Digitalisierung

Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor für die digitale Transformation

München, Mai 2017
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ein Tag vergeht, ohne dass man mit dem Begriff der „digitalen Transformation“ konfrontiert wird. Auch in der Automobilindustrie findet der strukturelle Wandel mit immer höherer Geschwindigkeit statt. Getrieben durch die Fahrzeug-vernetzung, hochautomatisierte oder gar autonom fahrende Fahrzeuge, neue Mobilitätsangebote, Big Data und alternative Antriebe richten Hersteller und Zulieferer ihr oftmals seit Jahrzehnten etabliertes Geschäftsmodell an vielen Stellen neu aus.

Die Digitalisierung hat das Potenzial, Wertschöpfungsketten und -verteilungen durcheinander zu würfeln und Geschäftsmodelle maßgeblich zu beeinflussen. Durch Produkt- und Prozessinnovationen können die Unternehmen ihre bestehende Positionierung verbessern und neue Positionierungen aufbauen:

    1. Optimierung heutiger Geschäftsmodelle, beispielsweise durch die Digitalisierung von Produkten & Services im angestammten Portfolio, durch die Vernetzung der Supply Chain über Unternehmensgrenzen hinweg oder durch die Nutzung künstlicher Intelligenz zur Verbesserung der Flexibilität und Reaktionsfähigkeit
  1. Erweiterung der Geschäftsmodelle, beispielsweise durch die Weiterentwicklung des Produkt- und Serviceportfolios im Kontext des Autonomen Fahrens oder der Elektrifizierung des Antriebsstrangs
  2. Aufbau neuer Geschäftsmodelle, beispielsweise durch die Gestaltung neuer Transportlösungen und die Erschließung eines unmittelbaren (End-)Kundenzugangs

Die facettenreichen Treiber der Digitalisierung (z.B. „Internet of Things“, „Industrie 4.0“, „Mobile Devices“, „Big Data“) wirken sich mit sehr unterschiedlicher Relevanz und Dringlichkeit auf die Unternehmen der Zulieferindustrie aus. Dies macht eine gründliche Auseinandersetzung mit der Bedeutung der digitalen Transformation erforderlich, um Chancen zu nutzen und Risiken möglichst frühzeitig zu identifizieren, um entsprechend gegensteuern zu können.

In diesem Zusammenhang stellt sich für Organisationen immer häufiger die Frage, inwieweit die bestehende Unternehmenskultur es überhaupt zulässt, die hohe Komplexität der Digitalisierung zu bewältigen. Kleine und mittelständische Zulieferer drohen hier den Anschluss zu verlieren. Vielfach ist die Kultur der Unternehmen noch traditionell ausgerichtet und steht damit Anforderungen wie Agilität, flachen Hierarchien und eigenverantwortlichen Teams entgegen. Auch „trial & error“-Methoden und kurze Entwicklungszyklen mit enger Einbindung externer Partner lassen sich mit der etablierten Kultur oftmals kaum realisieren. All das sind jedoch Anforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt und einen direkten Einfluss auf Strategie, Strukturen und Prozesse, Fähigkeiten und auch die Unternehmenskultur ausüben. Berylls hat Empfehlungen abgeleitet, die insbesondere für den Mittelstand Wege aufzeigen sollen, wie die heutige Erfolgsposition gehalten beziehungsweise für die Zukunft ausgebaut werden kann. 

