIO (160.000 verkaufte Einheiten). Unter den Top 10 der bestverkauften EV-Marken finden sich nur chinesische Hersteller, mit einer Ausnahme: Tesla mit 604.000 verkauften Einheiten in 2023 (Abbildung 2).

Abbildung 2: Der chinesischer NEV-Markt wird überwiegend von lokalen Anbietern beherrscht

Quelle: Berylls by AlixPartners, CPCA

Gleichzeitig lässt sich der Erfolg chinesischer OEMs auch im Ausland sehen. Das Exportvolumen der chinesischen OEMs hat in den letzten Jahren für beide Antriebsarten massiv zugenommen. Das gesamte Exportvolumen ist seit 2020 um > 400 % gestiegen und hatte im Jahr 2023 ein sehr starkes Wachstum von 65,3 % YoY. Während der Trend in beiden Segmenten zu sehen ist, ist das Exportvolumen für Elektrofahrzeuge noch stärker gewachsen als für konventionelle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor – so hat sich zum Beispiel der Absatz von Elektrofahrzeugen in China seit 2018 mehr als verzehnfacht (2018: 140.000, 2023: 1,68 Millionen, in verkauften Einheiten). Obwohl sich die chinesischen Hersteller in den etablierten westlichen Märkten wie Westeuropa noch nicht durchgesetzt haben, zeigen sich die chinesischen OEMs aber dazu entschlossen. Es ist daher zu erwarten, dass man in Zukunft mehr Aktivitäten der chinesischen OEMs in solchen Märkten sehen wird (Abbildung 3).

Abbildung 3: Gleichzeitig haben die Aktivitäten in Übersee massiv zugenommen

Quelle: Berylls by AlixPartners, CPCA, Press

Wie kommt es zu dieser Entwicklung? Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Der erste Grund ist die Akzeptanz von EV bei chinesischen Konsumenten. Trotz der Abwesenheit von Käufer-Incentivierung beziehungsweise „Geld im Kofferraum“ vom Staat greift ein Großteil der chinesischen Konsumenten zu EV. Eine Berylls Untersuchung (mit über 1.000 Probanden) zeigt, dass 56 % der Fahrzeugbesitzer beziehungsweise 42 % der first-time buyer bei der Wahl des nächsten Autos zu einem EV greifen würden. Gleichzeitig fällt die Wahl überwiegend auf chinesische Marken (bezogen auf EV), mit jeweils 46 % bei den car owner und 61 % bei den first-time buyer. Im direkten Vergleich würden sich nur 32 % (car owner) beziehungsweise 23 % (first-time buyer) für EV deutscher Marken entscheiden!

Dies hängt mit Grund 2 zusammen: Die Anzahl der chinesischen Marken hat in den letzten Jahren stark zugenommen und gleichzeitig sind chinesische Fabrikate vergleichsweise „besser“ als ihre ausländischen JV-Wettbewerber. „Besser“ heißt hier: Der Kunde bekommt mehr (Funktionen und Technik) für weniger Geld.

Und ein geringerer Preis ist der dritte Grund. In 2024 fand eine beispiellose Rabattschlacht statt. Angetrieben von Preissenkungen von Tesla beim Model 3 und Model Y, senkten chinesische OEMs ihre Preise deutlich. Auch ausländische OEMs/JV zogen nach, wie man am Beispiel des ID.3 von SAIC-VW deutlich sehen kann. Auch ICE sind hiervon betroffen, so startet der FAW-Audi A4L bereits bei weniger als 30.000 EUR.

Abbildung 4: Preiserosionen werden auch 2024 das beherrschende Thema sein

Quelle: Berylls by AlixPartners

Die Schlüsselerkenntnis ist hier, dass sich die Preise massiv nach unten verschoben haben, es aber auch keine Erholung von Preissenkungen geben wird und die Autos auch nicht plötzlich teurer werden, nur weil sie besser ausgestattet sind.

