Deutschland am Scheidepunkt

München, Juli 2024

Deutschland am Scheidepunkt

München, Juni 2024
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is 2020 war die Zuliefererindustrie ein Garant für stabile Marktentwicklungen und stetiges Wachstum.

Seit 2020 hat sich das Blatt gewendet. Langfristig sicher geglaubte Trends müssen kurzfristig überdacht werden und durch neue Veränderungen kurzfristig ersetzt werden. Diese Ungewissheit ist bis heute, und wird voraussichtlich auch für die unvorhersehbare Zukunft, das neue Normal sein, mit dem sich Geschäftsführer und Entscheider arrangieren müssen. Dies scheint den Zulieferern immer besser zu gelingen.

Beginnend mit der Pandemie waren die letzten Jahre für die Automobilzulieferer eine große und niemals zu enden scheinende Dauerkrise. Es folgten Produktionsausfälle, verursacht durch Lockdowns und Zusammenbrüche globaler Lieferketten, astronomische Anstiege von Rohstoff- und Energiekosten sowie die Renaissance des bereits totgesagten Verbrennungsmotors. Zu guter Letzt gehörten langwierige kommerzielle Verhandlungen mit ungewissem Ausgang mit den Herstellern zur Tagesordnung. Insgesamt eine angespannte Situation, die die Zulieferer in den letzten Jahren vor Herausforderungen gestellt hat.

Die Zuliefererindustrie hat aus den Jahren der Krise gelernt und es gibt erste zaghafte Anzeichen, dass die Zulieferer weltweit zunehmend Trittsicherheit im wirkungsvollen Umgang mit kurzfristig auftretenden Veränderungen gewinnen. Die Margen der Zulieferer liegen wieder auf Vorkrisenniveau und auch das Umsatzwachstum liegt auf Rekordniveau. Eine erfreuliche Entwicklung, die aber eine differenzierte Betrachtung erfordert.

Vor allem die asiatischen Zulieferer sind gestärkt aus der Krise hervorgegangen und das trotz nachteiligen Währungseffekten. Neun der profitabelsten Zulieferer haben ihren Firmensitz entweder in Japan, Südkorea oder China. Gleiches gilt für das Umsatzwachstum. Die drei am schnellsten wachsenden Zulieferer stammen allesamt aus Asien.

Werfen wir den Blick auf Deutschland, sieht die Situation weniger erfreulich aus. In keinem Land werden derzeit mehr Produktionsstandorte geschlossen als hierzulande. Deutsche Zulieferer eröffnen im Gegenzug Werke in China, Mexiko und den USA. Die Faktenlage ist für den Standort Deutschland erdrückend und besorgniserregend zugleich: es werden durchschnittlich viermal mehr Standorte geschlossen als neue eröffnet. De facto befindet sich Deutschland mitten in der automobilen Deindustrialisierung.

Zwar profitieren auch deutsche Zulieferer von der sich langsam abzeichnenden Erholung, aber der offensichtliche Verlierer ist Deutschland, und damit auch die deutschen Werke und Standorte. Die Gründe für diese Entwicklung sind hinlänglich bekannt und waren bereits Gegenstand zahlreicher kontroverser und öffentlicher Diskussionen. Was es jetzt nicht braucht, ist eine erneute öffentliche Kontroverse, sondern eine wirkungsvolle Kursänderung hin zu einer langfristig stabilen, europäischen Industriepolitik. Stabilität schafft Vertrauen, Vertrauen begünstigt Investitionen!

Autor
Dr. Alexander Timmer

Partner

Dr. Alexander Timmer

Dr. Alexander Timmer (1981) ist seit Mai 2021 als Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Markteintritts- und Wachstumsstrategien, M&A und kann auf eine langjährige Erfahrung im Operations-Umfeld zurückschauen. Dr. Alexander Timmer berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Er verfügt über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Portfolioplanung, Entwicklung und Produktion. Zu seinen weiteren fachlichen Schwerpunkten zählen unter anderem Digitalisierung und der Themenkomplex rund um die Elektromobilität.
Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy& als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig.
Im Anschluss an sein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen und der Chalmers University in Göteborg promovierte er im Bereich der Fertigungstechnologien am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.