Fest steht: Bestehende Muster in der Unternehmenskultur lassen die Digitalisierung vielfach (noch) nicht zu. Obwohl die Relevanz und Dringlichkeit der Digitalisierung akzeptiert ist, besitzt kaum ein Unternehmen einen echten Masterplan zur Digitalisierung. Es wird nur in Ansätzen deutlich, welche sinnstiftende Mission in Zukunft verfolgt werden muss und inwieweit die Digitalisierung das Unternehmen verändern soll. Die Frage bleibt mehrheitlich offen, ob man wie bisher als Komponenten- oder Systemlieferant weiter existieren kann oder sich neue Geschäftsmodelle erschließen muss. Vielen Unternehmen gelingt es schlichtweg nicht, Möglichkeiten, die sich z.B. durch den Einsatz von Big Data ergeben, zu identifizieren und zu nutzen. Als Ziel haben viele Unternehmen aus dem Mittelstand deshalb noch überwiegend Prozess- und Kostenoptimierungen im Fokus. Die Tatsache, dass Digitalisierung einen direkten Kundenzugang bieten kann, wird dabei oftmals übersehen. Als Folge fehlt das Verständnis für Chancen, die sich aus neuen Produkte-/Service-Angeboten oder digitalen Geschäftsmodellen bieten und bestehende Potenziale für neue Erlösquellen werden quasi ignoriert. Neben einer nicht mehr zeitgemäßen Management- und Organisationsstruktur, ungenügenden finanziellen Ressourcen und einem Mangel an verfügbaren Kompetenzen für die digitale Welt wird die existierende Unternehmenskultur als häufigster Grund für einen nicht existierenden Masterplan und somit für eine fehlende ganzheitliche Auseinandersetzung mit der Digitalisierung genannt.

Auch die „Company Culture 4.0“-Studie von Berylls Strategy Advisors zeigt, dass die Unternehmenskultur für den Erfolg eines Unternehmens ein maßgeblicher Faktor ist. Viele Zulieferer setzen sich bereits intensiv mit ihrer eigenen Kultur auseinander: Das Management diskutiert und reflektiert seine Wahrnehmungen zur Kultur, beschreibt Werte, Normen und Grundüberzeugungen der Führung und Zusammenarbeit und bildet in vielen Fällen die Mitarbeiter im Umgang mit diesen aus. Warum führt dieses Engagement dennoch nicht zu einer ganzheitlichen Auseinandersetzung mit der Digitalisierung?

Folgende Gründe sieht Berylls, weshalb Kulturarbeit in vielen Unternehmen noch nicht institutionalisiert ist:

  • Der anhaltende Erfolg des bestehenden Geschäftsmodells und die Orientierung am etablierten, direkten Wettbewerb reduziert die Veränderungsbereitschaft in den Unternehmen.
  • Das Verständnis von Digitalisierung ist in bestehenden Organisationen sehr differenziert und eine gemeinsam erarbeitete Definition von Digitalisierung fehlt.
  • Die Diskussion über die Unternehmenskultur orientiert sich zu sehr an den bisher wirkungsvollen, traditionellen kulturellen Eigenschaften: Qualität, Verlässlichkeit, Gründlichkeit und Sparsamkeit, verbunden mit Bodenständigkeit. Es liegt nicht in der kulturellen DNA der Teilnehmer, ohne sorgfältige Planung nach vorne zu stürmen und Investitionen als Experiment zu betrachten.
  • Insbesondere die Eigentümer oder oberen Führungskräfte leben größtenteils noch traditionelle Eigenschaften vor. In der Auseinandersetzung mit Digitalisierung handeln sie oft erfahrungsbasiert, streiten zu wenig über die sachlich beste Lösung und scheuen Investitionen außerhalb ihrer angestammten Möglichkeitsräume.
  • Es existiert noch relativ wenig Wissen in den Unternehmen über digitale Kompetenzen, Haltungen und Einstellungen. Dies führt dazu, dass man keine gemeinsame Sicht bezüglich der kulturellen Stärken und Schwächen im Hinblick auf Digitalisierung entwickeln kann. Umso schwerer wird die konsequente Förderung von Stärken und Eingrenzung von Schwächen.