Ganz im Gegenteil, es findet ein „Tech Overload“ statt – Ausstattungen, die in Deutschland nur im Premium-Segment zu finden sind, werden beziehungsweise sind bereits Standardausstattung von Volumina-Fahrzeugen in China. Dies betrifft insbesondere Smart Cockpit (ein Sammelbegriff für Connectivity beziehungsweise Infotainment) und AD/ADAS. Es ist ein Rennen um KPIs, bei dem sich OEMs bei Dingen überbieten wie: E-Reichweite, Ladedauer, Anzahl und Auflösung von Kameras (Stichwort: LiDAR, Millimeter-wave-Kameras), Rechenperformance („TOPS“), Chips (zum Beispiel Nvidia Orin X, Qualcomm Snapdragon 8295), ADAS-Funktionen (Stichwort: NOA, NGP) und mehr. Allerdings hören chinesische OEMs nicht bei „Funktionen“ auf, sondern nehmen nun auch die Fahreigenschaften in den Fokus. Um den Kunden einen Mehrwert für ihr Geld zu bieten, finden auch Dinge wie CDC und Rear Wheel Steering langsame Verbreitung in Standardfahrzeugen.

Abbildung 5: Die Ausgangsbasis hat sich verschoben

Quelle: Berylls by AlixPartners

  • Während Preise nach unten fallen, ist ein “Rennen um Funktionen” entbrannt, insb. Im Premium Segment
  • Chinesische OEMs packen ihre Fahrzeuge voll mit Tech auf HW- und SW-Seite und wetteifern um “KPIs”

 

Typische KPIs sind:

  • Smart Cockpit – Anzahl und Aufbau von Displays (z.B. drehbar), Intelligenz von KI-Assistenten, z.B. 4 Zonen Voice Control, OTA …
  • E-Antriebsstrang – E-Reichweite (geht in Richtung >1,000 km), Ladegeschwindigkeiten, Energiegehalt Batterie, Leistung E-Motor…
  • AD/ADAS – AD Level, ADAS Funktionen, z.B. NOA, NGP, Anzahl und Spec von Sensoren, z.B. LiDAR, Millimeterwelle Radar, 360° Kamera, Anzahl Megapixeln, Rechenleistung (gerechnet in TOPS) …
  • Interieur und Komfort – „Null-Gravitation“ Sitze, „Wohnzimmer“ Elemente, z.b. Kühlschrank, Fahrwerkkomponenten, z.B. CDC, Hinterradlenkung

Zusammengefasst: Autos in China bekommen immer mehr Funktionen, während sie immer billiger werden. Mehr Funktionen und günstigerer Preis –  zwei Entwicklungen, die in China Hand in Hand gehen.

Ausblick

In 2024 geht die Pricing-Schlacht mit unverminderter Härte weiter. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wird kein OEM in 2024 profitabel sein. Es ist davon auszugehen, dass einige einheimische OEMs dieses Jahr „verschwinden“ werden, auch die aktuellen Platzhirsche sind nicht gegen diese Gefahr gefeit. Jedoch ist das kein Grund zum Jubeln für ausländische/JV OEMs. Volumina, die mit einem lokalen OEM verschwinden, tauchen bei einem anderen lokalen OEM wieder auf. Gleichzeitig gewinnen lokale OEMs sukzessiv Marktanteile von ausländischen/JV OEMs, eine Entwicklung, die in nahezu allen Segmenten zu beobachten ist.

Implikation für deutsche Zulieferer

Um diese abzuleiten, müssen wir zuerst die Strategien der Hersteller verstehen. Diese werden viel stringenter auf Kosten achten, sehr zu Lasten von Zulieferern, wobei die Härte der ausländischen/JV OEMs sicherlich nicht mit der der lokalen chinesischen OEMs verglichen werden kann. Zusätzlich werden ausländische/JV OEMs mehr und mehr ihre Entwicklungsaktivitäten nach China verlagern. Gleichzeitig entsteht gerade eine große chinesische Zuliefererlandschaft, insbesondere in den Bereichen E-Powertrain, Smart Cockpit und AD/ADAS.

Für deutsche Zulieferer bedeutet das:

1. Profitabilitäts- und Cashflow-Druck, weil alle OEMs ihre eigenen Kosten optimieren werden, das heißt, alle OEMs, egal welcher Herkunft, werden sukzessiv mehr rein chinesische Zulieferer onboarden. Zum Vergleich: Lokale Spieler haben teilweise 80 % bis 90 % rein chinesische Komponenten.

