arum ein Industriestrompreis die heimische Autoindustrie nicht wesentlich unterstützt
Anfang September 2024 überraschten Meldungen von Volkswagen zu Standortschließungen in Deutschland und entfachten eine Debatte über einen Industriestrompreis, der nun auch im Koalitionsvertrag verankert ist. Mit Blick auf den Start der neuen Regierung stellt sich nun erneut und umso mehr die Frage, kann die Automobilindustrie von solchen Subventionen profitieren?
Ein Industriestrompreis zielt im Grundsatz darauf ab, die Stromkosten für die Industrie auf ein wettbewerbsfähiges Niveau im Vergleich zu konkurrierenden Standorten zu senken. Hohe Stromkosten eines Standorts können sowohl durch strukturell höhere Energieerzeugungskosten als auch durch hohe Abgaben und (Netz-)Entgelte entstehen. Der deutsche Standort ist grundsätzlich von beiden Faktoren betroffen.
Ein attraktives Steuer- und Abgabenniveau auf Elektrizität ist aus standortpolitischen Erwägungen grundsätzlich zu begrüßen. Eine Absenkung dieses Kostenfaktors ist daher für Deutschland angezeigt. Eine Subvention von strukturell zu hohen Energiekosten kann jedoch nur ein temporäres Instrument sein, da dies auf Dauer mit Blick auf die Staatsfinanzen nicht nachhaltig ist.
Die strukturellen Disparitäten bei den Energiekosten zwischen Europa und insbesondere den USA bleiben unverändert bestehen. Wenngleich Entlastungsmechanismen für die Großindustrie in einzelnen europäischen Ländern teilweise implementiert sind, lässt sich der signifikante Unterschied in den Energiekosten sowohl auf Strom- als auch auf Gasseite zu den USA nicht kompensieren. Grafik 1 zeigt die aktuellen Energiepreise in wesentlichen Märkten auf Basis verfügbarer Börsenpreise. Hier wird deutlich, dass ein eine Absenkung der Energiepreise in Deutschland mit sehr hohen Kosten verbunden ist, um die strukturellen Defizite langfristig auszugleichen.
Grafik 1 – Aktuelle Entwicklungen der Energiepreise
Datenpunkte: Juni 2025
Anmerkung: Preisdifferenzen aufgrund unterschiedlicher Produkte in den einzelnen Märkten möglich. Repräsentative Region bei mehreren Preiszonen in einem Land. Börsenpreise ohne weitere Abgaben, China inkl. Abgaben jedoch aufgrund Regulatorik grundsätzlich beschränkt vergleichbar
Quelle: Bloomberg, JEPX, Berylls by AlixPartners
Die Nachhaltigkeit eines Industriestrompreises ist daher aufgrund hoher Kosten für den Staatshaushalt generell fraglich, und es bleibt zusätzlich die wesentliche Frage, ob dieser auch der Automobilindustrie zugutekommt. Ein Großteil des Energieaufwands für die Fahrzeugproduktion liegt in der Zulieferkette, nur ca. 10-20 % entfällt auf die Endmontage bei den OEMs. OEMs sind daher in geringem Maße von hohen Energiekosten betroffen, stellen jedoch einen wesentlichen Anker für das gesamte Automobil-Ökosystem dar. Bei einem Gesamtenergieeinsatz von ~20 MWh für die Produktion eines durchschnittlichen Fahrzeugs zeigt sich, dass der Energieaufwand für den OEM in den eigenen Werken limitiert ist.
Ein Planspiel auf Basis der Börsenpreise für Energie verdeutlicht diese Sichtweise und zeigt, wie stark der Effekt von Energiepreisen auf die Standortwahl bzw. Verlagerungen ist. In unserem Szenario gehen wir von einem durchschnittlichen Referenzfahrzeug aus, das bei einem heimischen OEM gefertigt wird. Die Fertigung umfasst alle klassischen Schritte, die bei einem OEM anfallen, insbesondere das Pressewerk, die Lackierung, Vor- und Endmontage.
Ein Fahrzeug verursacht hier im Durchschnitt einen Energieaufwand von 3 MWh, der vollständig durch Strom abgedeckt werden kann. Aktuelle Entwicklungen unterstützen diese Vereinfachung, da der Anteil von Strom am Gesamtenergiemix konstant zunimmt. Als Vergleich der Energiekosten werden die durchschnittlichen Börsenpreise in den USA und Deutschland am Strommarkt herangezogen.
Grafik 2 – Historischer Vergleich
Datenpunkte: Juni 2025
Anmerkung: Preisdifferenzen aufgrund unterschiedlicher Produkte in den einzelnen Märkten möglich. Repräsentative Region bei mehreren Preiszonen in einem Land. Börsenpreise ohne weitere Abgaben, China inkl. Abgaben jedoch aufgrund Regulatorik grundsätzlich beschränkt vergleichbar
Quelle: Bloomberg, JEPX, Berylls by AlixPartners
Grafik 2 zeigt die historische Entwicklung der Strompreise in den USA und Europa inkl. China und Japan als weitere Vergleichswerte. Seit 2021 hat sich der strukturelle Unterschied weiter verstärkt. Die Kosten in Deutschland liegen bei den Börsenpreisen seit 2021 im Durchschnitt um 50 € – 163 € höher.
Grafik 3 – Vergleich Energiekosten Deutschland und USA für OEM-Produktion in Deutschland
Datenpunkte: Juni 2025
Anmerkung: Exemplarische Berechnung auf Basis Differenz Stromkosten zwischen Deutschland und USA mit Durchschnittkosten je Fahrzeug (Personenkraftwagen) in der OEM-Fertigung und Börsenpreisen ohne weitere (nicht strukturelle) Abgaben
Quelle: Bloomberg, VDA, Berylls by AlixPartners
Grafik 3 zeigt die Zusatzkosten, die OEMs in Deutschland im Vergleich zu den USA tragen müssen. Wenngleich das Jahr 2022 mit Zusatzkosten von ~1,7 Mrd. € hervorsticht, zeigt sich, dass der Effekt auf OEMs insgesamt keine großen Ausmaße annimmt. Seit Beginn der Berechnung im Jahr 2014 würden OEMs in diesem Szenario insgesamt ~4,7 Mrd. € höhere Energiekosten aufwenden müssen, im Vergleich zur gleichen Produktionsmenge in den USA. Im Jahr 2024 beträgt die Differenz aktuell ~0,6 Mrd. €.
Wenngleich die Zusatzkosten pro Jahr im Bereich von einigen hundert Millionen € liegen, sind die Auswirkungen auf die OEMs als Anker für den Standort gering. Ein Industriestrompreis, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, würde im Jahr 2024 nahezu vollständig die Unterschiede der Börsenpreise zwischen den USA und Europa ausgleichen, jedoch Standortentscheidungen von OEMs nur in geringem Maße beeinflussen.
Es ist daher essenziell, dass die Politik die OEMs mit substanziellen Maßnahmen unterstützt, die Standortentscheidungen beeinflussen und Verlagerungen von Modellreihen und ganzen Werken abwenden sowie neue Investitionsanreize schaffen. Diese umfassen weiterhin Planungssicherheit, Bürokratieabbau und effektive, ganzheitliche Antworten auf Subventionsprogramme anderer Staaten sowie gezielte Subventionen zur Ansiedlung aufstrebender Unternehmen. Eine Subvention der Stromkosten aus Sicht der Automobilproduktion würde dagegen nur zu Mitnahmeeffekten führen, die den deutschen Standort nicht unterstützen.