Für den Erfolg notwendige Kulturmuster der digitalen Transformation müssen identifiziert werden, um die richtigen Maßnahmen für die Organisationsentwicklung definieren zu können. Ist die bestehende Unternehmenskultur hilfreich oder hinderlich, wenn es um die komplexen Anforderungen der Digitalisierung geht? Den Unternehmenskulturen vieler Organisationen fehlt es häufig an Mut für neue Wege, Offenheit für innovative Ideen, Streitkultur anstelle von Harmoniestreben und Umsetzungskraft trotz Widerständen. Die Eigenschaft „Mut“ wird vielfach als Leichtsinn und „Entschlossenheit“ als Starrsinn abgetan. Es sind aber beides Kultureigenschaften, ohne die ein grundlegender Wandel nicht zu bewältigen ist. Daher hat Berylls Strategy Advisors kulturelle Handlungsempfehlungen für die digitale Transformation erarbeitet, die gemeinsam mit Kulturexperten und Kooperationspartnern kontinuierlich weiterentwickelt werden. Berylls empfiehlt einen pragmatischen Weg und hebt die Bedeutung eines systemischen und systematischen Managements hervor. Führungskräfte bestimmen die Entwicklung der Kultur im Unternehmen maßgeblich. Es geht jedoch keinesfalls darum, Führung neu zu erfinden. Sie muss an den jeweiligen Bedarf der Organisationsentwicklung angepasst werden. Agilität beispielsweise ist nicht nur eine Methode, sondern eine Einstellung. Die Kunst ist es, existierende Konzepte bedarfsgerecht und sinnvoll im Unternehmen anzuwenden.

Außerdem gilt es, die kulturelle Perspektive bereits zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, in dem eine unternehmensweite Digitalstrategie erarbeitet wird. Die digitale Transformation erfordert neben strategischen und strukturellen vor allem auch kulturelle Initiativen, die die gesamte Belegschaft mobilisieren. Hilfreich ist die Schaffung eindeutiger Verantwortlichkeiten und klarer Zuordnungen auf Top Management Ebene zur erfolgreichen Umsetzung unternehmensweiter und zentral gesteuerter Maßnahmen der digitalen Transformation.

Vor allem aber muss die Entwicklung eines ganzheitlichen Masterplans zur digitalen Transformation bei den Entscheidern ganz oben auf die Agenda. Es gilt, die Potentiale und Gefahren der Digitalisierung ganzheitlich zu betrachten, um für das betroffene Unternehmen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Basis hierfür ist eine klare Definition darüber, was Digitalisierung eigentlich bedeutet. Die Durchschlagskraft eines am Geschäftsmodell ausgerichteten Digitalisierungsverständnisses ist enorm, der Weg dahin allerdings nicht einfach. Zur nachhaltigen Schließung von Wissenslücken digitaler Treiber, beispielsweise beim Big Data Know-how, bedarf es der gezielten Einbindung externer Wissensträger. Da diese aber nicht immer kompatibel mit den bestehenden Kulturmustern sind, ist eine entsprechende Entwicklung des digitalen Mindsets der Organisation erforderlich. Eine Säule dafür ist die Schaffung eines entsprechenden Ausbildungsangebots. Bei wichtigen Personalentscheidungen wie Rekrutierung und Beförderungen sollten jene Werte Berücksichtigung finden, die das Unternehmen in der digitalen Transformation dringend benötigt. Mitunter müssen gezielt Musterbrüche in Kauf genommen oder sogar bewusst herbeigeführt werden. Die digitale Transformation fordert bei etablierten Unternehmen ein kulturelles Umdenken, um die eigene Erfolgsposition abzusichern. Dieses Umdenken startet im Innersten der Organisation: mit einem neuen Mindset.

Autoren
Peter Eltze

Partner

Anna Wacker

Associate

ÜBER DEN AUTOR

Peter Eltze (1964) joined Berylls Strategy Advisors as a Partner in November 2015. He began his career in the medical technology division of an integrated technology corporation, and became a project manager at Malik Management Zentrum St. Gallen in 1996 before being appointed Partner in 2001. From 2003, in his role as member of the executive board, he was in charge of Management Education & Development. Since the end of the 1990s, Peter Eltze has advised companies in the automotive and mechanical engineering industries. At Berylls, his consulting activities focus on integrated organizational development (strategy, structure, culture), transformation management, and executive development.

Education in wholesale and international trade; administrative sciences at the University of Constance, Germany.