2. Investitionsdruck, da die Verlagerung von OEM-Entwicklungsaktivitäten (westlicher OEMs/JV) nach China einen Nachzug auf Zuliefererseite bedeutet. Es müssen lokale Kapazitäten und Fähigkeiten aufgebaut werden.

3. Marktanteilsdruck, da chinesische Zulieferer diverse Domänen bereits dominieren, unter anderem Smart Cockpit, Batterie und AD/ADAS, und in anderen Bereichen stark expandieren. Wie schon in a) angedeutet, gibt es wenige Domänen, die noch von deutschen Zulieferern beherrscht werden, man denke an Chassis. Auch in diesen Domänen greifen chinesische Zulieferer an, zum Beispiel durch aggressives Pricing, jedoch bei vergleichbarer Qualität und vergleichbaren Funktionen.

Strategische Leitplanken für deutsche Zulieferer

Die Kernaktivität deutscher Zulieferer muss Kostenkontrolle sein. Es geht darum, die eigenen Supply-Chain- (inkl. Materialkosten) sowie Overhead Kosten anteilig zu verringern. Anteilig deswegen, da Zulieferer investieren müssen, um den gesteigerten lokalen Kundenanforderungen zu entsprechen. Hierzu gehören Dinge wie: strenge Kosten und insbesondere Cash-Disziplin, Auswahl neuer Sublieferanten und vor allem Kostenbeherrschung im Produktentstehungsprozess.

Gleichzeitig gilt es weiterhin innovativ zu bleiben, das heißt, Produkte zu günstigeren Preisen anzubieten. Ohne Innovationen und die daraus entstehenden differenzierenden Vorteile (wohlgemerkt: bei ähnlichem Pricing Level) greifen OEMs direkt zu chinesischen Lieferanten. Wie bereits dargestellt, müssen sich OEMs im Bereich Technologie übertrumpfen, um am Markt bestehen zu können – somit müssten alle Zulieferer mitziehen.

Hierbei ist allerdings zu beachten, dass Zulieferer agil bleiben müssen, vor allem aufgrund sich verändernden OEM-Anforderungen. Ein exemplarisches Beispiel macht dies deutlich: XPeng P5 war der Startschuss von LiDAR bei seinem Launch 2021. Stand heute haben sämtliche chinesische OEMs bei LiDAR nachgezogen, unter anderem NIO, Li Auto, AITO, Luxeed, AVATR etc. – der LiDAR „Knubbel“ oberhalb der Frontschutzscheibe ist mittlerweile Standard. Eine sehr rigide Technologie Roadmap würde solch raschen Änderungen nicht erlauben, denn diese Agilität auf OEM-Seite muss auf Zulieferer widergespiegelt werden können.

Zuletzt sollten westliche Zulieferer M&A in Betracht ziehen und Teilverkäufe ins Auge fassen. Insbesondere gilt es Bereiche zu eliminieren, die wenig wettbewerbsfähig sind, oder der Wettbewerb so intensiv ist, dass ein Weiterbetrieb nicht weiter sinnvoll erscheint. Darüber hinaus könnten Kooperationen mit chinesischen Unternehmen eingegangen werden, um das Wissen über Themen, wie Connectivity, zu teilen. Die Entscheidung gilt aber individuell je Unternehmen zu bewerten und zu treffen.

Autor
Willy Wang

Associate Partner

Willy Wang

Willy Lu Wang (1981) verstärkt seit 2017 das Berylls-Team. Er begann seine berufliche Laufbahn im Traineeprogramm von Audi, mit Fokus auf Produktionsplanung. Nach anschließenden Stationen bei einer großen Strategieberatung und als Leiter Strategie bei einem deutschen Tier-1 Zulieferer, leitet er nun das China Geschäft bei Berylls. Sein Beratungsfokus liegt auf der Unterstützung aller Kunden in China, seien es JVs, WOFE oder rein lokale Spieler. Zusätzlich leitet er die Entwicklung von AI und Big Data Produkten für den chinesischen Markt, um so die Berylls End-to-End Strategie- und Produktentwicklungsfähigkeiten weiter zu stärken.